13.02.2004

Die Homogenisierten

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Die Homogenisierten

IN Frankreich, wo Kleider Leute machen, ist Kleiderordnung etwas Gutes. Gehobene Kreise hielten es schon immer mit geklontem Chic, man denke an das uniforme Party-Outfit von Lanvin oder die Freizeithemden von Lacoste. Doch derzeit ist etwas Unheimliches im Gange. Der Staat, wild entschlossen, mit Hilfe einer obligatorischen Kleiderordnung homogenisierte Bürger herzustellen, verbietet Schülerinnen das muslimische Kopftuch, Hidschab genannt.

Die staatlichen Modediktatoren haben sich den Hidschab ausgeguckt. Muslime sind die neuen Schwarzen. Doch um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass es um glasklaren Rassismus geht, erstreckt sich das Verbot auf alle augenfälligen religiösen Symbole, also auch auf die jüdische Kippa und auf optisch aufdringliche Kruzifixe. Weniger auffällige Talismane fallen nicht unter das Verbot, und es tauchte die Idee auf, neben den christlichen Festtagen das muslimische Aid-al-Kebir-Fest, den jüdischen Jom Kippur und das orthodoxe Weihnachtsfest zu den staatlichen Feiertagen zu rechnen. Doch für den Hidschab gibt es keine Gnade. Wenn Sie ein Kopftuch wünschen, dann bitte eins von Hermès!

Das Gesetz leitet sich ab aus einem Verfassungszusatz von 1905, der Kirche und Staat strikt trennt. Für die französische Regierung ist das Hidschab-Verbot an den Schulen somit eine längst fällige Stärkung des republikanischen Gedankens. Für die fünf Millionen Muslime, die in puncto Wohnen, Arbeit und Einkommen ohnehin immer das Nachsehen haben, ist es einfach ein weiterer Affront. Selbst der Bericht der französischen Experten-Kommission plädiert für mehr Aufmerksamkeit gegenüber der allfälligen Benachteiligung, die man jedoch offensichtlich für weniger bedrohlich hält als kopftuchtragende Schülerinnen.

Aus britischer Sicht ist das Aufkommen des laizistischen Fundamentalismus ein Schreckensbild. Innenminister David Blunkett würde nicht einmal in seinen tolpatschigsten Momenten mit einem auch nur annähernd so beleidigenden Vorschlag aufwarten. Und auch Tony Blair, der in Afghanistan bereits Beauvoire’sche Frauenbefreiungsstandards durchgesetzt sah, als die erste Burka abgelegt wurde, dürfte sich kaum als Kopftuchgegner outen. Selbst Lord Tebbit, der Vorsitzende der Konservativen, gilt als Hidschabverteidiger.

Wie sollen sich nun Feministinnen, egal welchen Glaubens oder Unglaubens, in dieser Situation verhalten? Frauen, die es schauerlich finden, wenn anderen Frauen eine Verhüllung oder ein unerwünschter Ehemann aufgezwungen wird, mögen für die Kampagne ihrer französischen Schwestern gegen dieses „sichtbare Symbol der Unterwerfung“ Sympathie empfinden. Aber wer eine Umwälzung will, muss zunächst das Elend lindern. Für arme Muslime ändert sich nichts, wenn sie sich wie Models anziehen dürfen. Das entscheidende Prinzip der Demokratie lautet Freiheit, was bedeutet: Jede Frau soll sich so anziehen können, wie sie das möchte.

In Großbritannien kann sich dieses Prinzip auf die Rechtsprechung stützen. 1983 urteilte das Oberhaus als höchste Instanz im Fall Mandla gegen Dowell Lee, dass es rechtswidrig sei, einen Jungen aus einer orthodoxen Sikh-Familie vom Unterricht auszuschließen, nur weil er einen Turban trägt. Der Race Relations Act von 1976, der nicht ausdrücklich auf den Glauben eingeht, wird heute zusätzlich durch eine EU-Richtlinie bestätigt, die sich jedoch nur auf Arbeitnehmer, nicht auf Schüler bezieht. Im Übrigen ist der britische Multikulturalismus fest verankert: Der Londoner High-Court-Richter Rabinder Singh trägt seinen Turban auch während der Verhandlungen, und bei der Londoner Polizei gehört der Hidschab zur Uniform weiblicher Offiziere. Es ist schon erstaunlich, wie fortschrittlich Großbritannien auf einmal aussieht, im Vergleich zu Frankreich, aber auch zu Deutschland, wo man nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts derzeit diskutiert, ob Lehrerinnen in staatlichen Schulen ihren Kopf bedecken dürfen oder nicht.

