13.02.2004

Sushi, Piercing und andere Besonderheiten

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Sushi, Piercing und andere Besonderheiten

WER einen Volvo fährt und gern Latte Macchiato trinkt, ist in den Augen vieler Amerikaner ein feingeistiger, linksliberaler Snob. Und als solcher eignet er sich als Objekt für antielitäre Ressentiments. Der Republikaner George W. Bush versteht es, obwohl er als Sprössling einer Erdöldynastie eigentlich der klassischen Ostküsten-Elite zustrebte, auf der populistischen Klaviatur zu spielen. Er tut so, als sei er ein einfacher, handfester Cowboy, und die „kleinen Leute“ in den USA nehmen ihm das ab.

Von TOM FRANK *

Während der Vorwahlen in Iowa lief im US-amerikanischen Fernsehen ein Werbespot, der als vernichtender Schlag gegen Howard Dean gedacht war. Der Mann, der lange Zeit als Favorit für die Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten galt, sei der Liebling der „kulturellen Eliten“, hieß es. Gemeint waren damit die Linken und Linksliberalen, „die höhere Steuern und mehr Staat wollen, die Latte Macchiato trinken und Sushi essen, die Volvo fahren und die New York Times lesen, die Piercing mögen und für Hollywood schwärmen“. Solche linken Spinner hätten kein Recht, zu den aufrechten Menschen von Iowa zu sprechen.

Den Werbespot hatte der Club for Growth finanziert, eine in Washington ansässige Organisation, die ihre Aufgabe darin sieht, reiche, unternehmerfreundliche Bürger mit unternehmerfreundlichen Politikern zusammenzubringen. Mitglieder dieser Organisation sind neoliberale Ökonomen, die gegen den Staat wettern, prominente Besserverdienende, Großstrategen der nicht mehr neuen New Economy, gefeierte Genies, die in den letzten zehn Jahren das Modell einer deregulierten Volkswirtschaft mit immer niedrigeren Steuersätzen so hochgejubelt haben, als stünde uns nunmehr die Wiederkehr des Messias bevor.

Mit anderen Worten: Die Leute, die in jedem Nasdaq-Aufsteiger einen neuen Heiland sahen, die Wirtschaftsgurus, die bis zum Herzinfarkt die amerikanischen Milliardäre bejubelten, die Ökonomen, die sich eine goldene Nase damit verdienten, dass sie Privatisierung und Deregulierung als historischen Auftrag propagierten – sie alle finanzieren heute Fernsehspots, die auf „die Elite“ schimpfen.

Hier liegt das Geheimnis der Vereinigten Staaten anno 2004. Der politische Rechtsruck der letzten dreißig Jahre hat es mit sich gebracht, dass der Reichtum heute in noch weniger Händen konzentriert ist als in den 1920er-Jahren. Unsere Arbeiter haben weniger mitzubestimmen über die Bedingungen, unter denen sie malochen, als je zuvor. Unsere Unternehmen sind heute die mächtigsten Akteure der Welt. Und dennoch lässt sich diese Rechtsdrift, die ungebrochen scheint, als ein Kampf gegen „die Eliten“ verkaufen, als berechtigter Aufstand der kleinen Leute gegen eine verhasste Oberklasse.

Über allem thront Präsident George W. Bush, ehemaliger Ölunternehmer aus Texas, Absolvent der Yale University, Sohn eines Expräsidenten und Enkel eines US-Senators – ein Mann, der alle erdenklichen Privilegien eines amerikanischen Upper-Class-Sprösslings genossen hat. Und zugleich ein Mann, der von sich erklärt, er habe einen „populistischen Einschlag“, was schon die Verachtung beweise, mit der die Snobs von der Ostküste ihm und seinen texanischen Kumpels begegnen.

