08.02.2008

Der große Krach

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Der große Krach

von Ignacio Ramonet

Mit ihrer in zwei Etappen vollzogenen Zinssenkung um 1,25 Prozent hat die Federal Reserve einen dramatischen Schritt vollzogen. Kann diese Entscheidung der US-Zentralbank eine Rezession verhindern und das Gespenst eines weltweiten Krachs bannen?

Viele Experten rechnen nicht mit einem globalen Einbruch der Wirtschaft. Doch andere sind höchst beunruhigt. In Frankreich prophezeit der Wirtschaftswissenschaftler und Präsidentenberater Jacques Attali, die New Yorker Börse als „entscheidender Bürge des gesamten Anleihenmarkts“ werde „bald zusammenbrechen“. Tatsächlich häufen sich die Zeichen tiefen Misstrauens. Der Goldpreis ist allein 2007 um fast ein Drittel gestiegen. Und alle wichtigen übernationalen Wirtschaftsorganisationen, darunter IWF und OECD, sehen ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum voraus.

Begonnen hat alles schon 2001, mit dem Platzen der New-Economy-Blase: Um die Interessen der Anleger zu schützen, beschloss Fed-Chef Alan Greenspan, mehr Geld in den Immobiliensektor zu lenken. Er ermunterte die Vermittlungsagenturen des Finanz- und Immobilienkapitals, ihre Klientel dazu zu bringen, in die „Ökonomie der Steine“ zu investieren. Es entstand das System der subprimes: Hypothekenkredite mit variablen Risiken und Zinssätzen, die gezielt auch an finanzschwache Haushalte vergeben werden. Als die Fed 2005 den Leitzins schrittweise wieder heraufsetzte, würgte sie diesen Motor ab. Das löste eine Kettenreaktion aus, die seit August 2007 das internationale Bankensystem ins Wanken brachte.

Die drohende Zahlungsunfähigkeit von 3 Millionen US-Haushalten, die mit insgesamt 200 Milliarden Dollar verschuldet sind, führte zum Konkurs auch großer Kreditunternehmen. Viele Finanzakteure hatten, um sich gegen die Risiken zu schützen, einen Teil ihrer faulen Schuldtitel an andere Banken verkauft, die diese an spekulative Finanzierungsfonds weiterreichten, die sie wiederum über Banken in der ganzen Welt abstreuten. Daraus entstand eine Epidemie, die das gesamte Bankensystem befiel. Große Finanzinstitute wie die Citigroup in den USA, Northern Rock in Großbritannien, die UBS in der Schweiz, die Société Générale in Frankreich oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Deutschland (KfW) mussten riesige Verluste eingestehen und zusätzliche Abschreibungen vornehmen. Und mehrere gefährdete Institute mussten neues Kapitel von „souveränen Fonds“ (government-owned investment funds) akzeptieren, die von Schwellenländern und Ölmonarchien kontrolliert werden.

Niemand kennt bislang das genaue Ausmaß der finanziellen Schäden. Seit August 2007 haben die Zentralbanken der wichtigsten Wirtschaftsmächte hunderte Milliarden Euro an frischem Geld in die Wirtschaft gepumpt. Aber es ist ihnen nicht gelungen, das Vertrauen wiederherzustellen.

Die Krise greift nun von der Sphäre der Finanzökonomie auf die Realwirtschaft über. Der Einbruch der Immobilienpreise in den USA, in Großbritannien, Irland und Spanien, das Schrumpfen der Finanzblasen, der Fall des Dollars und der „Kreditstreik“ der Banken lassen tatsächlich einen scharfen Rückgang des globalen Wirtschaftswachstums befürchten. Weitere „Zutaten“ wie die Rekordpreise für Öl, Rohstoffe und Grundnahrungsmittel könnten dafür sorgen, dass sich eine anhaltende Krise zusammenbraut – die schwerste, seit die Weltwirtschaft strukturell durch die Globalisierung geprägt ist.

Der Ausgang dieser Krise hängt im Übrigen von der Fähigkeit der asiatischen Ökonomien ab, die USA als Wirtschaftsmotor abzulösen. Dies wäre ein weiteres Zeichen für den Niedergang der westlichen Welt, für eine künftige Verlagerung des weltwirtschaftlichen Zentrums von den USA nach China. Es wäre das Ende eines Modells.

Le Monde diplomatique vom 08.02.2008, von Ignacio Ramonet