14.02.2003

Konsum und Schmerz

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Konsum und Schmerz

Wie redet man in Zeiten wie diesen über Demokratie und Menschenrechte, und was hat der Schmerz darin zu suchen? Der Autor John Berger unternimmt eine persönliche Momentaufnahme und sucht nach dem Zusammenhang zwischen den Entscheidungen in Wirtschaft und Politik und dem Tod in der Welt.

Von JOHN BERGER *

ICH möchte zumindest etwas über den Schmerz sagen, den es in der heutigen Welt gibt.

Der Konsumismus, der längst die mächtigste und alles vereinnahmende Ideologie auf unserem Planeten ist, will uns glauben machen, Schmerz sei wie ein Unfall, gegen den wir uns versichern könnten. Das ist der Grund, warum diese Ideologie so gnadenlos ist.

Natürlich weiß jeder, dass Schmerz zum Leben gehört, und jeder möchte ihn am liebsten vergessen oder relativieren. Alle Mythen vom Verlust des Goldenen Zeitalters, in dem es noch keinen Schmerz gab, sind letztlich Versuche, den Schmerz, der uns widerfährt, zu relativieren. Dasselbe gilt für die Erfindung der Hölle, jenem benachbarten Schmerz-als-Strafe-Reich. Und für die Entdeckung der Opfergabe. Und später, viel später, auch für das Prinzip der Vergebung. Man könnte behaupten, am Anfang der Philosophie habe die Frage gestanden: Warum gibt es Schmerz?

Dennoch ist der Schmerz, in der heutigen Welt zu leben, vielleicht von anderer Art als je zuvor.

Um mich ist es dunkel, auch wenn es Tag ist. Ein Tag Anfang Oktober 2002. Fast eine Woche lang ist der Himmel über Paris nun schon blau. Tag für Tag geht die Sonne ein wenig früher unter, und Tag für Tag in gleicher Pracht. Viele befürchten, dass noch vor Ende des Monats die amerikanischen Streitkräfte ihren „Präventivkrieg“ gegen den Irak beginnen könnten, damit die Ölgesellschaften weitere, vermeintlich sichere Ölvorkommen unter ihre Fittiche bekommen. Andere hoffen, der Krieg könne vermieden werden. Zwischen den bekannt gegebenen Entscheidungen und den geheimen Überlegungen bleibt alles im Unklaren, denn Lügen bereiten den Raketen den Weg. Das Dunkel um mich ist ein Dunkel der Scham und der Schande.

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Unter Scham verstehe ich nicht eine individuelle Schuld. Scham, so wie ich sie verstehe, ist ein zutiefst menschliches Gefühl, das langfristig die Möglichkeit zu hoffen zersetzt und uns hindert, nach vorn zu schauen. Wir senken den Blick auf unsere Füße und denken nur noch an den nächsten kleinen Schritt.

Überall – und unter sehr verschiedenen Bedingungen – fragen sich Menschen derzeit: Wo leben wir? Die Frage ist historisch gemeint, nicht geografisch. Was durchleben wir gerade? Wohin treiben wir? Was haben wir verloren? Wie sollen wir weitermachen, so ohne eine überzeugende Zukunftsvorstellung? Warum haben wir die Sicht auf alles, was jenseits unserer Lebenszeit liegt, verloren?

Die hoch dotierten Experten antworten: Globalisierung. Postmoderne. Technologische Revolution. Ökonomischer Liberalismus. Die Begriffe sind austauschbar und irreführend. Auf die ängstliche Frage, wo wir leben, murmeln die Experten: Nirgendwo.