Dieser Populismus von George W. Bush ist echt. Sein Ressentiment gegenüber den Ostküstensnobs ist zwar objektiv lächerlich, aber subjektiv ehrlich empfunden. Der Mann hat unbestreitbar ein Gespür für die einfachen Leute. Seine Fähigkeit, den Durchschnittsbürger von Gleich zu Gleich anzusprechen, ist erwiesen. Auch umgekehrt scheinen die Bürger den Präsidenten tatsächlich zu mögen. Es hat ganz den Anschein, als könnte Bush im November die Stimmen eines beträchtlichen Teils der weißen Arbeiter gewinnen, was ihm auch schon vor vier Jahren gelungen ist.

Wie sich die Zeiten ändern. Es ist gar nicht so lange her, dass der Populismus die Muttersprache der US-amerikanischen Linken war; dass die meisten Wähler aus der Arbeiterklasse für mehr Gewerkschaftsrechte stimmten, für eine staatlich regulierte Wirtschaft oder für Sozialprogramme, die eine umfassende ökonomische Absicherung bedeuteten. Damals waren die Republikaner, die sich gegen all diese Ziele stellten, eindeutig als die Partei der Wirtschaftsbosse identifizierbar, das heißt als Sprachrohr der gesellschaftlichen Elite.

Heute sind die Republikaner noch immer die Partei der Wirtschaft, aber sie haben in den letzten Jahren ihren eigenen populistischen Ansatz publikumswirksam aufpoliert. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Antiintellektualismus, x-beliebiger Berufung auf Gott und sentimentaler Beschwörung eines middle America und der damit gemeinten Mentalität eines ergebenen Normalverbrauchers. Richard Nixon war der erste republikanische Präsident, der die Schlagkraft dieser Mischung erfasst hatte. Seit seiner Regierungszeit haben sich alle erfolgreichen Republikaner ein populistisches Gewand übergeworfen. George W. Bush ist nur der jüngste – und einer der perfektesten – Republikaner in einer langen Reihe wirtschaftsfreundlicher Politiker, die sich der Sprache der Zu-kurz-Gekommenen bedienen.

Dieser rechte Populismus ist überaus erfolgreich: Seine Sprache wird von den Politikern gesprochen, von den Zeitungskolumnisten geschrieben, von den Fernsehgurus verbreitet, aber auch von tausenden von Firmensprechern, Wall-Street-Maklern, Werbetextern, wirtschaftsnahen Journalisten und sogar von Hollywoodstars, die sonst die bevorzugten Hassobjekte der Rechten sind.

Der rechte Populismus kann ganz allgemein in zwei Formen auftreten. Während der 1990er-Jahre dominierte der Marktpopulismus, den die PR-Strategen der Wall Street erfunden hatten. Sein Tenor: Der freie Markt ist zutiefst demokratisch. Da wir alle am Marktgeschehen teilhaben, indem wir Aktien kaufen, eine bestimmte Rasiercreme bevorzugen, uns für den Film X und gegen den Film Y entscheiden, artikuliere sich die Stimme des Volkes über die Märkte. Die Märkte bieten uns, was wir wünschen, sie lösen das alte Regime ab, sie verkörpern die Macht des kleinen Mannes. Deshalb sei jeder Versuch, die Märkte zu regulieren oder irgendwie einzuschränken, die reinste Anmaßung, nichts als der tyrannische Drang einer akademischen Ostküsten-Elite, sich als Herren über alle anderen aufzuspielen.

In guten Zeiten wie den 1990er-Jahren verbreitet man diese Idee in Form der grotesken Behauptung, die Interessen des gemeinen Mannes und die seines Unternehmens seien von Natur aus eins. Diese Ideologie wurde dem Fernsehpublikum über die letzten zehn Jahre in einer endlosen Folge von Werbeclips nahe gebracht, in denen der Aktienmarkt als der große Revolutionär dastand: Da tauschten zierliche alte Damen Börsentipps aus, da machten Wirtschaftsbosse fast mühelos immer höhere Gewinne, da entdeckten schon Kleinkinder ihr wahres Ich mit Hilfe von Markenprodukten, da fiel ein Abglanz der fabelhaften neuen Millionäre auf die kleinen Leute, die das Wunder mit ihren Anlagen am Aktienmarkt ermöglicht hatten. Sogar die berühmt-berüchtigte Firma Enron machte diese Masche mit und verglich ihre Kampagne zur Deregulierung des Strommarktes mit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre. Während des großen Börsenbooms brachte ein TV-Sender jeden Nachmittag die neuesten Zahlen, die dokumentierten, wie das Vermögen der reichsten US-Amerikaner von Tag zu Tag wuchs. Republikaner und Demokraten waren sich einig, dass die Privatisierungspolitik und die allgemeine Deregulierung das richtige Rezept seien, um zu gewährleisten, dass die Menschen in wirtschaftlichen Angelegenheiten ein Wörtchen mitreden können. Und die Kolumnisten der Zeitungen – jedweder Couleur – beschrieben übereinstimmend die Begeisterung der Arbeiter, wenn wieder einmal eine Gewerkschaft zu Schaden kam.

