Was wann geschah
1967–1970: Biafrakrieg. Die Medienberichte über die Hungersnot erzeugt eine Welle internationaler Solidarität. Der Gedanke an eine humanitäre Einmischung entsteht.
1971: In bewusster Ablehnung der vom Roten Kreuz vertretenen Zurückhaltungspflicht gründen Ärzte in Frankreich die Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières (MSF, Ärzte ohne Grenzen). Die Forderung nach humanitärem Engagement „ohne Grenzen“ gewinnt weiter an Boden.
Juni 1977: Die Diplomatische Konferenz über humanitäres Völkerrecht, die seit 1974 tagte, verabschiedet zwei Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen.
1979: Innerhalb von MSF entwickeln sich Differenzen anlässlich der Hilfsaktion für die aus Vietnam fliehenden Boat People. Bernard Kouchner will ein Schiff mieten und Journalisten mit an Bord nehmen, andere verurteilen das Bemühen um mediale Aufmerksamkeit. Kouchner und 14 weitere Ärzte gründen daraufhin 1980 die neue Organisation Médecins du Monde (Ärzte der Welt).
1980: Mitglieder von MSF gehen heimlich von Pakistan über die Grenze nach Afghanistan, um der Bevölkerung nach der sowjetischen Invasion von 1979 Hilfe zu leisten.
1981: Die Generalversammlung der UNO fordert eine neue internationale humanitäre Ordnung (Resolution 14/136 vom 14. Dezember).
1984: Der Entwurf des UNO-Koordinationsbüros für die Hilfe im Katastrophenfall (Undro) für eine Konvention über die humanitäre Notfallhilfe wird vom IRK und anderen NGOs abgelehnt.
1984–1985: Die Hungersnot in Äthiopien ist Anlass für großes humanitäres Engagement. Bob Geldof und andere Musiker organisieren Benefizkonzerte („Band Aid“).
Januar 1987: Auf einer Tagung in Paris zum Thema „Recht und Moral der humanitären Hilfe“ fordern Kouchner und der Rechtsprofessor Mario Bettati ein „Recht auf humanitäre Einmischung“.
Mai 1988: In Frankreich wird Kouchner zum Staatssekretär für humanitäre Angelegenheiten ernannt.
Dezember 1988: Die UNO-Generalversammlung bekräftigt „die territoriale Souveränität und Integrität“ der Staaten, fordert diese aber auf, die Umsetzung humanitärer Hilfe zu erleichtern, „insbesondere den Transport von Lebensmitteln, Medikamenten sowie medizinische Hilfe zu ermöglichen, was den freien Zugang zu den Opfern nötig macht“ (Resolution 43/131).
1988: Nach dem Erdbeben in Armenien öffnet die UdSSR ihre Grenzen für humanitäre Helfer.
Dezember 1990: Die UNO-Generalversammlung diskutiert über die Möglichkeit humanitärer Korridore, um den Transport von Hilfsgütern in Krisengebiete zu gewährleisten.
April 1991: Die USA starten die Operation Provide Comfort: humanitäre Hilfe für irakische Kurden, die vor Saddam Hussein geflohen sind. Zu deren Schutz richten die USA, Frankreich und Großbritannien im Nordirak eine Sicherheitszone ein. Der UNO-Sicherheitsrat verlangt vom Irak, den Hilfsorganisationen Zugang zu den notleidenden Menschen zu gewähren.
Juni 1992: Luftbrücke nach Sarajevo. Die Schutztruppe der Vereinten Nationen (Unprofor) ist für die Sicherheit und den Betrieb auf dem Flughafen von Sarajevo sowie die Überwachung der Hilfstransporte zuständig.
August 1992: Der UN-Sicherheitsrat fordert die Staaten auf, „alle erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, um die Lieferung von Hilfsgütern nach Sarajevo oder in andere Landesteile von Bosnien-Herzegowina zu ermöglichen.
August 1992: Im Rahmen der UN-Friedensmission in Somalia, Unisom I, erhalten UNO-Truppen den Auftrag, die humanitären Hilfskonvois zu schützen und die Verteilung der Hilfe zu ermöglichen.
