Auf nach King Abdullah Economic City
Am Persischen Golf entstehen künstliche Inseln der Luxusklasse von Akram Belkaïd
Es herrschen mehr als 50 Grad im Schatten, heftige Windböen fegen über weite Sand- und Geröllflächen und wirbeln immer wieder kleine ockerfarbene Windhosen auf. Hier, an der Küste des Persischen Golfs, 30 Kilometer östlich von Abu Dhabis Hauptstadt, soll bis 2016 eine neue Stadt entstehen: Masdar – das arabische Wort für „Quelle“. „Masdar wird nicht die neue Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, sondern etwas viel Bedeutenderes“,erklärt einer unserer Begleiter stolz und deutet auf die schon weit fortgeschrittenen Baustellen in der unmittelbaren Umgebung. „Es wird die erste vollständig ökologische Stadt der Welt.“
Weiter östlich wird der neue internationale Flughafen des Emirats gebaut, und im Norden, auf der Insel Jas, ist bereits eine riesige Ferienanlage entstanden – mit Formel-1-Rennstrecke. Auf den sechs Quadratkilometern des künftigen Stadtgebiets von Masdar tut sich zurzeit nicht viel. Es stehen ein paar Planierraupen herum, ein paar Landvermesser gehen in aller Ruhe ihrer Arbeit nach.
Nach Angaben des britischen Architekturbüros Foster & Partners, das für die Planung verantwortlich ist, soll Masdar City „die erste Stadt der Welt ohne CO2-Emissionen und ohne Abfalldeponien sein, weil sie ausschließlich erneuerbare Energie aus Solaranlagen und Windkraft verwenden und umfassendes Müllrecycling betrieben wird.“ So ist nicht nur eine Fotovoltaik-Anlage für die Stromversorgung geplant, sondern auch „intelligente“ Gebäude, die selbst Energie erzeugen sollen. Die Stadtmauern schützen vor der Wüste und bieten zugleich Einfallschneisen für den Wind von der Küste. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren werden gar nicht erst zugelassen.
Insgesamt wird die Sache schätzungsweise die Kleinigkeit von 22 Milliarden Dollar kosten. Dafür entsteht eine Stadt, in der etwa 50 000 Menschen leben und mehr als tausend Unternehmen aus den Bereichen neue Technologien und ökologische Energieerzeugung ihren Firmensitz einnehmen sollen. „Die Bewohner von Masdar werden weltweit die beste Lebensqualität haben,“ versichert Sultan Ahmad al-Jaber, Leiter der staatlichen Abu Dhabi Future Energy Company, die das Projekt betreibt. „Diese Stadt soll ganz der Umweltforschung gewidmet sein.“
Das Projekt Masdar City hat weltweit schon viel Beifall von Umweltexperten und sogar vom World Wildlife Fund (WWF) bekommen. Wirtschaftswissenschaftler in der Region sehen die ökonomischen Zukunftsaussichten der Stadt etwas differenzierter – finden das Vorhaben aber immerhin weit seriöser als solche absurden und geschmacklosen Tourismuseinrichtungen wie die in Dubai geplante Unterwasser-Schönheitsklinik.
„Masdar kann sich schon mit einigen Vorschusslorbeeren schmücken“, meint ein Analyst in einer großen Bank in Abu Dhabi. „Eine Stadt zu bauen, die nur 25 Prozent des Energie- und 40 Prozent des Wasserverbrauchs einer vergleichbaren Stadt im Westen aufweist, ist natürlich eine Meisterleistung. Letztlich wird es aber um die Frage gehen, ob das nur ein Vorzeigeprojekt ist, um davon abzulenken, dass die Golfstaaten zu den schlimmsten Umweltverschmutzern der Welt gehören.“
Tatsächlich gibt es in der Region nicht nur Öl- und Gasförderung, sondern große umweltbelastende Industrieanlagen (Petrochemie, Aluminiumerzeugung, Meerwasserentsalzung). Zudem führt die konsumorientierte Lebensweise in den Ölstaaten Jahr für Jahr zur Erhöhung der Abfallmengen aus Privathaushalten.
