Stupid White House
Auch das im Februar in Porto Alegre abgehaltene Sozialforum der Globalisierungskritiker stand unter dem Eindruck der Kriegsvorbereitungen der USA.
Von ARUNDHATI ROY *
MAN hat mich gebeten, über die Frage zu sprechen, welche Strategien gegen das Empire möglich sind. Das ist eine große Frage, und ich habe keine einfachen Antworten parat. Wenn wir von Strategien gegen das „Empire“ sprechen, müssen wir zunächst einmal klären, was „Empire“ bedeutet. Bedeutet es die US-Regierung (und ihre europäischen Satelliten), die Weltbank, der Internationale Währungsfonds, die Welthandelsorganisation und multinationale Konzerne? Oder geht es noch darüber hinaus?
In vielen Ländern sind dem Empire noch andere Köpfe gewachsen, gefährliche Nebenerscheinungen – Nationalismus, Bigotterie, Faschismus und natürlich Terrorismus. Sie gehen mit dem Projekt einer korporativen Globalisierung Hand in Hand.
Lasst mich an einem Beispiel erläutern, was ich meine. Die weltgrößte Demokratie Indien steht an der vordersten Linie dieses Projekts. Die WTO rühmt die Öffnung des „Marktes“ Indien von einer Milliarde Menschen. Die indische Regierung und die Elite begrüßen das Vordringen der Konzerne und die fortschreitende Privatisierung. Es ist kein Zufall, dass der Premierminister, der Innenminister und der Minister für Desinvestitionen – die Männer also, die den Deal mit Enron unterschrieben haben, die den Ausverkauf der Infrastruktur des Landes an multinationale Konzerne betreiben und die von Wasser über Strom, Öl, Kohle, Stahl, Gesundheit, Erziehung bis hin zur Telekommunikation schlechterdings alles privatisieren wollen –, dass diese Männer allesamt Mitglieder oder Anhänger der RSS sind. Die RSS ist eine rechte, ultranationalistische Hindubruderschaft, die bereits öffentlich ihre Bewunderung für Hitler und seine Methoden zum Ausdruck gebracht hat.
Die Demontage der Demokratie schreitet mit dem Tempo und der Effizienz eines Strukturanpassungsprogramms voran. Das Projekt der Globalisierung entreißt den Menschen in Indien ihre Lebensgrundlage. Durch die massive Privatisierung und die „Reformen“ des Arbeitsmarkts werden die Leute von ihrem Grund und Boden vertrieben und verlieren ihre Arbeit. Schon haben sich hunderte von verarmten Bauern durch Einnahme von Pestiziden das Leben genommen. Aus allen Landesteilen erreichen uns Berichte von Toten durch Hunger. Während die Elite sich auf der Reise an ihr imaginäres Ziel an der Weltspitze befindet, bewegen sich die Besitzlosen auf einer Spirale abwärts in Richtung Verbrechen und Chaos. Ein solches Klima der Frustration und der nationalen Enttäuschung ist, wie die Geschichte lehrt, ein hervorragender Nährboden für Faschismus.
Die beiden Arme der indischen Regierung haben einen hoch wirksamen Klammergriff entwickelt: Während der eine Arm damit beschäftigt ist, Indien Stück für Stück an den Meistbietenden zu verschachern, dirigiert der andere Arm den lauthals geifernden und eifernden Chorus der Hindunationalisten und religiösen Faschisten. Dieser Arm führt Atomwaffentests durch, schreibt die Geschichtsbücher um, verbrennt Kirchen und zerstört Moscheen. Zensur, Überwachung, die Aufhebung von Bürger- und Menschenrechten und die restriktive Neubestimmung der indischen Staatsbürgerschaft sind inzwischen weit verbreitete Praxis.
Vergangenen März wurden im Bundesstaat Gujarat in einem staatlicherseits unterstützten Pogrom zweitausend Muslime abgeschlachtet. Die Täter hatten es insbesondere auf muslimische Frauen abgesehen. Sie wurden entkleidet, mehrfach vergewaltigt und dann bei lebendigem Leibe verbrannt. Brandstifter steckten Läden, Häuser, Textilfabriken und Moscheen an. Mehr als hundertfünfzigtausend Muslime sind aus ihren Häusern vertrieben worden. Die wirtschaftliche Grundlage der muslimischen Gemeinden wurde vollständig zerstört.
