12.03.2004

Laylah Ali

zurück

Laylah Ali

IN ihrer Reduktion erinnern die Grünkopf-Gouachen der Afroamerikanerin Laylah Ali (geb. 1968) an Piktogramme, so unmittelbar eingängig, schnell erfassbar und spontan freundlich erscheinen die Figuren auf den ersten Blick. Doch dann, beim zweiten Blick, verdüstert sich das Bild: Menschen mit aufgerissenen Mündern, fehlenden Gliedmaßen und eingeschnürten Leibern. Harmlos wirkende Figuren sind Teil von Gewaltverhältnissen, in einem luftleeren Raum, ohne erläuternden Zusammenhang. Wie überhaupt die Figuren auf den Gemälden nichts erzählen und nicht als Individuen vorhanden sind, sondern als Träger von körperlichen Merkmalen und Accessoires den dargestellten Momenten ausgesetzt sind. „Kleider machen Leute“, auch bei den Grünköpfen mit ihren Uniformen, Ku-Klux-Clan-Hüten, Mönchskutten. Doch gleiche Kleider machen keine gleichen Leute, minimal abweichende Zeichen öffnen dem Betrachter ständig neue Assoziationsräume.

Im Vordergrund der Abweichungen steht eine gemeinsame Grund-Differenz: Alis Grünköpfe sind dunkelhäutig, haben androgyne Körper und übergroße grüne Köpfe. „Ich wollte eine Figur zum Leben erwecken, die ich vorher noch nie gesehen hatte, eine, die sich wie ein Fragezeichen aufführt“, sagt Laylah Ali. „Eine Figur, die mich und den Betrachter die Frage aufdrängt: Wer ist das? Was ist das? Weshalb existiert das? Und nicht eine Figur, die historische, leicht entschlüsselbare Assoziationen trägt.“ So erfand sie ihr Markenzeichen, die Grünköpfe. Wer zum Beispiel ist das, dem auf einem Bild drei Grünköpfe Hand und Fuß und Gürtel überreichen? Ein Gefängniswärter? Und: Warum Gürtel? Und woher stammen die abgetrennten Gliedmaßen? Die auf dem ersten Blick wahrgenommene Schönheit weicht der Verstörung. Und schon beginnt das detektivische Vergnügen, das man aus der frühkindlichen Lesererfahrung kennt.

Piktogramme funktionieren gewöhnlich auf der Basis, dass alle Welt die Zeichen unmittelbar entziffern kann. Ihre Klarsprache sorgt für einfachste Verständigung, gewährleistet, dass die Welt sich binnen Sekunden für alle erschließt. Ali kreiert ihre eigene bildliche Klarsprache, doch sie verkehrt den Effekt der Piktogramme – bei aller Leichtigkeit und Schönheit erhöhen ihre Bilder letztlich das Wissen um die Unlesbarkeit der Welt.

Alis Bilder werden vielfach mit Comics verglichen, doch Comics erzählen, sie holen den Betrachter ab, binden die Figuren in Geschichten. Alis Bilder hingegen zeigen Zustände, deren Genese ebenso wie deren Ausweg der Fantasie des Betrachters überlassen bleibt. Der wiederum wünscht sich hier und da eine Sprechblase, die ihm die gewalttätige Zeichenwelt der Grünköpfe vermitteln würde.M.L.K.

Le Monde diplomatique vom 12.03.2004, von M.L.K.