2005 fielen allein in der Stadt Dubai 120 Millionen Tonnen Müll an, Schätzungen nach wird sich diese Menge bis 2014 verdreifachen. Man muss nur einmal die endlosen nächtlichen Manöver der Müllwagenflotte in Abu Dhabi, Dubai, Doha oder Manama gesehen haben, um zu begreifen, dass die Golfstaaten in Sachen Recycling noch einiges nachzuholen haben.
Baukräne, so weit das Auge reicht
„Masdar soll Vorbild sein,“ erklärt ein leitender Staatsdiener im Emirat. Den Vorwurf, es gehe nur darum, Abu Dhabi ein besseres ökologisches Image im Vergleich mit den Nachbarstaaten zu verschaffen, weist er zurück. „Mit dieser Stadt werden wir weltweit Maßstäbe für die nachhaltige Entwicklung setzen. In den bestehenden urbanen Zentren, ob am Golf oder anderswo, kann man nicht mehr viel tun. Aber künftige Städte in unserer Region müssen unbedingt die Vorgaben für den Kampf gegen Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung erfüllen.“
Masdar ist nicht das einzige Projekt einer neuen Stadt am Golf. In den sechs Staaten des Golfkooperationsrats stehen inzwischen Baukräne, so weit das Auge reicht. Nach einer Statistik, die überall in der Wirtschaftspresse zitiert wird, sind ein Drittel der weltweit verfügbaren Kräne heute in der Golfregion im Einsatz. Ferienanlagen, Wolkenkratzer, Luxushotels, Niederlassungen internationaler Konzerne – auf der langen Liste von Bauvorhaben bildet die Errichtung ganzer Städte nur den letzten und eindrucksvollsten Eintrag.
Ungefähr fünfzehn Städte sind bereits im Bau. „Und diese Statistik umfasst nicht die Erweiterungsvorhaben in den bestehenden Städten,“ erklärt der Architekt Moussa Labidi, der in Nordafrika und am Golf beschäftigt ist. „Auch eine Stadt wie Dubai, deren bebaute Fläche sich in knapp zehn Jahren verdreifacht hat, kann eigentlich als neue Stadt gelten.“
Die Ökonomen haben das Kürzel „Double-D“ gewählt, um die entscheidenden Antriebe für die Errichtung neuer Städte am Golf zu charakterisieren: Demografie und (wirtschaftliche ) Diversifizierung. Die Bedeutung des Bevölkerungswachstums wird aus wenigen statistischen Angaben ersichtlich. Jedes Jahr steigt die Nachfrage nach Wohnungen um 20 Prozent. Schätzungen nach fehlen mindestens eine halbe Million Wohnungen – was nicht nur mit der lokalen Geburtenrate zu tun hat, sondern auch mit dem unablässigen Zustrom qualifizierter Arbeitskräfte aus anderen Ländern.
Diese Arbeitsmigranten wenden durchschnittlich etwa die Hälfte ihres Einkommens für die Miete auf, ein Anteil, der in den kommenden Monaten vermutlich noch steigen wird. „In den neuen Städten am Golf müssen auch die Ausländer, die zum Wirtschaftsaufschwung beitragen, ein Dach über dem Kopf finden“, meint Marios Maratheftis, Analyst bei Standard Chartered. „Wenn sie nach Hause zurückkehren, weil sie keine Wohnung finden konnten, wäre das ein schwerer Schlag für den Wirtschaftsstandort Golfregion.“
Das Problem betrifft aber nicht nur die Ausländer. Von Bahrain bis Kuwait wachsen die sozialen Spannungen, weil junge Menschen weder Arbeit noch eine Wohnung finden. „Ich bin nicht der Einzige, der auf die Fertigstellung dieser Städte wartet“, sagt Ali al-Wafi, ein junger Taxifahrer in Bahrain. Er hofft, dass er sich genug Geld für eine Wohnung in der geplanten Stadt Durrat al-Bahrain beiseitelegen kann. „Alle jungen Leute in meinem Alter haben einfach nicht genug Geld für ein Haus, wie es sich ihre Väter gebaut haben.“ Durrat al-Bahrain soll im Süden des Inselstaats Bahrain auf fünfzehn halbmondförmigen künstlichen Inseln entstehen und eine bebaubare Fläche von 21 Quadratkilometern haben. Vier Milliarden Dollar beträgt das Investitionsvolumen, die Bauzeit ist bis 2015 veranschlagt.