Während Gujarat brannte, erschien der Premierminister auf MTV und machte Werbung für seine neuen Gedichte. Im Januar dieses Jahres wurde die Regierung, die für die Morde verantwortlich war, mit einer bequemen Mehrheit in Amt und Würden bestätigt. Niemand ist für den Völkermord zur Rechenschaft gezogen worden. Narendra Modi, Anstifter des Pogroms und bekennendes Mitglied der RSS, hat seine zweite Amtszeit als Ministerpräsident von Gujarat angetreten. Wenn er Saddam Hussein wäre, hätte man jede seiner Gräueltaten auf CNN mitverfolgen können. Aber da er nicht Saddam Hussein ist und da der indische Markt den globalen Investoren offen steht, bringt ihn das Massaker noch nicht einmal ansatzweise in Bedrängnis. In Indien leben mehr als hundert Millionen Muslime. Es tickt eine Zeitbombe in unserem altehrwürdigen Land.
Mit all dem möchte ich sagen, dass die Behauptung, der freie Markt brächte nationale Barrieren zum Verschwinden, nichts als ein Mythos ist. Der freie Markt bedroht nicht die nationale Souveränität, sondern er untergräbt die Demokratie.
Während sich die Kluft zwischen Reich und Arm vergrößert, wird der Kampf um die Monopolisierung der Ressourcen immer härter. Um ihre Zuckerbrotangebote durchzusetzen, mit denen unsere Ernten, unser Trinkwasser, unsere Atemluft und unsere Träume kommerzialisiert werden, benötigen die globalen Konzerne in den armen Ländern einen internationalen Verbund loyaler, korrupter und autoritärer Regierungen, die unpopuläre Reformen durchsetzen und jedes Aufbegehren im Keim ersticken.
In der Zwischenzeit machen die Länder des Nordens ihre Grenzen dicht und horten Massenvernichtungswaffen. Schließlich müssen sie sicherstellen, dass die Globalisierung nur Geld, Waren, Patente und Dienstleistungen betrifft. Nicht etwa die Freizügigkeit für Menschen. Nicht die Einhaltung der Menschenrechte. Und nicht internationale Abkommen gegen Rassendiskriminierung, Chemie- und Atomwaffen, Schadstoffemissionen und Klimaveränderungen oder gar – Gott behüte – globale Gerechtigkeit.
All dies bedeutet „Empire“. Dieser Verbund von loyalen Vasallen, diese obszöne Akkumulation von Macht, diese permanent wachsende Distanz zwischen den Entscheidungsträgern und denen, die die Folgen dieser Entscheidungen tragen müssen. Was also können wir tun gegen das „Empire“? Die gute Nachricht ist, dass wir bisher gar nicht schlecht sind. Wir haben ein paar Siege errungen. Gerade ihr hier in Lateinamerika. Gerade hier in Brasilien dürfen wir uns fragen, wer war vor einem Jahr hier Präsident und wer ist es heute? In Indien gewinnt die Bewegung gegen die Globalisierung an Schlagkraft und entwickelt sich zur einzigen wirklichen politischen Kraft, die dem religiösen Fanatismus Einhalt gebieten kann. Trotzdem kennen viele von uns schwarze Momente der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Wir wissen nur zu gut, dass die Männer in den grauen Anzügen unter der großen Decke des Kriegs gegen den Terrorismus weiter am Werk sind. Wir wissen, dass, während Marschflugkörper über den Himmel ziehen und Bomben fallen, neue Verträge unterzeichnet, Patente angemeldet, Ölpipelines verlegt, Rohstoffe geplündert und Wasserreservoirs privatisiert werden.
Aber man kann die Sache auch anders betrachten. Wir alle, die hier versammelt sind, tragen jeder und jede auf seine und ihre Weise dazu bei, das „Empire“ zu behindern. Wir haben seinen Vormarsch vielleicht noch nicht stoppen können, aber wir haben es immerhin bloßgestellt. Jetzt steht es in seiner ganzen Brutalität und Ungeheuerlichkeit vor uns auf der Bühne dieser Welt.
Das Empire zieht vielleicht bald in den Krieg, aber jetzt geschieht es in aller Öffentlichkeit – zu fratzenhaft, um sein eigenes Spiegelbild zu ertragen. Zu hässlich, um seine eigenen Leute hinter sich zu scharen. Es wird nicht mehr lange dauern, und die Mehrheit des amerikanischen Volks schlägt sich auf unsere Seite. In Washington gingen eine Viertelmillion Menschen gegen den Irakkrieg auf die Straße. Vor dem 11. September 2001 hatte Amerika eine geheime Geschichte, geheim gehalten vor allem vor seinem eigenen Volk. Aber inzwischen sind Amerikas Geheimnisse Geschichte geworden, und seine Geschichte ist allgemein bekannt. Sie ist das Tagesgespräch auf den Straßen dieser Welt.
