16.01.2004

Mutanten im Aquarium

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Mutanten im Aquarium

GENETISCH veränderte Getreidesorten und Labormäuse gibt es schon seit einiger Zeit. Jetzt haben taiwanesische Wissenschaftler einen relativ unscheinbaren Zebrafisch per Genmanipulation zum Leuchten gebracht. Der Effekt sollte eigentlich nur der medizinischen Forschung dienen: Die genveränderten Organe lassen sich bei automatischer Innenbeleuchtung genauer betrachten. Night Pearl heißt der kleine Zebrafisch. Jetzt hat sich die transgene Nachtperle auch bei den Liebehabern von Zierfischen durchgesetzt.

Von FRANCK MAZOYER *

In Taiwan ist die Hölle los. Alle Aquarienliebhaber warten zum chinesischen Neujahrsfest sehnsüchtig auf den TK3, die dritte Generation eines kleinen, sechs Zentimeter langen Fischs. „Night Pearl“, die Nachtperle, ist ein wunderbar fluoreszierender Zebrafisch (Danio rerio). Die Zoohandlungen haben Hunderte von ihnen bestellt.

Dabei war das aus den südindischen Gewässern stammende Geschöpf zunächst ein ganz gewöhnlicher Fisch, den Mutter Natur mit einer reizlos schwärzlichen Farbe ausgestattet hatte. Zum Star wurde er erst im Geheimlabor der Universität von Singapur. Hinter seiner magischen Fluoreszenz steckt nämlich nicht die Natur, sondern deren komplettes Gegenteil.

Vor drei Jahren pfropften Dr. Gong Zhiyuan und seine Kollegen von der Staatlichen Universität Singapur das Gen einer Qualle, das von Natur aus ein grün fluoreszierendes Protein synthetisiert, auf das Genom des keinen Zebrafischs. Und das Wunder geschah: Hinter der durchsichtigen Haut begannen seine Organe wie tausend Feuer zu leuchten.

Ursprünglich sollte die geheim gehaltene Manipulation nur den Genetikern die Arbeit erleichtern: Ein fluoreszierendes Organ lässt sich leichter untersuchen. So entwickelte sich der kleine Zebrafisch in den letzten Jahren zum Labortier par excellence. Er lässt sich leicht vermehren, der Übergang vom Ei- zum Larvenstadium dauert nur 72 Stunden, und hinter der durchsichtigen Haut sind die inneren Organe in allen Einzelheiten sichtbar.

Die großen internationalen Genforschungszentren schätzen den Zebrafisch daher als das ideale Versuchstier, das in Zukunft Ratten und Mäuse ersetzen wird. Noch im Eistadium nehmen die Forscher Eingriffe am genetischen Erbe vor. Und schon 72 Stunden später offenbaren die Organe die Auswirkungen dieser Manipulation. Eine echte wissenschaftliche Revolution.

Dank des Fischleins konnten für das Verständnis der Organentwicklung spektakuläre Fortschritte erzielt werden. Man studiert an ihm zum Beispiel, welche Gene bei der Entwicklung des Herzens oder des Darms, der Blutzellen, Muskeln, Nieren und Augen, ja sogar des Gehirns eine Rolle spielen. Die Forscher aus Singapur sind auch in der Lage, das Fluoreszenz produzierende Gen nur in ganz bestimmte Organzellen einzupflanzen und je nach Wunsch ihrer wissenschaftlichen Kundschaft das Herz oder nur die Augen leuchten zu lassen.

Dr. Gong Zhiyuan und seine Kollegen schufen auch Zebrafische, die sich bei Kontakt mit verschmutztem Wasser rot färben und als Umweltindikatoren eingesetzt werden können. In naher Zukunft hoffen sie Varianten herzustellen, die ihre Farbe temperaturabhängig verändern. Die Forschungsergebnisse machten rasch die Runde, und so versuchte eine Gruppe taiwanesischer Wissenschaftler um Professor Huai-Jen Tsai den dunklen Zebrafisch in eine Art Unterwasserglühwürmchen zu verwandeln – mit Erfolg. Und davon sollten diesmal nicht nur die Genlabore profitieren. Willis Fang, Chef des größten taiwanischen Herstellers von Zierfischen – Taikong Corp – erkannte sofort das Vermarktungspotenzial: Welcher Aquariumbesitzer könnte dem magischen Leuchten des aquatischen Mutanten widerstehen?

