17.01.2003

Barbara Steppes Geheimnis

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Barbara Steppes Geheimnis

MADAME CÉZANNE musste ihrem Mann für ein Porträt tagelang sitzen. Andy Warhol pflegte Prominente, die von ihm porträtiert werden wollten, zu deren Entsetzen zu einem besonderen Fotoautomaten in der New Yorker Subway zu schicken. Auch bei Barbara Steppe (geb. 1956) müssen die Porträtierten mitarbeiten: Sieben Tage lang führen sie minutiös Tagebuch darüber, womit sie ihre Zeit verbringen.

Die Angaben werden von der Künstlerin kategorisiert und in Statistik übertragen (etwa: 30 % schlafen, 5 % öffentliche Verkehrsmittel). Am Ende erscheinen die Tätigkeiten als Farbfelder, Bestandteile von Möbelstücken oder Architekurmodellen, transponiert in Einzelporträts.

Doch diese Individualität ist ein Konstrukt. Steppe setzt nicht etwa individuelle Ausstrahlungen oder persönliche Eindrücke minimalistisch um, wie Mondrian mit „New York“ oder Scully mit seinen Streifenbildern. Als Kommentar zum modernen Statistikwahn gestaltet sie Individualität nach Maßgabe der statistischen Abweichung.

Ihre „Erhebung“ eines Menschen ist subjektiv, doch nicht ahistorisch: Das, was sie tun und erlebt haben, meint Barbara Steppe, drücke dem Tagesablauf der Menschen seinen Stempel auf und präge somit auch die individuelle Komposition innerhalb der Serie. Ob allerdings wirklich jemand „lügen 8 %“ angegeben hat – das bleibt Barbara Steppes Geheimnis.M.L.K.

Le Monde diplomatique vom 17.01.2003, von M.L.K.