Dezember 1992: Der UN-Sicherheitsrat ermächtigt Staaten, „alle nötigen Mittel“ zu ergreifen, um in Somalia Bedingungen zur sicheren Durchführung von humanitären Hilfsmaßnahmen herzustellen. Auf dieser Grundlage wird eine Eingreiftruppe (Unitaf, unter dem Kommando der USA) nach Somalia entsandt (Operation Restore Hope).
Dezember 1992: Kouchner initiiert als Minister für Gesundheit und humanitäre Angelegenheiten an den französischen Schulen die Hilfsaktion „Reis für Somalia“ und erzielt damit ein großes Medienecho.
1993: Auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta werden Sicherheitszonen in Bosnien-Herzegowina eingerichtet.
April 1994: Trotz der seit 1993 laufenden Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Ruanda (Unamir) beginnt der Völkermord an den Tutsi. Der UN-Sicherheitsrat zeigt sich in dieser Frage gelähmt.
Juni 1994: Opération Turquoise in Ruanda. Die multinationale Truppe unter französischem Kommando soll im Auftrag des UN-Sicherheitsrats die humanitären Hilfsmaßnahmen unterstützen und für Sicherheit sorgen. Der UNO-Truppe wird später vorgeworfen, sie habe die für den Völkermord Verantwortlichen laufen lassen.
Juni 1999: Die Kosovo-Truppe (KFOR) unter der Leitung der Nato soll im Auftrag des UN-Sicherheitsrats für „ein sicheres Umfeld“ zur Durchführung humanitärer Hilfsmaßnahmen sorgen.
Dezember 2004: Die Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean und im Golf von Bengalen löst eine riesige Welle der Solidarität, aber auch kritische Diskussionen aus.
August 2006: In Sri Lanka werden 17 Mitglieder der französischen Hilfsorganisation Action contre la Faim (ACF) umgebracht. Die Ermordung geht nach Ansicht skandinavischer Waffenstillstandsbeobachter auf das Konto staatlicher Sicherheitskräfte. Da die Regierung von Sri Lanka eine internationale Untersuchung verweigert, hat AFC das Land im Juni 2008 verlassen.
Juli 2007: Der Sicherheitsrat beschließt eine gemeinsame Darfur-Mission der UNO und der Afrikanischen Union (Unamid). Die Friedenstruppen dürfen „alle erforderlichen Maßnahmen“ ergreifen, um die Sicherheit und Bewegungsfreiheit der humanitären Helfer zu gewährleisten.
2007/08: Mitarbeiter der französischen Hilfsorganisation L’Arche de Zoé werden im Tschad wegen der Entführung von Kindern angeklagt. Nach ihrer Aburteilung in N’Djamena werden sie an Frankreich ausgeliefert.
Juni–Juli 2008: Ein schwedischer und ein dänischer Mitarbeiter des UN-Antiminenprogramms (Unmas) sowie ein somalischer Helfer werden kurzzeitig in Somalia entführt. In Afghanistan werden zwei Mitarbeiter der französischen Hilfsorganisation ACF von einer bewaffneten Gruppe verschleppt, die den Rückzug der französischen Truppen fordern. Die beiden Männer kommen unversehrt wieder frei.
2. Juli 2008: Die kolumbianische Armee benutzt bei der Befreiung mehrerer Geiseln aus der Gefangenschaft der Farc, zu denen die französisch-kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt gehört, als Tarnung das Emblem des Internationalen Roten Kreuzes, was gegen die Genfer Konventionen verstößt. Das IRK verurteilt den Missbrauch des Schutzzeichens.
16. Juli 2008: Nach einem Urteil des Schweizer Bundesgerichts muss MSF einen Teil des Lösegelds erstatten, das die niederländische Regierung für die Freilassung des MSF-Mitarbeiters Arjan Erkel gezahlt hatte, der im nordkaukasischen Dagestan entführt und mehr als zwanzig Monate gefangengehalten worden war. Im April 2004 hatte Den Haag für die Freilassung der niederländischen Geisel eine Million Euro an eine dubiose Vereinigung von russischen Geheimdienstveteranen gezahlt.