Also traf der Geschäftsmann den Forscher und schloss mit ihm einen Vertrag: Die Taikong Corp finanziert die wissenschaftlichen Untersuchungen, und dafür überlässt das Institut ihr die Vermarktung. TK1, das erste transgene Haustier, war geboren. Die erste Marge, 100 000 Mutanten, war in weniger als einem Monat produziert. Bei einem Stückpreis von 15 Euro und kaum nennenswerten Produktionskosten belief sich der Gewinn auf über eine Million Euro. Das war für das Unternehmen wie für die Forscher das Huhn, das goldene Eier legt, der Jackpot. So genehmigte Taiwan vor einem Jahr als erstes Land überhaupt die Vermarktung eines gentechnisch veränderten Lebewesens.

Der Export nach Japan und Singapur wurde auf Betreiben von Umweltschutzorganisationen zwar zunächst eingestellt, aber die endgültige Genehmigung durch die Veterinärbehörden wird wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen. Einstweilen ist der Fisch also nur in Taiwan frei verkäuflich – und wird dadurch zur attraktiven Schmuggelware. In Singapur beschlagnahmten die Veterinärbehörden bereits mehrere Schiffsladungen mit illegal importiertem TK1. Auch die übrige Welt scheint sich den Vermarktungsbestrebungen nicht entziehen zu können. In Frankreich teilen sich die beiden Einkaufszentralen Truffault (Animalis) und Jardiland 80 Prozent des Markts für Aquarienfische. Dem Vernehmen nach hat das taiwanische Unternehmen zwecks Markteinführung in Frankreich und Europa bereits Kontakt zu den beiden Firmen aufgenommen. Die Geschäftsleitungen versichern zwar, derzeit würden transgene Fische in keiner ihrer Filialen angeboten – nach Auskunft von Jardiland-Veterinär Dr. Nicolas Pizzinat könne man sie aber durchaus in einigen Pariser Geschäften finden. Die Geschäftsleitung der Taikong Corp. erklärt dazu, man dürfe die Fische in Frankreich zwar noch nicht verkaufen, sie auszustellen sei aber nicht verboten.

Was sagt das französische Recht dazu? Nichts. Gentechnisch veränderte Zierfische finden in den geltenden Gesetzen keinerlei Erwähnung. Dabei ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen. Der „Frankensteinfisch“, wie der mutierte Zebrafisch auch genannt wird, sorgt für Beunruhigung. Die Internationale Vereinigung für Zierfisch-Handel (Oata) sprach sich schon gegen eine Vermarktung aus: Fische seien kein Spielzeug. Um die Umweltschützer zu beruhigen, die über die Praktiken der Taikong Corp. durchaus im Bilde sind, versicherte der Fischproduzent, man werde dafür sorgen, dass sich die nächsten Generationen nicht fortpflanzen können.

Das derzeit leistungsfähigste Sterilisierungsverfahren durch Bildung eines asexuellen Triploids verspricht jedoch nur in 70 Prozent der Fälle Erfolg. Im Gegensatz zu größeren gentechnisch veränderten Tieren besteht beim kleinen Zebrafisch ebenso wie beim transgenen Mais die Gefahr der Keimverbreitung, der so genannten Dissemination. Sollte es dazu kommen, würde er aufgrund seiner hohen Reproduktionsrate (200 Eier pro Laich) schnell außer Kontrolle geraten. Welche Folgen damit verbunden wären, weiß niemand so genau.

