11.04.2008

Protektionismus

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Protektionismus

von Serge Halimi

Alle wussten es: Sobald die USA mit ihrem abgrundtiefen Handelsbilanzdefizit auch noch in die Rezession rutschen, wird die Doktrin des globalen Freihandels selbst von dem Land infrage gestellt, das eigentlich ihr mächtigster Verfechter ist. Dem widerspricht auch nicht, dass das US-Militär nun Tankflugzeuge vom europäischen Konzern EADS bestellt, denn auch bei diesem 23-Milliarden-Euro-Geschäft bleiben die nationalen Interessen der USA bestens gewahrt: Das Flugzeug ist mit Turbinen von General Electric ausgerüstet, wird im Verbund mit dem US-Rüstungskonzern Northrop Grumman hergestellt und in Alabama montiert. Damit wird mehr als die Hälfte der Wertschöpfung auf die USA entfallen.

Die Geschichte der Ökonomie lehrt uns, dass die meisten entwickelten Länder ihren heutigen Status nur deshalb erlangten, weil sie sich lange hinter Handelsbarrieren verschanzten. Weder Großbritannien noch Korea, weder Japan noch das frühe Preußen verdanken ihre industrielle Macht der strengen Befolgung von David Ricardos „Gesetz“ der komparativen Kostenvorteile. Auch die USA schafften die weltweit höchsten Wachstumsraten bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein nur dank Schutzzöllen, die 1913 noch bei 44 Prozent lagen. Und auch unter Ronald Reagan, der in den 1980er-Jahren gegen den Protektionismus wetterte, wurden Importquoten für Automobile und Stahl, Zucker und Textilien eingeführt sowie der Schutzzoll für schwere Motorräder um das Elffache erhöht, um die Interessen von Harley-Davidson zu schützen.

Reagan hatte auch keine Skrupel, Druck auf Japan auszuüben, um eine dollarfreundliche Währungspolitik zu erzwingen. Das erinnert an das aktuelle Problem der Bush-Regierung, die von China fordert, den Yuan abzuwerten.

Derweil betreibt die Zentralbank der USA mit stillschweigender Zustimmung des Weißen Hauses eine Politik, die weitreichende Folgen für die Handelsbeziehungen hat. Ein schwacher Dollar begünstigt die US-Exporte und dämpft die Wirkungen der heimischen Rezession. Umgekehrt besteht in der Europäischen Union die Gefahr, dass die Hochzinspolitik der Zentralbank die Spitzenindustrien, die über lange Zeit mit erheblicher staatlicher Hilfe aufgebaut wurden, in ihrer Existenz bedroht. Und zwar so unmittelbar und so heftig, dass Unternehmen wie EADS wichtige Bereiche ihrer Fertigung in die Dollarzone verlegen, um sich gegen die Folgen des hohen Eurokurses zu schützen.

Die Entscheidung des Pentagon für die Airbus-Tankflugzeuge hat allerdings noch einen weiteren Aspekt: Washington rechnet offenbar mit politischen und militärstrategischen Gegenleistungen. Damit stellt sich die Frage, welchen Preis Europa dafür gezahlt hat, dass man US-Flugzeuge mit Systemen und Geräten ausstatten darf, die großenteils in den USA gefertigt werden. Für eine Gunst also, die es nur der – krisenbedingten – Niedrigzinspolitik Washingtons verdankt.

Jedenfalls warf just zum selben Zeitpunkt, an dem das Pentagon die Entscheidung zugunsten von EADS verkündete, der demokratische Kongressabgeordnete John Murtha den Europäern vor, sich an der afghanischen Front zu wenig zu engagieren. Und es dürfte auch kein Zufall sein, dass zum selben Zeitpunkt Frankreichs Präsident Sarkozy sich bereit erklärte, tausend Soldaten zusätzlich in Afghanistan zu stationieren. Und um keine Zweifel zu lassen, rechtfertigte Sarkozy seine neue politische Intimität mit Washington mit den klaren Worten: „Dieser Vertrag mit EADS über die Lieferung von Tankflugzeugen wäre in dem gespannten Klima, wie es früher zwischen Frankreich und den USA geherrscht hat, sicher niemals zustande gekommen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer dass die Entscheidung des Pentagon eine glänzende Lektion in Sachen Freihandel darstellt.

Le Monde diplomatique vom 11.04.2008, von Serge Halimi