Aber wir sind gar nicht so anders. Natürlich gibt es einen Nationalismus à la Le Pen, und immer mehr junge Musliminnen legen die dünnen, fließenden Tücher ihrer Großmütter ab, entscheiden sich aber mit Beginn der Pubertät für den Hidschab – zum Teil aus Solidarität mit der weltweiten muslimischen Diaspora, zum Teil vielleicht auch als Zeichen der Abgrenzung. Zunehmend fühlen sich die muslimischen Gemeinschaften fremd, ihre Mitglieder werden beschimpft, weil sie die Selbstmordattentäter nicht mit der Zuverlässigkeit einer Zeitansage verurteilen, und müssen erleben, wie ihre unschuldigen Söhne und Ehemänner seit dem 11. September routinemäßig verhaftet werden.

Nicht im Traum würde es der britischen Regierung einfallen, sich als Kleiderberater aufzuspielen, aber ihr Umgang mit – alten wie neueren – ethnischen Minderheiten des Landes ist bemerkenswert ungeschickt. So hat sie im Dezember 2003 verkündet, dass sie für neue Staatsbürger obligatorische Einbürgerungsfeiern plant, mit Union Jack und „God Save the Queen“ und allem Drum und Dran, die pro Kopf 68 Pfund kosten sollen. Und das, obwohl lokale Gemeinderäte fordern, die Sache nicht so chauvinistisch aufzuziehen. Inzwischen erwägen einige Minister einen umfassenden „Britishness“-Test.

DAZUGEHÖREN ist wunderbar. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft sollte angemessen gefeiert werden, mit dem Vorbehalt, dass vielleicht nicht alles so erstrebenswert ist, wie es scheint. Bestenfalls bedeutet Staatsbürgerschaft, dass alle, die ihre Einbürgerungsurkunde unterschreiben, gleichermaßen geschätzt und respektiert werden, also ungeachtet ihrer Herkunft oder ethnischen Abstammung, ihres Geschlechts oder ihres Glaubens. Schlimmstenfalls wird damit nur klar, dass den anderen – den Außenseitern – selbst die grundlegendsten Rechte versagt sind.

Eine zweite Frage lautet: Was genau erwartet die Neuankömmlinge auf britischem Boden? Der Asylbewerber, der frisch aus Spanien oder Somalia eingetroffen ist und noch Jahre vor sich hat, bis er mit einem Fischpaste-Sandwich im Mund „God Save the Queen“ singen darf, wird ein höchst widersprüchliches Großbritannien entdecken, das für seine Vergangenheit nicht mehr viel übrig hat und sich vor der Zukunft fürchtet, mit Bewohnern, die zwar noch einen maßvollen Patriotismus mobilisieren, um siegreiche Rugby-Spieler oder tote Prinzessinnen zu feiern, aber als Bilderstürmer weder vor Gott noch vor ihren Politikern, noch vor Prinz Charles Halt machen; eine Regierung, die zwar aus Demokraten besteht, denen es nie in den Sinn kommen würde, den Hidschab zu verbieten – die aber allen Immigranten, die sie nicht im Lande behalten will, die Zuwendungen zusammenstreicht und ihnen zugleich androht, ihre hungernden Kinder unter staatliche Fürsorge zu stellen. Was wir wirklich brauchen ist das, was in Frankreich gerade so krass missbraucht wird: eine geschriebene Verfassung, die eine Trennung von Kirche und Staat vorsieht.

Großbritannien ist – außer Neuseeland und Israel – die einzige Demokratie ohne formelle Verfassung. Seine Bürger haben also keine verfassungsmäßig garantierten Rechte und Freiheiten. Während Frankreich zu einer despotischen Macht zu werden droht, durchläuft Großbritannien eine andere Art von Identitätskrise: Wir wissen nicht mehr, wer wir sind.

Kopftuchfreundlichkeit reicht nicht aus, um diese Lücke zu füllen. Ebenso wenig die Tests und Zeremonien, mit denen der britische Staat festlegen will, was für Bürger er möchte. Vielmehr muss unser Staat den Einwanderern, die unsere Wirtschaft stärken und unsere sinkende Geburtenrate ausgleichen, sagen, was wir ihnen zu bieten haben.

MARY RIDDELL 

© Mary Riddell/The Observer

Le Monde diplomatique vom 13.02.2004, von MARY RIDDELL