Doch wenn die Zeiten härter werden, kommt Marktpopulismus nicht mehr gut an. Jetzt hört man solche Töne weit seltener, stattdessen rückt wieder der altbewährte Krisenpopulismus in den Vordergrund – mithin die ganze Kollektion von Vorwürfen gegen die Linke – nun aber nicht mehr wegen des fehlenden Glaubens an den Freien Markt, sondern wegen der barbarischen Neuerungen, die sie den guten Menschen des middle America zumuten: Es waren die Linken, die die Abtreibung legalisiert und das Schulgebet abgeschafft haben, und nun drohen sie auch noch, die Schwulenehe abzusegnen. Erneut wird die „linksliberale Elite“ zum Feind der einfachen Menschen, zur Klasse der Intellektuellen, deren alte Sünde die Hybris ist: die Anmaßung, alles besser zu wissen als die anderen. Wieder einmal wird die Wut des kleinen Mannes auf einen Popanz gelenkt – den Popanz der hochnäsigen, arroganten Oberklasse. Und wieder einmal profitiert davon in erster Linie die Republikanische Partei.

Der Populismus des Ressentiments ist auf einen besonderen Feind fixiert: auf die Verbraucherkultur und deren Symbole. Statt die Mächtigen direkt anzugehen, wütet er gegen den ganzen snobistischen Luxus, mit dem die Mächtigen angeblich ihre Zeit zubringen: gegen Latte Macchiato und teure Restaurants, gegen die Elite-Universitäten der Ostküste, Ferien in Europa und immer, ausnahmslos immer gegen die Importautos, in denen „die Elite“ angeblich durch die Gegend fährt. Gegen diese schwuchteligen Vorlieben setzt der Krisenpopulismus das Kontrastbild des Mannes aus dem heartland, wo der waschechte Amerikaner blutige Rindersteaks vertilgt, nur Budweiser trinkt, sich mit der Landwirtschaft auskennt, von der Hände Arbeit lebt und einheimische Autos fährt.

Dass man die Konsumsphäre so stark betont, hat einen präzisen Grund: Damit werden die Pole des klassenmäßig begründeten Ressentiments vertauscht. Die „der Elite“ zugeschriebenen Vorlieben und Objekte werden mit jenen Leuten identifiziert, die studiert haben und fest im linksliberalen Wählerlager verankert sind. Mit einem Mal sind die „Liberals“ (wie die Linksliberalen in den USA heißen) die Snobs, die Republikaner dagegen die imposanten Massen der einfachen Leute. Dass auch rechte Ölmillionäre aus Houston oder Wichita möglicherweise in Europa Ferien machen, exotische Kaffeesorten trinken und einen Jaguar fahren, wird einfach ausgeblendet, als sei so etwas zu abwegig.

Da die „echten Amerikaner“ für die angekränkelten Eliten und deren hochtrabendes Gerede nur Verachtung übrig haben, wählen sie schlicht denkende und redende Männer wie George W. Bush oder Bush sen., wie Ronald Reagan oder Richard Nixon, der für sie im Watergate-Skandal zum Opfer der Ostküsten-Arroganz geworden ist. All diese Männer haben freilich, kaum waren sie gewählt, alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Elite der Nation mit allen erdenklichen politischen Geschenken einzudecken.

