Hans Blix resümiert
Hans Blix, Chef der UN-Waffeninspektion im Irak (Unmovic), hielt auf Einladung des Potsdamer Einstein Forums am 17. Februar 2004 einen Vortrag, aus dem wir zentrale Aussagen dokumentieren.
„Wie wir wissen, sind aus ‚weapons of mass destruction‘ (WMD) inzwischen ‚weapons of mass disappearance‘, massenhaft verschwundene Waffen, geworden. In diesem Zusammenhang stellen sich einige Fragen.
Erstens: Wann wurden die Waffen zerstört? Meine Hypothese lautet: die Waffen selbst 1991; es folgte, bis 1996, die Infrastruktur samt der biologischen und chemischen Komponenten; schließlich kurz vor Ausbruch des Krieges noch die Al-Samoud-2-Raketen, die wir gefunden hatten. […]
Die zweite Frage lautet: Hatte der Irak Anfang 2003 irgendwelche WMD-Programme, wie damals behauptet wurde? Ich kann nur sagen: Es ist vorstellbar, dass es sie gab. […] Aber wenn es so war, würde ich gern Beweise sehen. Es reicht nicht, zu sagen: Wir haben unterirdische Labors gefunden, die geeignet sind, biologische und chemische Waffen zu entwickeln. Wir würden gern einen Beweis sehen, dass sie tatsächlich dafür benutzt wurden. Mir sind solche Beweise noch nicht untergekommen, und ich bin gespannt, ob die US-Nachforschungen noch welche zutage fördern werden. […]
Unsere Position war: Solange ein Fall nicht durch überzeugende Nachweise geklärt war, kann man nicht sicher sein, dass die Sachen zerstört wurden – was aber andererseits noch nicht heißt, dass sie tatsächlich existierten. Sie konnten existieren. Das haben wir im Sicherheitsrat immer eigens betont. Aber dieser Vorbehalt wurde häufig ignoriert, auch auf der höchsten Ebene der US-Regierung. Mit anderen Worten: Das Worst-Case-Szenario wurde als Wirklichkeit ausgegeben. […]
Wir selbst haben bei 400 Inspektionsbesuchen nichts gefunden. Wir schlossen daraus, dass das Land nicht mit WMD voll gestopft war. […]
Die dritte Frage lautet: Warum haben die Iraker mit den UN-Inspektoren Katz und Maus gespielt, wenn sie keine solchen Waffen hatten? […] Es wird vielleicht irgendwann herauskommen, vorerst können wir über die Gründe nur spekulieren. Meine erste Mutmaßung: Saddam hatte eine äußerst ambivalente Haltung zur Zusammenarbeit mit den Inspektoren. Er bekam oft genug zu hören, dass die Sanktionen erst aufgehoben würden, wenn er selbst von der Bühne verschwindet. Das reizte nicht unbedingt zur Kooperation.
Eine zweite Erklärung lautet: Vielleicht fanden sie es ganz gut, dass die Außenwelt den Irak im Verdacht hatte, dass er WMD besitzt. Denn das könnte ja die Vorstellung nähren – bei den Nachbarländern wie in der ganzen Welt –, dass ihr Land noch ein ‚dangerous animal‘ wäre. Das ist, als würde man ein Schild ‚Vorsicht, bissiger Hund!‘ ans Gartentor hängen – wo es in Wirklichkeit gar keinen Hund gibt.
Zum Teil mag auch das Besondere bestimmter Orte, die wir zu inspizieren hatten, den Widerstand der Iraker erst ausgelöst haben. Da spielte vielleicht ein Gefühl der Erniedrigung mit, etwa im Fall der Präsidentenpaläste. […] Wenn die Inspektoren sagen, wir möchten die Toilette des Präsidenten besichtigen, würde man das wohl auch in manch anderem Land als kränkend empfinden.
Ein dritter möglicher Grund: Die Iraker wussten, dass es in den UN-Inspektionsteams auch Leute gab, die direkten Kontakt mir ihren nationalen Geheimdiensten hatten. Scott Ritter hat darüber viel geschrieben. Man weiß das auch aus Berichten, die Ende 1998 in den US-Medien erschienen. Bei diesen Inspektoren konnten die Iraker davon ausgehen, dass sie über alle Anlagen, zu denen sie Zugang bekamen, ihre militärischen Geheimdienste unterrichten. Die konnten zum Beispiel Informationen darüber weitergeben, welche konventionellen Waffen sie gefunden haben oder welche Anlagen sich als Bombardierungsziele anbieten. Das konnte bei den Irakern keine besonders positive Einstellung zu den Inspektionen bewirken.
Schließlich war auch bekannt, dass Unscom-Inspektoren elektronische Abhörgeräte bei sich hatten, um die irakischen Sicherheitsvorkehrungen auszuforschen. Sie konnten also die irakische Führung belauschen und über deren Bewegungen berichten.“
Ein Fazit über die politische Strategie der Interventionsmächte:
„Am Ende […] gaben die USA und Großbritannien die Politik der Eindämmung auf und entschlossen sich zur aktiven ‚Counter-Proliferation‘ mittels bewaffneter Invasion. Wobei sie ihren eigenen Geheimdiensten mehr trauten als den Inspektoren, die berichtet hatten, dass sie nie eine ‚smoking gun‘ und nie eine verbotene Komponente gefunden hatten. […]
Heute sind sich alle einig, dass es im März 2003 in der Frage der irakischen MWD Unklarheiten gab. Wir konnten auf keinen Fall behaupten: Nein, solche Waffen gibt es nicht. Aber die USA und andere behaupteten, es gebe sie ganz sicher. Wenn sie gesagt hätten, wir sind unsicher und die Unsicherheit ist für uns nicht hinnehmbar, wäre das korrekt gewesen. Aber der US-Kongress und das britische Unterhaus hätten wohl kaum zugestimmt, wenn sie gesagt hätten: Es gibt eine Unsicherheit über die Existenz dieser Waffen.“