Einige Hinweise gibt es jedoch. Ein in die Natur gelangtes Genwesen kann sich in den ökologischen Nischen anderer Arten einnisten und diese völlig verdrängen. In Norwegen passierte das mit Zuchtlachs, der wegen seiner Widerstandsfähigkeit selektiert wurde. Als die Salmoniden versehentlich in freie Gewässer gelangten, war von den örtlichen Wildlachsarten bald nichts mehr zu sehen. Resultat: Ein Verlust an Biodiversität und die Gefahr des völligen Verschwindens der Wildarten, wenn sich die Lebensbedingungen ändern (durch Klima oder Krankheiten). Denn das Überleben einer Tierart ist an die genetische Varianz gebunden, weil sie die Anpassungschancen erhöht.

Der norwegischen Fischereibehörde blieb also nichts anderes übrig, als die Zuchtlachse, die ihre Flüsse verseuchten, einzeln herauszufischen, um die natürliche Varianz wiederherzustellen. Vorausschauende Unternehmen haben die Zerstörung von Biodiversität bereits als Geschäftsfeld entdeckt. Das im amerikanischen Oregon ansässige Zebrafish International Resource Center (Zirc) sammelt lebende Exemplare aller Wildarten des Zebrafischs und experimentiert mit neuen Reproduktionen aus sämtlichen bisher hergestellten Mutanten.

Die wilden Arten will das Unternehmen künftig an interessierte Forscher verkaufen, die Kopien der Gene und Zuchtstämme anlegen wollen, denn einige Zebrafischarten sind bereits ausgestorben. Zirc hat begriffen, dass die genetische Varianz einer Tierart eine unschätzbare Zukunftsressource darstellt. Die Natur hat den Zebrafisch mit für die medizinische Forschung hochinteressanten Eigenschaften ausgestattet. Die Experimente mit dem Wirbeltier, das hinsichtlich seiner Embryonalentwicklung dem Menschen nahe steht, bergen jedoch das Risiko, das ökologische Gleichgewicht zu stören, falls modifizierte Arten versehentlich in die Natur gelangen sollten.

Der Zebrafisch steht für die ganze Ambivalenz des technischen Fortschritts. Mit ihm haben die Wissenschaftler das Post-Genom-Zeitalter eingeläutet. Nach der Genomsequenzierung zahlreicher Tier- und Pflanzenarten eröffnet sich der Wissenschaft erstmalig die Möglichkeit, die Funktion jedes einzelnen Gens zu verstehen und die Genexpression (i. e. die Ausbildung der in einem Gen festgelegten Eigenschaft) zu steuern.

Durch die Übertragung fremder Gene und die dadurch bewirkten morphologischen Veränderungen können Wissenschaftler die Funktion der einzelnen Gene einer Tierart ermitteln. Die Kehrseite der Medaille ist freilich, dass sie damit Mutanten, „Monster“, Chimären in die Welt setzen, von denen niemand weiß, was aus ihnen werden kann. Manche meinen, wir hätten keine andere Wahl. Mutationen habe es schließlich schon immer gegeben. Sie seien der Schlüssel zu unserer Evolution. Ohne sie wäre aus Einzellern nicht entstanden, was wir heute sind: die dominante Art unseres Planeten. Dieser Prozess, der in grauer Vorzeit begann, war bisher ein natürlicher. Vor Jahrmillionen gestattete er den Vorfahren der menschlichen Gattung, das aquatische Milieu zu verlassen und sich zum Zweifüßer zu entwickeln.

Durch die Genmanipulation besitzt der Mensch nun die Möglichkeit, die natürliche Evolution, seine eigene eingeschlossen, zu beschleunigen. Für manche Tier- und Pflanzenarten wurden bereits widerstandsfähigere und produktivere Mutanten erzeugt. Der Nächste auf der Liste könnte der Mensch selber sein. Mutanten als nächstes Stadium der menschlichen Entwicklung? Nur die Zukunft wird auf solche surrealistisch anmutenden Fragen eine Antwort geben können. Noch vor fünf Jahren schien jedenfalls auch die Produktion transgener Haustiere eher in einen Sciencefiction-Roman zu gehören.

