17.01.2003

DER HERAUSFORDERER

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DER HERAUSFORDERER

AMRAM MITZNA, 1945 in einem Kibbuz geboren, war ein hoch dekorierter General, bevor er Bürgermeister von Haifa wurde. Er nahm an den Kriegen 1967 und 1973 teil und war 1982, zur Zeit des Libanonfeldzugs, Leiter der Militärhochschule. Damals protestierte er öffentlich gegen die Mitverantwortung des israelischen Militärs an dem Massaker von Sabra und Schatila und wollte von seinem Posten zurücktreten, blieb dann aber doch. Während der Ersten Intifada hatte er das Oberkommando in Westjordanland inne. Als rabiate jüdische Siedler damals Selbstschutztruppen bildeten, befürchtete er: „Das kann der Beginn der Anarchie werden.“ Heute sagt er, damals habe er gelernt, dass Gewalt keine Antwort sein könne.

Seit 1993 ist Mitzna Bürgermeister von Haifa, der drittgrößten Stadt Israels, deren Bevölkerung zu 10 Prozent arabisch ist. Er will keine Regierung der Nationalen Einheit mit Scharon: „Solange die Arbeitspartei mit Likud in der Regierung ist, spüren die Leute, dass es keine Alternative gibt.“ Ob er dies nach den Wahlen durchhalten kann, wird sich zeigen müssen. Aus den besetzten Gebieten möchte er abziehen, aus Gaza vollständig, aus dem Westjordanland nur teilweise, wenn es zu keinem Friedensvertrag kommen sollte. Die Siedler will Mitzna auffordern, gute Patrioten zu sein und ihre Landnahme aufzugeben: „Ich will ihnen klar machen, dass sie in Israel gebraucht werden.“ Man könne es sich einfach nicht länger leisten, zum Schutz der Siedler und zur Kontrolle von 3 Millionen Palästinensern Millionen Schekel auszugeben.

Trotz seiner Meinung über Arafat – „Arafat hat den Übergang vom Terroristenführer zum Staatsmann nicht vollzogen“ – würde er mit ihm verhandeln, wenn die Palästinenser ihn zum Verhandler bestimmen. Doch Mitzna will die Verhandlungen befristen. Sollten sie scheitern, soll Israel unter seiner Regierung eine „einseitige Trennung“ vollziehen und sich neben Gaza aus den entlegeneren Siedlungen in Westjordanland zurückziehen. „Ohne einen Friedensvertrag werden wir weiterhin im Jordantal bleiben, […] und so werden wir eine Situation schaffen, die die Palästinenser nicht wollen.“ Doch auch im Falle eines Friedensvertrags („Wir werden verhandeln müssen, sie werden ihre Wünsche vortragen, wir die unseren“) wird Israel sich nicht zu 100 Prozent auf die Grenzen von 67 zurückziehen. Beide Seiten müssten Konzessionen machen.

Mitzna bekennt sich außerdem zum Kampf gegen den Terrorismus: „Wir müssen verhandeln, als gäbe es keinen Terror, und den Terror bekämpfen, als gäbe es keine Verhandlungen.“ Mitzna glaubt jedoch an die Notwendigkeit einer physischen Abtrennung Israels, auch wenn er den derzeitigen Verlauf des Grenzzauns zu überdenken bereit ist: „Der Zaun […] wird die Köpfe der Menschen verändern. Er wird bei uns ein Gefühl für Grenzen schaffen.“

Als es im Oktober 2000 auch in Haifa zu heftigen Demonstrationen der arabischen Bevölkerung kam, begab sich Amram Mitzna selbst auf die Straße, pfiff die Polizei zurück, ging auf die Demonstranten zu und redete mit ihnen. Er hat Haifa sozusagen im Alleingang entschärft. Als der Likud später zum Boykott arabischer Geschäfte aufrief, nahm Mitzna ein Reporterteam mit und ließ sich mit seinem engsten Stab beim Humusessen im arabischen Viertel fotografieren.

M. L. K.

Le Monde diplomatique vom 17.01.2003, von M. L. K.