16.05.2003

Raubkunst

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Raubkunst

Die Versteigerung islamischer Kunstwerke durch Europas Auktionshäuser ist so skandalös wie die allseits beklagte Plünderung der irakischen Kunstschätze. Wenn illegal beschaffte Objekte auf den Markt kommen, werden alle Spuren verwischt, die zum Herkunftsort und damit zu wertvollen historischen Erkenntnissen führen.

Von SOUREN MELIKIAN *

WÄHREND die Empörung über die Plünderung und Zerstörung des irakischen Kulturerbes immer weiter um sich greift, gehen die Geschäfte auf dem Kunstmarkt ihren gewohnten Gang. In London, Paris und New York machen die Auktionshäuser mit der Versteigerung von „islamischer“ Kunst weiter, als wäre nichts geschehen: Christie‘s , Sotheby‘s, Bonham‘s, um nur die wichtigsten Londoner Häuser zu nennen.

Für keines der versteigerten Kunstwerke – neu ausgegrabene Objekte oder von Monumenten entfernte Teilstücke – lag je eine Ausfuhrlizenz vor. Die Gesetze der Länder, aus denen die meisten dieser Gegenstände stammen – Afghanistan, Iran, Syrien, Irak – verbieten kommerzielle Ausgrabungen und erst recht natürlich die Verstümmelung oder Plünderung historischer Baudenkmäler. Aber schwache Staaten, die mit wichtigeren Problemen zu kämpfen haben, verfügen nicht über die Mittel, die Einhaltung dieser Gesetze zu erzwingen, und die Außenwelt sieht nur allzu gern darüber hinweg.

Würde der Schwarzhandel mit solchen Objekten sich auf den Transfer nationalen Kulturerbes von Ort A nach Ort B beschränken, gäbe es immerhin Aussichten, dass die Dinge eines Tages irgendwie wieder in Ordnung kommen. Doch leider erweisen sich die illegalen Grabungen, die diesen Exporten vorangehen, als ausgesprochen zerstörerisch. Während die Objekte mit Spitzhacke und Axt, wenn nicht gar mit Hilfe von Dynamit, zutage gefördert werden, erleiden sie in der Regel schwere Schäden: Bronzegefäße werden verbeult, Keramiken und Gläser zerschlagen, elfenbeinerne Gegenstände zumeist vollständig zerstört.

Bei den Auktionen kann man eine leise Vorstellung von der ganzen Tragweite des Problems gewinnen. Am 29. April wurde bei Christie‘s ein Weingefäß in Form eines gestiefelten Beines versteigert, dessen Herkunft im Katalog als „wahrscheinlich Nordostiran, 9./10. Jahrhundert“ angegeben wurde. Als es noch im Boden lag, muss es praktisch unversehrt gewesen sein. Die Tonmasse des Gefässes, die an rissigen Stellen sichtbar wurde, war von einem frischen, leicht ins Rosa gehenden Rot und wies keinerlei Spur von Erdverkrustungen auf, wie sie bei tausendjährigen Rissen immer zu finden sind. An einer Seite war das Objekt offensichtlich von einer Spitzhacke getroffen worden.

Aber der angerichtete Schaden reicht weit über die materielle Beschädigung von ausgegrabenen Kunstschätzen hinaus. Die Art von Tongefäß, wie es bei Christie‘s versteigert wurde, ist für die Wissenschaft noch immer ein ziemliches Rätsel. Ich fand eine Beschreibung derselben Art Weingefäß und dessen Bestimmung (für ein rituelles aristokratisches Weinbankett) in einer Ausgabe des Bulletin of the Asia Studies, der US-amerikanischen Zeitschrift für Iranistik, aus dem Jahre 1997. Es wäre wichtig zu wissen, in welcher Umgebung das Objekt gefunden wurde – möglicherweise in den Ruinen eines Adelspalasts. Ein Analyse der organischen Beimengungen mit Hilfe der Kohlenstoff-14-Methode oder Münzen mit dem Namen eines Herrschers hätten die grobe Datierung bei Christie‘s (auf das „9./10 Jahrhundert“) präzisieren können.