Die transgene „Nachtperle“ geht bereits über die Ladentheken, und die Hersteller sind zuversichtlich, sie schon bald nach Europa und in die Vereinigten Staaten exportieren zu dürfen. Für Deutschland wurde Anfang dieses Jahres bereits ein Vertrag unterzeichnet. Währenddessen werden die Experimente mit der Genmanipulation fortgesetzt, und zwar ohne wirkliche Kontrolle. Derzeit bringt Taikong Corp mit dem halb rot, halb grün fluoreszierenden TK3 die dritte Generation ihres Mutanten auf den Markt. In einigen Monaten, so die Geschäftsleitung, wird der Verbraucher übers Internet die Farben auswählen und sein persönliches Einzelexemplar bestellen können.

Taiwan, Indonesien und Thailand sind seit über dreihundert Jahren die Drehscheibe der Aquarienfischzucht. Zierfische, in den umgebenden Meeren reichlich vorhanden, spielen in diesen Ländern eine vergleichbare Rolle wie bei uns Katz und Hund. Man hält sich einen einzelnen Fisch im Aquarium und legt großen Wert auf dessen Seltenheit. Die Hersteller wollen in Form und Farbe möglichst ausgefallene Exemplare anbieten. Der Markt für Aquarienfische weist derzeit hohe Wachstumsraten auf, vor allem seit im vergangenen Sommer Disney & Pixar den Zeichentrickfilm „Findet Nemo“ in die Kinosäle brachten.

Nach Angaben des UN-Umweltprogramms (Unep) und des Marine Aquarium Council stieg der Umsatz mit tropischen Fischen in den Vereinigten Staaten seit dem Filmerfolg um 20 Prozent. Jahr für Jahr, so der Unep-Bericht 2003, werden dem Meer 20 Millionen Exemplare entnommen, um die Aquarien in Amerika (85 Prozent des Weltumsatzes), aber auch in Europa mit insgesamt 1 471 verschiedenen Tropenfischarten zu versorgen.

Der gewinnträchtige Handel bringt einen Jahresumsatz von 200 bis 330 Millionen Dollar. Zuchtfische sind zwar um 20 bis 30 Prozent teurer als Meeresfische, leben aber deutlich länger, weil sie keine Parasiten tragen und an das Leben in Gefangenschaft angepasst sind. Taikong Corp vermarktet ausschließlich Zuchtfische und führt nun als weltweit erste Firma eine gentechnisch veränderte Sorte im Angebot. Als erste, aber nicht als einzige. Auch das texanische Biotech-Unternehmen Yorktown Technologies kündigte für den 4. Januar dieses Jahres stolz die Markteinführung eines transgenen Haustiers an. Der Glofish gleicht dem taiwanesischen Zebrafisch wie ein Ei dem anderen. Nur stammt die Fluoreszenz nicht von einem Quallengen ab, sondern vom Gen einer fluoreszierenden Koralle. Der Vormarsch der Mutanten ist offenbar nicht mehr aufzuhalten. Weshalb sollte es unsere Gesellschaft auch bei der Manipulation von Aquarienfischen belassen?

Die neuen Geschöpfe könnten schon bald der Erschaffung weiterer gentechnisch veränderter Haustiere den Weg ebnen. Ihr spielerischer Aspekt täuscht die Öffentlichkeit über die mit ihrer Verbreitung einhergehenden Gefahren hinweg. Eine Risikofolgenabschätzung ist daher dringend nötig. Aber machen wir uns nichts vor: Angesichts des realen Geschehens sind sämtliche Überlegungen zum Sinn und Unsinn von Manipulationen an Lebewesen zu Vermarktungszwecken schon wieder überholt.

deutsch von Bodo Schulze

* Journalist

Le Monde diplomatique vom 16.01.2004, von FRANCK MAZOYER