Heute wissen wir, dass jedes der Argumente, die für Krieg gegen den Irak ins Feld geführt werden, eine Lüge ist. Die absurdeste dieser Lügen ist die Behauptung, der US-Regierung sei es um die Demokratisierung des Irak zu tun. Leute umzubringen, um sie vor der Diktatur oder der ideologischen Verblendung zu retten, gehört seit jeher zu den Lieblingsbeschäftigungen der US-Regierungen.
Niemand bezweifelt, dass Saddam Hussein ein skrupelloser Diktator und Mörder ist (dessen Exzesse allerdings durch die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens unterstützt wurden). Kein Zweifel, dass es den Irakern besser ginge, wenn sie ihn los wären. Aber der ganzen Welt ginge es besser, wenn sie einen gewissen Mr. Bush los wäre. Denn nüchtern betrachtet stellt er eine viel größere Gefahr dar als Saddam Hussein.
Sollen wir deshalb Bush aus dem Weißen Haus bomben?
Es ist mehr als offensichtlich, dass Bush völlig unabhängig von den Fakten und der internationalen öffentlichen Meinung entschlossen ist, gegen Saddam in den Krieg zu ziehen. Die Farce mit den Waffeninspektoren ist lediglich ein widerwärtiges, beleidigendes Zugeständnis an eine verquere internationale Etikette. Es wirkt, als wollten sie damit lediglich ein Hintertürchen offen halten, durch das in letzter Minute noch weitere Verbündete oder die Vereinten Nationen auf den bereits fahrenden Zug aufspringen könnten.
Aber im Grunde hat der Krieg gegen den Irak bereits begonnen. Was können wir also tun? Wir können unser Gedächtnis schärfen, und wir können aus unserer eigenen Geschichte lernen. Wir können der öffentlichen Meinung Ausdruck geben, bis sie zum ohrenbetäubenden Gebrüll wird.
Wir können George W. Bush und Tony Blair – und ihre Verbündeten – als die Kindsmörder, Wasservergifter und feigen Langstreckenbombardierer entlarven, die sie in Wirklichkeit sind. Wir können millionenfach – jeder und jede auf unterschiedliche Weise – neue Formen des zivilen Ungehorsams entwickeln. Oder anders gesagt, wir können auf millionenfach unterschiedliche Weise Sand ins Getriebe streuen.
Wenn George Bush sagt, „Entweder ihr steht auf unserer Seite, oder ihr steht auf der Seite der Terroristen“, können wir ihm zeigen, dass die Menschen dieser Welt nicht nur die Wahl zwischen einer bösartigen Mickymaus und wahnsinnigen Mullahs haben.
Unsere Strategie darf nicht nur darin bestehen, das Empire bloßzustellen, wir müssen es regelrecht belagern. Wir müssen dafür sorgen, dass ihm die Luft ausgeht. Wir müssen es beschämen, wir müssen es verspotten. Mit unserer Kunst und unserer Musik und unserer Literatur, mit unserer Dickköpfigkeit und unserer Lebenslust, mit unserer Raffinesse und unserer Unermüdlichkeit – und nicht zuletzt damit, dass wir unsere eigenen Geschichten erzählen. Geschichten, die sich von denen unterscheiden, die man uns eintrichtern will.
Die Globalisierung wird in sich zusammenbrechen, wenn wir ihnen das, was sie uns andienen, nicht abkaufen – weder ihre Ideen noch ihre Geschichtsschreibung, weder ihre Kriege noch ihre Waffen, noch ihre Vorstellungen von dem, was unausweichlich sei.
Denn eins dürfen wir nicht vergessen: Wir sind viele und sie sind es nicht. Sie brauchen uns mehr als wir sie.
Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist bereits im Entstehen. An stillen Tagen kann ich sie atmen hören.
deutsch von Robin Cackett
* Schriftstellerin, Neu-Delhi. Zuletzt erschienen „Das Ende der Illusion“ München (Bertelsmann) 1999, und „Die Politik der Macht“, Essays, 2002.