Wäre es nicht besser, wenn wir einsähen und offen erklärten, dass wir in dem tyrannischsten – weil überwältigendsten – Chaos leben, das es je gab? Es ist nicht einfach, das Wesen dieser Tyrannei zu erkennen, denn deren Machtstruktur (die von den 200 größten multinationalen Unternehmen bis zum Pentagon reicht) ist verzahnt, aber diffus, diktatorisch, aber anonym, allgegenwärtig, aber ortlos. Ihre Tyrannenherrschaft regiert von offshore, und zwar nicht nur geldpolitisch gedacht, sondern auch im Sinne einer politischen Kontrolle jenseits der eigenen. Ihr Ziel ist es, die gesamt Welt zu entorten. Ihre ideologische Strategie – und daneben erscheint Bin Ladens Strategie wie ein Märchen – zielt darauf ab, das Bestehende derart zu untergraben, dass sich alles ihrer spezifischen Form von Virtualität anverwandelt, in deren Reich – und das genau ist das tyrannische Credo – der Profit nie versiegt. Das klingt dumm. Tyranneien sind dumm. Diese hier zerstört – und zwar auf allen Ebenen – das Leben auf dem gesamten Planeten, auf dem sie agiert.

Jenseits der Ideologie beruht die Macht dieser Tyrannei auf zwei Bedrohungen. Die erste ist die Intervention aus der Luft durch den höchstgerüsteten Staat der Welt. Man könnte sie die „B-52-Bedrohung“ nennen. Die zweite ist die skrupellose Verschuldung bis hin zum Bankrott; angesichts der heutigen Produktionsbeziehungen in der Welt bedeutet das: Hunger. Man könnte sie „Null-Bedrohung“ nennen.

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Die Scham beginnt mit der Erkenntnis (die wir alle irgendwie einsehen, aber aus Machtlosigkeit abtun), dass viel vom heutigen Schmerz gemildert oder vermieden werden könnte, wenn man einige realistische und relativ einfache Entscheidungen träfe. Es gibt heute einen direkten Zusammenhang zwischen den Entscheidungen in Wirtschaft oder Politik und dem Sterben in der Welt.

Hat irgendjemand verdient, zum sicheren Tod verurteilt zu sein, nur weil ihm eine medizinische Behandlung verwehrt wird, die weniger als zwei Dollar pro Tag kosten würde? Diese Frage stellte die Leiterin der Weltgesundheitsorganisation im vergangenen Juli. Sie sprach über die Aidsepidemie in Afrika und anderswo, an der in den nächsten 18 Jahren schätzungsweise 68 Millionen Menschen sterben werden. Ich spreche über den Schmerz, in der heutigen Welt zu leben.

Die meisten Analysen und Prognosen zum gegenwärtigen Geschehen werden verständlicherweise in getrennten Fachgebieten vorgelegt und erörtert, die sich mit Wirtschaft, Politik, Medien, Gesundheitswesen, Umweltfragen, Landesverteidigung, Kriminalität, Bildung usw. befassen. In der Realität sind diese Felder jedoch eng miteinander verbunden und bilden gemeinsam unsere Lebenswelt. Es kommt vor, dass Menschen in ihrem Leben unter Übeln leiden, die je verschiedenen Kategorien zugeordnet werden, aber sie leiden gleichzeitig an diesen unlösbar miteinander verknüpften Übeln. Ein aktuelles Beispiel: Einige Kurden, die letzte Woche nach Cherbourg flohen und denen nun die Abschiebung in die Türkei droht, weil die französische Regierung ihnen kein Asyl gewähren will, sind arm, politisch unerwünscht, ohne Bleibe, erschöpft, illegal und ohne Interessenvertretung. Und sie leiden an all diesen Übeln in ein und derselben Sekunde.

Wenn wir dem tatsächlichen Geschehen gerecht werden wollen, bedarf es einer interdisziplinären Sicht, die zusammenfügt, was institutionell getrennt wird. Und jede Sicht dieser Art muss (im ursprünglichen Sinne des Wortes) politisch sein. Voraussetzung für solch ein globales politisches Denken ist die Einsicht, dass all dieses unnötige Leid eine Einheit bildet. Das ist der Ausgangspunkt.

