14.02.2003

Vor dem Krieg

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Vor dem Krieg

ALLES deutet darauf hin, dass die USA mit einigen ihrer Vasallen tatsächlich gegen den Irak in den Krieg ziehen werden. Die Land-, Luft- und Seestreitsträfte der beeindruckenden US-Militärmaschinerie sind in Stellung gebracht, die Logistik steht, und die Fernsehteams aus aller Welt haben ihre Kameras aufgebaut. Der Befehl zur Eröffnung des Feuers dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Eine international verbindliche Rechtsgrundlage für einen solchen Angriffskrieg gibt es bislang nicht. Die UN-Inspektoren, die im Irak nach Massenvernichtungswaffen fahnden, sind noch immer zu keinem Schluss gekommen. Der Bericht, den sie der UNO am 27. Januar vorlegten, ist inhaltsleer. Im Übrigen konnte eine irgendwie geartete Verbindung zwischen Bagdad und islamistischen Terrornetzen nicht nachgewiesen werden. Dies gilt insbesondere für al-Qaida, die seit den schrecklichen Anschlägen vom 11. September 2001 zum US-Staatsfeind Nummer eins erklärt wurde. Zu Recht fordert die Weltöffentlichkeit stichhaltige Beweise, die den Angriff auf den Irak rechtfertigen.

Das irakische Regime ist ohne Frage widerwärtig. Saddam Hussein hat wiederholt Massaker unter der eigenen Bevölkerung angerichtet und schreckte bei dieser Gelegenheit auch nicht vor dem Einsatz von international verbotenen Kampfgasen zurück. Aber: Lässt sich damit ein „Präventivkrieg“ rechtfertigen? Hussein ist leider nicht der einzige finstere Autokrat dieser Welt. Und Washington hatte keine Skrupel, ihn und andere Diktatoren seines Schlags zu unterstützen, solange es den eigenen Interessen förderlich schien.

Die Galerie der zweifelhaften Freunde Washingtons ist lang: Marcos auf den Philippinen, Suharto in Indonesien, der Schah im Iran, Somoza in Nicaragua, Batista in Kuba, Trujillo in der Dominikanischen Republik, Pinochet in Chile, Mobuto in Zaire. Einige dieser Tyrannen genießen noch immer die Unterstützung der USA, darunter auch Teodoro Obiang von Äquatorialguinea, den George W. Bush im September vorigen Jahres mit allen Ehren im Weißen Haus empfing.

Angesichts solcher Willkür seitens Washingtons zögern selbst alte Verbündete der USA. Frankreich und Deutschland sehen keine hinreichenden Beweise, die eine bewaffnete Intervention rechtfertigen würden. Sie fordern eine Verlängerung der UN-Mission, um zweifelsfrei festzustellen, ob Bagdad Massenvernichtungswaffen besitzt. In jedem Fall aber bedürfe der Einsatz militärischer Mittel gegen den Irak einer zweiten Resolution des UN-Sicherheitsrats.

Frankreich will nicht ausschließen, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen. Russland und China, auch sie ständige Mitglieder des Sicherheitsrats, fühlen sich durch die deutsch-französischen Stellungnahmen zu forscherem Auftreten ermutigt und fordern ebenfalls eine weitere UN-Resolution.

IN Washington sorgten diese Vorbehalte für starke Irritationen. Vor allem Paris und Berlin wird mangelnde Loyalität vorgeworfen. Doch von ihrem Vorsatz, den Irak mit Krieg zu überziehen, scheinen die Vereinigten Staaten nicht abrücken zu wollen. US-Außenminister Colin Powell kündigte an, die Vereinigten Staaten könnten auf ein Dutzend „befreundete Länder“ zählen, genug für eine internationale Allianz. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kanzelte die Verweigerer als „altes Europa“ ab, unterstützt durch einen europäischen Pro-Bush-Appell, den die sieben Regierungschefs von Großbritannien, Spanien, Portugal, Italien, Dänemark, Ungarn und Polen sowie der inzwischen aus dem Amt geschiedene tschechische Staatspräsident Václav Havel unterschrieben haben.

Gewollt wird der Krieg von den „Falken“ um US-Präsident Bush. Dazu gehören Richard Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, Richard Perle, Douglas Feith, Jack D. Crouch und John R. Bolton. In ihrer Machtbesessenheit glauben sie, eine militärische Lösung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme sei in jedem Fall die beste.

Mit großer Beunruhigung diskutiert indes die Weltöffentlichkeit die wahren Hintergründe der Militärintervention. Auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre zum Beispiel prägte diese Frage sämtliche Debatten. Viele der anwesenden Intellektuellen – Noam Chomsky, Tariq Ali, Naomi Klein, Adolfo Perez Esquivel, Eduardo Galeano und andere – bezeichneten es als absurd, ja kriminell, Dutzende von Milliarden Dollar für einen Krieg aufzuwenden, der nicht gerechtfertigt ist. Nützlicher wäre das Geld in der Versorgung der drei Milliarden Armen des Planeten mit Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, mit Nahrung und Wohnraum angelegt. So lautete denn auch die Botschaft, die Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva den in Davos versammelten Herren der Welt mit auf den Weg gab.

Für weite Teile der Weltöffentlichkeit zielt der bevorstehende Krieg in Wahrheit auf die Kontrolle der weltweit größten Erdöllagerstätten. Darin äußert sich die neue imperiale Arroganz der Vereinigten Staaten, eine Art „Laune des Mächtigen“, die neben den zu erwartenden Menschenopfern verheerende geopolitische Konsequenzen nach sich ziehen könnte.

Le Monde diplomatique vom 14.02.2003, von IGNACIO RAMONET