13.02.2004

Der Ruin von Parmalat

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Der Ruin von Parmalat

ES lebe die Ethik im Wirtschaftsleben!“ – „Es lebe das moralische Unternehmen!“ So tönte es auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos. Der Kapitalismus, so die Botschaft, möge auf gesunder Grundlage neu erstehen. Leicht wird das nicht sein. Denn just in dem Augenblick, da der fromme Wunsch ausgesprochen war, wurde das ganze Ausmaß der Parmalat-Affäre bekannt. Dieser Finanzskandal, möglicherweise in Europa der größte seit 1945, könnte ähnlich verheerende Schockwellen auslösen wie der betrügerische Bankrott des US-amerikanischen Energiekonzerns Enron im Dezember 2001.

Parmalat galt als Paradebeispiel für eine erfolgreiche Unternehmensstrategie in Zeiten liberaler Globalisierung. In den 1960er-Jahren als kleiner Familienbetrieb gegründet, der im Umland von Parma pasteurisierte Milch vertrieb, entwickelte sich Parmalat dank des unternehmerischen Geschicks seines Gründers Calisto Tanzi und dank großzügiger EU-Beihilfen zum multinationalen Konzern. Der Schritt ins Ausland kam 1974 mit ersten Filialen in Brasilien, Venezuela und Ecuador. Dubiose Zwischengesellschaften und Schachtelbeteiligungen entstanden an Orten mit günstigen Steuergesetzen – auf der Isle of Man und auf Malta, in den Niederlanden, Luxemburg und Österreich –, später auch in den Steueroasen der Caiman- und britischen Jungferninseln sowie auf den Niederländischen Antillen. 1990 ging Parmalat an die Börse. Auf dem Weltmarkt für H-Milch stand Parmalat auf Platz eins. Der Konzern beschäftigte 37 000 Mitarbeiter in 30 Ländern und erwirtschaftete 2002 einen Umsatz von 7,6 Milliarden Euro. Damit übertraf er die Wirtschaftsleistung von Ländern wie Paraguay, Bolivien, Angola oder Senegal.

Dieser gigantische Erfolg verschaffte Unternehmenschef Tanzi den Nimbus einer Schlüsselfigur des Establishments und einen Vorstandsposten im italienischen Arbeitgeberverband Confindustria. Die Parmalat-Aktie galt an der Mailänder Börse als sichere Geldanlage. Bis zum 11. November 2003.

An diesem Tag meldeten die Wirtschaftsprüfer ihre ersten Zweifel an der Güte einer Investition von 500 Millionen Euro in den Epicurum-Fonds auf den Caimaninseln. Kurz darauf revidierte die Rating-Agentur Standard & Poors ihre Bewertung der Parmalat-Titel nach unten. Der Aktienkurs begann zu fallen. Nun verlangte die Börsenaufsichtsbehörde Auskunft darüber, wie die Unternehmensgruppe ihre Ende 2003 fälligen Kredite abzuzahlen gedenke. Jetzt wurden die Gläubiger und Aktionäre nervös. Die Unternehmensleitung verkündete daraufhin, man habe einen Notgroschen von 3,95 Milliarden Euro beiseite gelegt. Als Beweis legte der Konzern ein Schriftstück vor, das von einer Filiale der Bank of America auf den Caimaninseln ausgestellt war und die Existenz von Wertpapieren und Liquidität in der angegebenen Höhe bestätigte. Das Management setzte alles auf eine Karte. Entweder man schaffte es, die Öffentlichkeit zu beruhigen, den Aktienkurs zu stabilisieren und die Umsätze zu steigern, oder aber die fortdauernden Zweifel mussten zum Zusammenbruch führen.

IN diesem entscheidenden Augenblick, da der Konzern glaubte, sich aus der Affäre ziehen zu können, erfolgte der Todesstoß. Am 19. Dezember gab die Bank of America bekannt, das von Parmalat vorgelegte Schriftstück über die Existenz der 3,95 Milliarden Euro sei eine Fälschung. Der Aktienkurs stürzte ab. Über 115 000 Investoren und Kleinaktionäre waren geleimt, etliche auch ruiniert. Der Skandal nahm seinen Lauf. Es zeigte sich, dass Parmalat mit 11 Milliarden Euro in der Kreide stand und das Schuldengebirge seit Jahren verheimlicht hatte. Buchhaltungstricks, Bilanzfälschung und fiktive Gewinne – alles im Rahmen eines komplexen Systems ineinander verschachtelter Offshore-Gesellschaften – machten es unmöglich, die Herkunft der Gelder zurückzuverfolgen und die Kontostände zu ergründen.

Obwohl der Betrug zum Dauerzustand geworden war, blieb er unentdeckt. So hatte etwa die Deutsche Bank am Vorabend des Skandals 5,1 Prozent des Parmalat-Kapitals erworben, während die Analysten noch eine starke Kaufempfehlung („strong buy“) für Titel der Unternehmensgruppe ausgaben. Inzwischen werden Buchprüfungsfirmen wie Grant Thornton und Deloitte & Touche, aber auch Großbanken wie die Citygroup der Mitwisserschaft beschuldigt. Sogar die Steueroasen kommen wieder ins Gerede. Die Affäre hat globale Dimensionen bekommen.

Nach der Enron-Pleite hatten die Verfechter der Globalisierung behauptet, betrügerische Unternehmer und windige Geschäfte gehörten fortan der Vergangenheit an. Die Affäre habe letztlich positiv gewirkt, weil sie dem System zu einer Selbstkorrektur verholfen habe. Parmalat beweist, dass nichts an diesen Behauptungen stimmt.

Le Monde diplomatique vom 13.02.2004, von IGNACIO RAMONET