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Um mich ist es dunkel, aber ich sehe nicht nur die Tyrannei. Wenn dem so wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht den Mut, weiterzumachen. Ich sehe die Menschen schlafen, ich sehe, wie sie aufschrecken und aufstehen, um einen Schluck Wasser zu trinken; wie sie anderen ihre Pläne oder Befürchtungen zuflüstern; wie sie Liebe machen, beten, etwas kochen, während der Rest der Familie schläft – in Bagdad und in Chicago. (Ja, ich sehe auch die unbesiegbaren Kurden; 4 000 von ihnen hat Saddam Hussein einst vergast – mit Billigung der USA.) Ich sehe die Pastetenbäcker in Teheran und die Hirten auf Sardinien, die neben ihren Schafen schlafen und als Banditen gelten. Ich sehe einen Mann in Berlin-Friedrichshain im Pyjama mit einer Flasche Bier dasitzen und Heidegger lesen, und seine Hände sind die eines Proletariers. Ich sehe ein Boot mit illegalen Einwanderern vor der spanischen Küste bei Alicante. Ich sehe eine Mutter in Mali ihr Baby in den Schlaf wiegen; ihr Name ist Aya, das heißt „Am Freitag geboren“. Ich sehe in den Ruinen von Kabul einen Mann nach Hause gehen, und ich weiß, dass trotz all des Schmerzes der Einfallsreichtum der Überlebenden ungebrochen ist, ein Einfallsreichtum, der Kraft kostet und Kraft spendet, und in der unbeirrbaren Erfindungsgabe dieses Einfallsreichtums liegt ein geistiger Wert, so etwas wie der Heilige Geist, davon bin ich überzeugt inmitten dieses Dunkels, auch wenn ich nicht weiß, warum.

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Der nächste Schritt ist die Ablehnung der Sprache, deren die Tyrannei sich bedient. Ihre Begriffe sind reine Täuschung. In ihren endlos wiederholten Reden, Erklärungen, Pressekonferenzen und Drohungen kehren einige Begriffe immer wieder: Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Terrorismus. Aber jedes dieser Worte bedeutet in diesem Kontext genau das Gegenteil von dem, was sie einst bedeuten sollten. Sie alle sind vertauscht, zum Codewort einer Gang gemacht, der Menschheit gestohlen worden.

Demokratie ist ein (selten verwirklichter) Vorschlag, wie Entscheidungen herbeigeführt werden sollten; mit Wahlkämpfen hat sie wenig zu tun. Sie verspricht, dass Entscheidungen erst getroffen werden, wenn man die Meinung der Regierten eingeholt hat. Voraussetzung dafür ist eine angemessene Information der Regierten über die betreffenden Fragen, wie auch die Fähigkeit und Bereitschaft der Entscheidungsträger, diese Meinung einzuholen und zu beachten. Wir dürfen Demokratie nicht mit der „Freiheit“ verwechseln, zwischen Ja und Nein zu wählen, oder mit der Veröffentlichung von Meinungsumfragen oder mit der Zusammenfassung der Menschen zu statistischen Größen. Das ist nur Scheindemokratie.

Heute werden die grundlegenden Entscheidungen, die Auswirkungen auf das weltweit wachsende unnötige Leid haben, einseitig und ohne offene Konsultation oder Partizipation getroffen. Wie viele US-Bürger hätten zum Beispiel, falls man sie gefragt hätte, Ja zu Bushs Rückzug aus dem Kioto-Protokoll über die Eindämmung des Treibhauseffekts gesagt, der schon heute an vielen Orten zu verheerenden Überschwemmungen führt und in den nächsten 25 Jahren zu noch schlimmeren Katastrophen führen wird? Ich denke, nur eine Minderheit, und das trotz aller Propaganda.

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Vor kaum mehr als einem Jahrhundert komponierte Dvorák seine Symphonie „Aus der Neuen Welt“. Als er sie schrieb, war er Direktor des New Yorker Konservatoriums, und diese Arbeit inspirierte ihn achtzehn Monate später, immer noch in New York, zur Komposition seines sublimen Cellokonzerts. In der Symphonie werden die Horizonte und welligen Hügel seiner böhmischen Heimat zu einem Versprechen auf die Neue Welt. Nicht großsprecherisch, aber doch laut und stetig, denn sie entsprechen der Sehnsucht der machtlosen, der fälschlich als einfach bezeichneten Menschen, all jener, an die sich die Verfassung der USA 1787 wandte.