Zwischen den beiden Spielarten eines rechten Populismus gibt es höchst augenfällige Widersprüche und Verwerfungen. Gemeinsam ist ihnen allerdings die geradezu absurde Behauptung, dass die Oberschicht der USA eine Ansammlung von Linken sei. Der eine Populismus zieht über die progressive Intelligenzija her, weil sie Sushi isst und auf Piercing steht; der andere feiert die gepiercten Sushi-Genießer als beinharte Unternehmer oder als Konsumenten, die sich selbst verwirklichen wollen. Der eine ereifert sich über Hollywood, weil dieses Kino die falschen Werte verbreite, ein anderer feiert die Kreativität von Hollywood und erklärt, das Kino biete eben, was die Leute wollen. Aber trotz dieser Widersprüche werden beide Varianten des Populismus von denselben Organisationen, oft sogar von denselben Einzelpersonen vertreten (Letzteres gilt etwa für einige Berater des Club for Growth). So gelingt es etlichen konservativen Intellektuellen spielend, je nach Situation vom einen zum anderen Populismus zu springen.

Warum haben diese Widersprüche der Rechten nicht geschadet? Warum kann die US-amerikanische Linke diesen versammelten Schwachsinn den dafür verantwortlichen Washingtoner Thinktanks nicht um die Ohren hauen, etwa mit einem kurzen und trockenen Verweis auf die tatsächlichen Mechanismen der Klassengesellschaft? Zum Teil liegt es daran, dass die Linken diesen Krisenpopulismus einfach nicht ernst nehmen. Sie ersparen sich die Mühe, auf diese Stereotype zu reagieren. Sie sehen in der Behauptung, dass sie selbst eine geschmäcklerische Elite darstellen, nichts als ein abgefeimtes und durchsichtiges Täuschungsmanöver von rechten Strippenziehern.

Ein kleiner Kreis von Progressiven gibt sich aus einem anderen Grund nicht mit dem konservativen Populismus ab: Sie halten ihn für eine Tarnform des Rassismus, den sie als die Hauptkrankheit ihrer ganzen Gesellschaft ansehen. Das eigentliche Problem der Gesellschaft ist in ihren Augen der Neonazismus: In Wahrheit werde middle America durch rechtsradikale Militante wie den Oklahama-Attentäter Timothy McVeigh repräsentiert, weshalb das Augenmerk auf solche Erscheinungen zu konzentrieren sei. Ein drastisches Beispiel für eine solche verzerrte Sichtweise erlebte ich neulich in einer linken Versammlung in Chicago. Es war eine ungeheuer präzise formulierte Kritik der Medienkonzerne vorgetragen worden, und ich versuchte darauf hinzuweisen, dass viele stinknormale, kirchentreue Bürger im gesamten Mittelwesten ähnlich dachten, ohne diese Position im Einzelnen zu kennen, dass sie allerdings die ökonomischen und unternehmerischen Kräfte, die in den Medien das Sagen haben, fälschlicherweise dem „liberalen“ (also progressiven) Lager zurechneten. Folglich, so führte ich aus, sollte man auf diese normalen Leute zugehen und versuchen, ihr Klassenvorurteil vom Kopf auf die Füße zu stellen. Sofort wurde ich von einer wütenden Teilnehmerin zusammengestaucht. Mit einem solchen Versuch, den Ku-Klux-Klan zu umwerben, wolle sie persönlich nichts zu tun haben.