Um den Faktor „Diversifizierung“ richtig einschätzen zu können, muss man sich klar machen, dass die neuen Städte nicht nur den örtlichen Baufirmen sensationelle Umsätze bescheren, sondern auch als urbane Zentren für die Entwicklung neuer Wirtschaftszweige gedacht sind. Saudi-Arabien bietet das beste Beispiel: Für 500 Milliarden Dollar werden sieben Städte gebaut, mit einer Gesamtfläche von 450 Quadratkilometer, und es geht dem wahhabbitischen Königreich dabei keineswegs um allgemeine oder ökologische Standortreklame. Vielmehr sieht die Führung diese offiziell als „Wirtschaftsstädte“ oder Cluster Buildings bezeichneten Ansiedlungen als Möglichkeit profitabler Reinvestition ihrer steigenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft.
2005 wurde mit dem Bau der King Abdullah Economic City (Kaec) begonnen, 2016 soll sie fertiggestellt sein. Mit einer Fläche von 168 Quadratkilometer und Baukosten von 27 Milliarden Dollar wird die am Roten Meer nahe Dschidda gelegene Stadt des König Abdallah die Städte Masdar oder Durrat al-Bahrain weit übertreffen. Geplant sind hier nicht nur ein Containerhafen und eine Aluminiumgießerei, sondern auch ein Hafenterminal, in das 500 000 Mekkapilger hineinpassen. Mehrere tausend Wohnblocks sollen gebaut werden, um die bis 2020 erwarteten zwei Millionen Einwohner unterzubringen.
„Diese Stadt ist das Paradebeispiel für die Planung neuer Wirtschaftsstädte in Saudi-Arabien,“ erklärt ein Vertreter der Saudi Arabian General Investment Authority (SAGIA), der Behörde, die alle neuen Stadtprojekte im Königreich koordiniert. „Sie soll die Industrieansiedlung in der Region Dschidda voranbringen und zugleich neue Wohnungen für die saudische Bevölkerung bieten.“ In anderen Projekten geht es um „wissensbasierte“ Industrien, etwa in der Knowledge Economic City bei Medina. Diese seit 2006 im Bau befindliche Stadt soll nach dem Willen der saudischen Führung das Silicon Valley der Region werden.
Saudi-Arabiens Entwicklungsprogramm der Wirtschaftsstädte ist zwar durchaus eindrucksvoll – aber einige Experten bleiben skeptisch. Viele Ökonomen, auch einige im Land, fragen sich, ob solche Vorhaben nach ihrer Fertigstellung nicht nur „weiße Elefanten“ sein werden: Der Import schlüsselfertiger Anlagen in ein Dritte-Welt-Land hat eigentlich noch nie funktioniert. „Es geht vor allem darum, die Industrialisierung des Landes weiter voranzubringen“, meint ein leitender Mitarbeiter der Saudi British Bank (SAAB). „Die Zukunftsstädte und die dort geplanten Wirtschaftsaktivitäten können nur im Rahmen der Globalisierung überleben, und das bedeutet Beteiligung von ausländischen Firmen. Aber dafür gibt es natürlich keine Garantie, auch wenn die gegenwärtige Konjunktur ganz gut aussieht.“
Auch die saudische Arbeitsmarktpolitik mit ihrer Bevorzugung saudischer Staatsbürger bei der Stellenvergabe könnte dem Erfolg der Wirtschaftsstädte im Wege stehen. „Das ist eigentlich absurd“, erklärt der SAAB-Experte. „In den neuen Städten sollen 1,3 Millionen Arbeitsplätze für Saudis entstehen, aber die ausländischen Unternehmen wollen keine Arbeitskräfte von hier und verlangen, dass sie ihre Leute in Asien anwerben dürfen. Vielleicht wird letztlich nur das bestehende Modell fortgeführt – die Abhängigkeit der Wirtschaft von ausländischen Arbeitskräften, bei hoher Arbeitslosigkeit unter den jungen Saudis.“