Ich kenne kein einziges Kunstwerk, das so unmittelbar und dennoch so kraftvoll den Glauben zum Ausdruck bringt, der viele Generationen von Einwanderern beseelte, die dann zu Bürgern der Vereinigten Staaten wurden. (Dvorák war der Sohn eines Bauern, der davon träumte, dass sein Sohn Schlachter würde.)

Für Dvorák war die Kraft dieses Glaubens unlösbar verbunden mit einer respektvollen Liebe zum Leben, wie man sie überall auf der Welt bei den Regierten (im Unterschied zu den Regierenden) findet. Und genau in diesem Geiste wurde die Symphonie aufgenommen, als sie am 16. Dezember 1893 in der Carnegie Hall ihre Uraufführung erlebte.

Auf die Frage nach der Zukunft der amerikanischen Musik empfahl Dvorák den amerikanischen Komponisten, sich die Musik der Indianer und der Schwarzen anzuhören. Die Symphonie „Aus der Neuen Welt“ brachte eine grenzenlose Hoffnung zum Ausdruck, die gerade deshalb so ansprechend wirkt, weil sie in der Idee der Heimat gründet. Ein utopisches Paradoxon.

Heute ist die Macht des Landes, das einst solche Hoffnungen weckte, einer Bande skrupelloser B-52-Verschwörer in die Hände gefallen. Sie sind Fanatiker (sie wollen alles einschränken außer der Macht des Kapitals), Ignoranten (sie kennen nur die Realität ihrer eigenen Feuerkraft) und Heuchler (in moralischen Fragen legen sie stets zweierlei Maß an, eines an das eigene, ein anderes an fremdes Tun). Wie konnten Bush, Murdoch, Cheney, Kristol, Rumsfeld und andere Gestalten von der Art eines Arturo Ui dorthin gelangen, wo sie heute sind? Die Frage ist rhetorisch, denn sie verlangt viele verschiedene Antworten, und sie bringt nichts, denn keine Antwort wird sie von der Macht verdrängen. Doch sie in dieser Dunkelheit so zu stellen zeigt immerhin die Ungeheuerlichkeit des gegenwärtigen Geschehens. Ich schreibe über den Schmerz in der Welt.

Die politischen Mechanismen der neuen Tyrannei sind äußerst einfach, auch wenn sie hoch entwickelte Technologien benötigen, um zu funktionieren. Man usurpiere Begriffe wie Demokratie, Freiheit usw., setze das neue ökonomische Chaos, das Profit und Verarmung bringt, überall in der Welt durch und unterdrücke jegliche Opposition, indem man sie terroristisch nennt.

Es gibt da einen spielzeugähnlichen Gegenstand, dessen Herstellung etwa 4 Dollar kostet und der ohne Zweifel ein Instrument des Terrors ist. Man nennt ihn Tretmine oder neuerdings auch „Antipersonenmine“. Wer solche Tretminen auslegt, weiß nie, wen sie töten oder verletzen werden oder wann das geschehen wird. Gegenwärtig liegen auf der ganzen Erde mehr als hundert Millionen Tretminen im Boden versteckt. Betroffen sind fast immer Zivilisten.

Tretminen sollen nicht unbedingt töten, sondern verletzen. Ihr Ziel ist es, Menschen zu Krüppeln zu machen. Durch die Beigabe von Eisenschrot hofft man, die medizinische Behandlung zu erschweren und zu verlängern. Jeden Monat werden heute zweitausend Menschen durch solche Minen verstümmelt oder getötet.

Die heute übliche Bezeichnung als „Antipersonenmine“ ist sprachlicher Mord. „Personen“ klingt anonym. Personen haben keinen Namen, kein Alter und kein Geschlecht. Sie sind eben nicht Menschen. Die Bezeichnung „Antipersonenmine“ ignoriert das Blut, die Gliedmaßen, den Schmerz, die Amputationen, die Gefühle und die Liebe. Sie abstrahiert von allem. So kommt es, dass zwei Worte, zu einem Sprengmittel vereint, terroristisch werden.