Die Episode zeigt, dass im populistischen Stereotyp von einer linken Schickeria doch ein Körnchen Wahrheit steckt. Und zwar nicht, weil bestimmte Linke tatsächlich Ferien in Europa machen und einen Volvo fahren und gern Latte Macchiato trinken – als würde inzwischen nicht längst jeder Latte Macchiato trinken. Nein, ein kleiner, aber lautstarker Teil der US-Linken hat für die Arbeiterklasse tatsächlich nur Verachtung übrig. Wer die Versammlung einer beliebigen Gruppe von Tierfreunden besucht oder über den Campus einer Elite-Universität schlendert, wird leicht feststellen, dass eine bestimmte Art linker Politik tatsächlich exklusiv von Mitgliedern der gebildeten oberen Mittelschicht betrieben wird. Das sind Leute, die politisches Engagement eher als individuelle therapeutische Betätigung denn als Einsatz für konkrete politische Ziele auffassen. Für diese Sorte von „freien Radikalen“ ist linke Politik eine sanft stimmende spirituelle Erfahrung, eine Methode, mit der authentischen Welt der Unterdrückten in Berührung zu kommen und persönliche Anteilnahme zu demonstrieren. Mit ihren Buttons und Aufklebern auf der Windschutzscheibe wollen diese Progressiven ihr Gutmenschsein zur Schau stellen, so wie sie es auch mit der Wahl bestimmter Markenartikel tun. Manche linke Magazine präsentieren Protestaktionen als einen glamourösen Event, mit Bildern wie von einem Wohltätigkeitsball. Neulich entdeckte ich sogar ein Parfüm namens „Activist“.

Und dann gibt es noch jene Spezies von progressiven Menschen, bei denen das Linkssein – ein bisschen wie beim Adel – eine Sache der Familienehre ist. Diese Leute erzählen dir, dass es praktisch sinnlos sei, andere überzeugen zu wollen, vor allem in Gegenden wie dem tiefen Mittelwesten. Leute dieser Art schwärmen von den Heldentaten jener, die schon in „roten Windeln“ zur Welt gekommen seien. Links kann man nicht werden, als „Linker“ wird man geboren.

Leute der beschriebenen Art machen sich überhaupt keine Gedanken über den katastrophalen Niedergang der US-amerikanischen Linken als gesellschaftlicher Kraft, über das allmähliche Versanden der sozialen Bewegungen. Manche können diesem Niedergang sogar einen Sinn abgewinnen. Linke sind für sie Menschen, die Mitgefühl mit den Unterdrückten empfinden, ohne selbst unterdrückt zu sein. Linkssein ist im Grunde eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Und die Tatsache, dass es immer weniger Linke gibt, ist für diese Leute nicht etwa ein Problem, das irgendwann ihren materiellen Wohlstand berührt oder ihre Gesundheitsversorgung beeinträchtigt oder ihre Arbeitskraft erschöpft. Nein, Derartiges kann dieser Spezies von Linken nicht passieren. Im Gegenteil: Je weniger Linke es gibt, desto attraktiver wird die Linke für sie.

Linke Selbstgerechtigkeit

WAS diese „kreativen“ wohlhabenden Linken vor allem pflegen, ist ein oberflächlicher Nonkonformismus. Je einsamer man in seiner politischen Selbstgerechtigkeit ist, desto rebellischer kann man sich dabei vorkommen. Erstrebenswert ist nicht etwa, wie in den Demonstrationen der 1930er-Jahre mit den Volksmassen zu marschieren; viel schöner ist es, sich gegen die Stars-and-Stripes-schwingenden Massen aufzulehnen. Man ist nicht links, um sich zusammen mit anderen für eine gemeinsame Sache einzusetzen; man ist links, um andere zu belehren, ihnen ihre Fehler und Mängel vorzuhalten.

Wie so viele Linke in den USA haben auch viele Europäer ein falsches Bild vom US-amerikanischen Konservatismus. Sie unterstellen, das politische System der USA funktioniere so wie anderswo auch, wo substanzielle Fragen wichtig sind und vor allem rationale Argumente zählen. Und dann betreten sie ganz arglos das Minenfeld der politischen Symbolik, und auf einmal fliegt ihnen alles um die Ohren.

Das zeigte sich zum Beispiel beim Auftritt des französischen Außenministers im UN-Sicherheitsrat Anfang Februar 2003. Dominique de Villepin war sich überaus sicher, er könne politische Wirkung erzielen, indem er den Amerikanern eine Fehldarstellung nach der anderen zerpflückt und einen Irrtum nach dem anderen nachweist. Hier stand ein elegant gekleideter, formvollendet auftretender und polyglotter Mann vor dem Weltforum und ließ sich von den Vertretern der meisten UN-Mitgliedstaaten dafür beklatschen, dass er den US-Außenminister abkanzelte. Der aber ließ die beißenden Attacken stoisch über sich ergehen.