Saudische Experten befürchten auch, dass die King Abdullah Economic City nur auf Kosten der Stadt Dschidda Erfolg haben kann, des traditionellen Wirtschaftszentrums im Westen des Königreichs. „Die beiden Städte könnten sich vor allem als Häfen Konkurrenz machen“, befürchtet der Schiffsmakler Omar al-Badsi. „Hoffentlich ziehen nicht zu viele Firmen um, denn die Arbeiter aus Dschidda werden sich keine Wohnung in der neuen Stadt leisten können.“
Hinzu kommt ein ökologisches Problem. Aus den neuen Industriezentren gelangen Schadstoffe in die Luft und ins Meer. Außerdem sind in Abu Dhabi, Bahrain und Katar eine ganze Reihe von Stadterweiterungen und neuen Städten geplant, die auf neu gewonnenem Grund im Golf entstehen sollen. Das Material für die Aufschüttungen kommt aber nicht aus der Wüste, sondern wird von Baggerschiffen vom Meeresgrund heraufbefördert – mit verheerenden Folgen für die maritime Flora und Fauna.
„Weil die Zivilgesellschaft und Umweltorganisationen in der Region wenig Einfluss haben und die Staatsführung die neuen Städte will, kann dieser Abbau des Meeresbodens für neue Bauvorhaben ungehindert stattfinden“, klagt ein Universitätsdozent in Bahrain.
Doug Watkinson, stellvertretender Leiter des rund drei Milliarden Dollar schweren Projekts Bahrain Bay, einer neuen Stadt nördlich von Manama, sieht das etwas anders. Der Mann sitzt in Bauarbeitermontur am Steuer seines Geländewagens und führt stolz seine Baustelle vor, auf der überall riesige Lastwagen unterwegs sind. Fast zwei Quadratkilometer hat man dem Meer bereits abgewonnen – dass diese „land reclamation“ Umweltschäden zur Folge habe, weist Watkinson aber entschieden zurück: „Unsere Technik ist bereits in Asien erprobt, vor allem in Singapur und Hongkong, und sie verursacht nur sehr geringe Schäden. Hier im Golf, bei der niedrigen Wassertiefe, ist sie problemlos anwendbar.“
Bleibt die Frage, was die neuen Städte langfristig für die örtliche Bevölkerung bedeuten. Offiziell sollen sie vor allem dem Wohl der Staatsbürger dienen. Doch viele Projekte verfolgen eindeutig das Ziel, ausländische Investoren zum Erwerb einer Luxusimmobilie zu bewegen. Alle Staaten in der Region haben inzwischen neue Gesetze eingeführt, die Ausländern den Kauf von Grundstücken erlauben – eine heftige Immobilienspekulation war die Folge.
„In den Werbeprospekten für diese Städte geht es immer nur um Luxus und Freizeitvergnügen“, meint Architekt Moussa Labidi. „Aber für die Menschen aus den Mittelschichten am Golf ist eine Wohnung dort unbezahlbar – es sei denn, sie wollen sich weiter verschulden.“ Ende Juni warnte die Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate vor einer Überschuldung der Privathaushalte, die durch Spekulation mit Immobilien ausgelöst werden könnte, und empfahl den Banken in der Region, die Höchstgrenze für Immobilienkredite herabzusetzen. Diese Mitteilung löste allerdings eine neue Spekulationswelle aus, weil ein Zusammenbruch dieses Kreditmarkts befürchtet wurde.
„Eine neue Stadt zu bauen, bedeutet ja nicht nur, die Mauern hochzuziehen und zu warten, bis ein Käufer, vielleicht sogar ein reicher Ausländer auftaucht“, erklärt der Architekt Salah H. A. Miri, Leiter des Projekts The Blue City im Sultanat Oman. Der erste Bauabschnitt dieser neuen Stadt soll 2011 fertig sein.
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Akram Belkaid ist Journalist.