Wie die anderen Tyranneien der jüngeren Geschichte, so stützt sich auch die neue Tyrannei in weitem Maße auf einen systematischen Missbrauch der Sprache. Gemeinsam müssen wir die entwendeten Begriffe zurückfordern und die gefährlichen Euphemismen zurückweisen. Sonst bleiben uns bald nur zwei Worte: Schande und Scham.

Das ist keine einfache Aufgabe, denn der offizielle Diskurs ist bildhaft, assoziativ, irreführend und voller Anspielungen. Nur wenige Dinge werden klar und eindeutig gesagt. Sowohl Militär- als auch Wirtschaftsstrategen haben erkannt, dass die Medien eine entscheidende Rolle spielen – nicht bei der Bekämpfung des jeweiligen Feindes, sondern bei dem Versuch, Meuterei, Protest und Desertion zu verhindern. Jede Manipulation der Medien durch die Tyrannei gibt an, was diese fürchtet. Die gegenwärtige lebt in der Furcht, die Welt könnte in Verzweiflung versinken. Und die Furcht ist so tief, dass man nicht einmal mehr das Adjektiv „verzweifelt“ benutzt.

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Ohne Geld wird jedes alltägliche menschliche Bedürfnis zur Qual.

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Die da die Macht an sich gerissen haben – sie sind nicht alle in gewählten Ämtern, sodass sie darauf zählen, dass ihre Macht die Wahlperioden überdauert – behaupten, dass sie die Welt retten, und laden die Menschen ein, sich in ihre Kunden zu verwandeln. Der Weltkonsument ist heilig. Dabei verschweigen sie, dass Konsumenten nur zählen, sofern sie Profite bringen. Denn nur der Profit ist heilig. Dieser Dreh führt uns zu dem entscheidenden Punkt.

Der Anspruch, die Welt zu retten, verdeckt die Überzeugung der Verschwörer, dass weite Teile der Welt – darunter Afrika und ein großer Teil Südamerikas – gar nicht zu retten sind. Tatsächlich gilt ihnen jeder Winkel der Erde, der sich nicht in ihr Zentrum einfügen lässt, als unrettbar verloren. Dieser Schluss ergibt sich mit zwingender Notwendigkeit aus dem Dogma, wonach das Heil allein im Geld liegt und die Welt nur eine solche Zukunft haben kann, die ihren Prioritäten entspricht, wobei diese Prioritäten trotz der gezielten Begriffsverwirrung nichts anderes als ihre eigenen Vorteile darstellen. Menschen, die andere Visionen und Hoffnungen für die Welt hegen, und jene Menschen, die nichts kaufen können, sondern von der Hand in den Mund leben (nahezu 800 Millionen), sind in den Augen der Mächtigen entweder Relikte eines vergangenen Zeitalters oder aber „Terroristen“, falls sie mit friedlichen Mitteln oder Waffengewalt Widerstand leisten. Man fürchtet sie als Überbringer von Tod, Krankheit oder Aufruhr.

In ihrer Naivität glaubt die Tyrannei, die Welt werde eins sein, wenn es ihr gelänge, die Zahl dieser Menschen zu verringern. Sie braucht den Traum eines Happyends. Einen Traum, der in Wirklichkeit ihr Ende bedeutet. Gegen diese Tyrannei ist jede Form von Widerstand vorstellbar. Aber ein Dialog ist unmöglich. Wenn wir in rechter Weise leben und sterben wollen, müssen wir die Dinge beim rechten Namen nennen. Und dazu müssen wir unsere Begriffe zurückfordern.

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Um mich ist es dunkel. Im Krieg ist die Dunkelheit auf niemandes Seite. In der Liebe bestärkt sie unser Gefühl, dass wir zusammen sind.

dt. Michael Bischoff

* Britischer Schriftsteller und Kunstkritiker, lebt in Frankreich. Auf Deutsch lieferbare Bücher u.a.: „Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens“, Berlin (Wagenbach) 2000, „Das Sichtbare und das Verborgene“, Frankfurt (Fischer Taschenbuch) 1999. „Das Kunstwerk. Über das Leben von Bildern“. Berlin (Wagenbach) 2001.

Le Monde diplomatique vom 14.02.2003, von JOHN BERGER