16.01.2004

Seltsame Bettgenossen

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Seltsame Bettgenossen

IN der Politik gibt es zuweilen Bettgenossen, die sofort als widernatürlich erkennbar sind. Das gilt etwa für das Bündnis zwischen dem spanischen Regierungschef José María Aznar und dem polnischen Präsidenten Alexander Kwaśniewski – jenes spanisch-polnische Techtelmechtel also, das die Verabschiedung der europäischen Verfassung vorerst verhindert hat.

Aznar ist ein aus dem Frankismus hervorgegangener Politiker der spanischen Rechten. Kwaśniewski und Leszek Miller entstammen der kommunistischen Nomenklatura und sind erfolgreich zu Sozialdemokraten und treuen Bündnispartnern des amerikanischen Imperiums konvertiert. Überdies repräsentieren sie zwei Länder, deren Interessen in und gegenüber der Europäischen Union so gegensätzlich sind, dass sie bei der Verteilung der EU-Gelder zwangsläufig aneinander geraten werden. Wie also konnten Spanien und Polen dennoch eine Achse schmieden und die Union in eine schwer auflösbare Krise stürzen?

Die Konstellation ist nur vor dem Hintergrund der Irritationen zu verstehen, die schon von der 40-Jahr-Feier des Elysée-Vertrags datieren. Das „eiserne Bündnis“, das die deutsch-französische Erklärung im Elysée-Palast anzukündigen schien, weckte Ängste und Mißtrauen: zunächst bei einigen kleineren EU-Partnern, dann auch – als sich die beiden Großen der EU nicht in den Irakkrieg ziehen ließen – jenseits des Atlantiks.

Skandalöserweise erfuhr man in Paris und Berlin erst aus der Presse, was einige europäische Partner mit dem berühmten „Brief der Acht“ ausgeheckt hatten. Die Ergebenheitsadresse an Washington, die den Irakkrieg unterstützte, war von Aznar und Blair initiiert, aber unterschrieben hatten auch einige Beitrittsländer. Es war die Geburtsstunde des „Neuen Europa“, dessen Spannweite durch Spanien und Polen veranschaulicht wird. Paris und Berlin witterten einen Dolchstoß. Chiracs Rüge, die Länder sollten zumindest warten, bis sie beigetreten wären, bevor sie sich zur europäischen Politik äußerten, dürfte Polen in seiner Linientreue zur USA bestärkt haben.

Es folgten Entscheidungen, die die Kluft zwischen Polen und den beiden Führungsnationen der EU vertieften. Warschau bestellte für seine Luftwaffe die US-amerikanischen F16-Fighter statt der europäischen Konkurrenzprodukte und begann ganz offen, die US-Militärbasen aus Deutschland nach Polen zu locken. In der deutschen Presse war zu lesen, Polen wolle EU-Gelder einstecken, um sie in US-Flugzeuge zu investieren. In Warschau kursierte die Frage, ob die USA oder die EU der bessere Bündnispartner für Polen sei. Selbst helle Köpfe wie Geremek und Michnik bedienten das verbreitete Misstrauen gegenüber Europa. Wieder ertönte die alte Leier, Polen habe seine Befreiung vom Kommunismus doch nur Reagan zu verdanken. Helmut Schmidts unglückliche Äußerung, er wünsche sich in seinem Kabinett einen Mann wie Polens Kommunistenführer Edward Gierek, wurde ebenso aufgewärmt wie die angebliche Äußerung Willy Brandts zu Zeiten der Solidarność, die Polen sollten besser arbeiten und weniger streiken. Polen wurde zum „Trojanischen Pferd der USA in Europa“. Doch diese an sich beleidigend gemeinte Metapher schien niemanden wirklich zu stören. Adam Michnik wird sogar der Satz zugeschrieben: „Ich bin lieber das Trojanische Pferd der USA als der Packesel Europas.“

AM anderen Ende Europas betrieb Aznar eine ganz ähnliche Politik, ohne sich im mindesten um die eine Million Spanier zu scheren, die am 15. Februar auf den Straßen gegen den Irakkrieg protestierten. Vielleicht ist Spanien das Land mit dem stärksten Antiamerikanismus – trotzdem ließen die Wähler bei den Kommunalwahlen vom 25. Mai die Regierungspartei ungerupft.

Die Achse Madrid–Warschau wurde sicher auch dadurch gehärtet, dass beide Länder gemeinsam im Irak eine 80 000 Quadratkilometer große Zone mit vier Millionen Einwohnern okkupieren. Entscheidend war aber das gemeinsame Interesse, sich gegen den deutsch-französischen Versuch zu wehren, die künftige Machtverteilung in der EU zu kippen, die man in Nizza vereinbart hatte und die Polen und Spanien begünstigt. Zweifellos haben beide Länder gute Gründe, und Schröder wie Chirac haben den Vertrag von Nizza ja selbst unterzeichnet. Mit ihrer Entscheidung, dass die Nichteinhaltung des Stabilitätspakts folgenlos bleiben soll, haben die beiden Großen jedoch an Glaubwürdigkeit verloren und in Warschau und Madrid den Argwohn verstärkt, sie wollten die EU nach ihrer Pfeife tanzen lassen.

Dennoch fragt sich, wie lange Polen und Spanien ihr Veto in Sachen EU-Verfassung durchhalten können. In Polen ist das Thema zu einer existenziellen Frage geworden; hier ertönt sogar schon der nekrophile Ruf: „Nizza oder Tod!“ Verstärkt wird diese Stimmung durch zwei tief in der politischen Kultur Polens verwurzelte Motive: Zum einen sieht sich Polen als ewiges Opfer seiner Nachbarn, zum anderen aber auch als ein zu großen historischen Aufgaben berufenes Land – wie etwa die Wahl eines polnischen Papstes und die Vorreiterrolle beim Sturz des Kommunismus zeigen. In Spanien dagegen könnte sich im kommenden Frühjahr das Blatt wenden. Wenn Aznar sich nach den Wahlen am 14. März aus der aktiven Politik zurückzieht, wird es zwar voraussichtlich weiterhin eine vom Partido Popular gebildete Regierung geben. Doch unklar ist, ob der neue Parteichef Mariano Rajoy an Aznars absoluter Loyalität gegenüber den USA und an dessen Konfrontationskurs gegenüber den traditionellen EU-Partnern festhalten wird. Frankreich und Deutschland ihrerseits haben das Spiel begonnen, den einen renitenten Kandidaten mit EU-Geldern zu locken, dem anderen dagegen mit Kürzungen zu drohen. So erklärte etwa Joschka Fischer, es sei besser, die ersten Autobahnen in Polen zu finanzieren als die laufenden Autobahnprojekte im Süden Europas zu vollenden. Wenn solche Belastungstests auf die spanisch-polnischen Beziehungen zukommen, wird sich zeigen, ob die seltsamen Bettgenossen mehr verbindet als ein flüchtiges erotisches Knistern.

JOSÉ COMAS,Deutschlandkorrespondent von El País

Le Monde diplomatique vom 16.01.2004, von JOSÉ COMAS