Die Szene zeigt, dass Leute wie Villepin etwas Entscheidendes nicht begreifen: Für das konservative Lager der USA ist es völlig unerheblich, ob einer ihre Argumente zurückweist. Sie leben in einem Land der militanten Symbole und der starken Bilder. Und im Kampf der Bilder wurde umgekehrt Villepin von Bush regelrecht vorgeführt. Für den US-Präsidenten ging es gar nicht darum, die UN für sich zu gewinnen. Für ihn ging es um die innenpolitische Unterstützung für seinen Krieg. Und ein überzeugenderes populistisches Drama als den Disput vor den Vereinten Nationen hätte er sich gar nicht ausdenken können. In diesem Drama spielte Saddam Hussein natürlich den Hauptbösewicht. Und die Amerikaner spielten den arglosen Guten, der sich für seinen Widerstand gegen diesen Unhold von einem eitlen Gecken beschimpfen lassen muss, von einem arrogant intellektuellen, haarspalterisch und einseitig argumentierenden Franzosen, der auch noch Gedichte schreibt. Einem klassischen Franzosen also, denn in der US-Populärkultur werden die Franzosen stets als Nation von Snobs dargestellt, die Wein trinken, Käse essen und im Übrigen die Form wahren. Dieser Mann war die Fleisch gewordene „linksliberale Elite“. Es fehlte nur noch der Hinweis, dass er Parfüm benutzt oder eine Herrenhandtasche besitzt.

Mit seiner wohl begründeten, prinzipienfesten Opposition verkaufte Villepin dem amerikanischen Publikum den Krieg weitaus erfolgreicher, als George W. Bush selbst das konnte. Manchmal habe ich sogar schon gedacht, dass es vielleicht gar nicht zu dem Krieg gekommen wäre, wenn der Außenminister eines anderen Landes die Front gegen die US-Politik angeführt hätte. Wenn Bush wirklich schlau ist, wird er es so arrangieren, dass kurz vor den Wahlen im November eine neue Konfrontation mit Villepin zustande kommt.

Die Brisanz dieses Populismus des Ressentiments wird von unseren politischen Kommentatoren weder analysiert noch ernsthaft diskutiert. Deshalb werden sie alle vier Jahre aufs Neue davon aufgeschreckt, dass das konservative Lager überraschend erdrutschartige Siege einfährt und rechte Mehrheiten produziert, wo man linke erwarten würde, und verbitterte Wähler dort, wo eigentlich Zufriedenheit herrschen müsste. Und doch machen unsere politischen Gurus keinen ernsthaften Versuch, diese paradoxen Erscheinungen zu verstehen. Für dieses intellektuelle Versagen bezahlt die Linke in den USA einen besonders hohen Preis. Ihr Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit wird unweigerlich weitergehen, bis sie sich gründlich und unvoreingenommen mit den waschechten Amerikanern beschäftigt, mit den Wählern also, die mit ihrer Stimme für George W. Bush die Elite treffen wollen. Noch teurer wird dieses Versagen allerdings die Europäer und die übrige Welt zu stehen kommen. Wenn sie sich weiter weigern, Amerika und die Amerikaner verstehen zu wollen, sind sie dazu verdammt, deren Kriege und sonstigen politischen Zumutungen mitzumachen.

deutsch von Niels Kadritzke

* Autor von „The Conquest of Cool. Business Culture, Counterculture, and the Rise of Hip Consumerism“ (Chicago University Press 1997) und „One Market Under God“ (2000, dt. „Das falsche Versprechen der New Economy“, Campus 2001) sowie freier Autor u. a. für Washington Post, The Nation und Wall Street Journal.

Le Monde diplomatique vom 13.02.2004, von TOM FRANK