Wenn wie in diesem Fall der gesamte dokumentierbare Ausgrabungskontext zerstört wurde, ist dies schlechterdings eine Katastrophe. Bei Bonham‘s wurden beispielsweise am 1. Mai eine ganze Reihe interessanter Objekte aus Afghanistan und dem Iran versteigert, darunter ein sensationeller Fund, der zu wichtigen Entdeckungen hätte führen können. Ein Bronzemedaillon mit verschiedenen Inschriften gab die Titel eines Herrschers namens Sultan Abu Schuja‘ Farruchad und die Jahreszahl 444 nach islamischem Kalender (1053 n. Chr.) preis. In dem angegebenen Jahr errang der Sultan den Thron des ostiranischen Königreichs um die Stadt Ghasni, südwestlich von Kabul. Das Medaillon berichtet ganz offensichtlich von der Thronbesteigung des neuen Herrschers. Da liegt natürlich die Frage ganz nahe, welche anderen königlichen Beigaben, zum Beispiel Prunkgefäße, dort ebenfalls herumlagen. Ob intakt oder beschädigt, man hätte sie dank des Medaillons präzise datieren und mit ihrer Hilfe zumindest ansatzweise eine Vorstellung von den königlichen Besitztümern gewinnen können.

In Afghanistan, Iran und Irak gehen Jahr für Jahr Dutzende solcher Fundstellen verloren. Das hat nichts mit irgendeiner Form von Taliban-Vandalismus zu tun, sondern nur mit dem westlichen Kunstmarkt und wie er funktioniert. An vielen Objekten in den Auktionskatalogen dieses Frühjahrs wird deutlich, dass solcher Vandalismus zu völlig falschen historischen Zuordnungen führt: Der „seltene fatimidische Bronzekrug, Ägypten, 10. Jahrhundert“ bei Bonham‘s hatte eine typisch ostiranische Form, die sich auch bei einem kleineren Pendant im Kabuler Museum und bei vielen anderen Wasserkrügen aus Afghanistan und Iran findet.

Solche abstrusen Zuschreibungen erklären sich vor allem aus der Tatsache, dass von den Abertausenden früher Bronzegefäße aus der iranischen Welt, die mittlerweile in öffentlichen oder privaten Besitz gelangt sind, kaum eines von Archäologen aufgefunden wurde. Dasselbe gilt für das frühislamische Ägypten und Syrien. Die Chancen, über dieses Gebiet eine präzise Geschichte zu verfasse zu können, schwindet von Jahr zu Jahr.

Waren die 5 875 britischen Pfund, die das afghanische Medaillon bei der Versteigerung einbrachte, oder der missglückte Versuch, den „fatimidischen“ Krug an den Mann zu bringen, den Wissensverlust wert, der durch die Unkenntnis des jeweiligen Fundzusammenhangs entsteht? Nur eine winzige Minderheit – mit ausgeprägter Selbstbedienungsmentalität – wird diese Frage bejahen.

Immerhin machen sich mittlerweile erste Anzeichen für ein verändertes Problembewusstsein bemerkbar. Bei einer Auktion von „Kunst der islamischen Welt“ bei Sotheby‘s wurden Ende April merklich weniger Objekte aus kommerziellen Grabungen angeboten, auch wenn immer noch einige unter den Hammer kamen. Der „bedeutende rundgeschliffene Intaglio-Glaskrug, Persien, 10. Jahrhundert“, der auf der Titelseite prangte, kletterte auf atemberaubende 621 600 Pfund, und das vor allem, weil er weitgehend unzerstört war – ein wirklich seltenes Attribut, das jedoch wesentlich häufiger vorkäme, wenn die Objekte nicht von Plünderern stammten.

Nicht weniger beklagenswert ist der Schaden, der den historischen Baudenkmälern zugefügt wird. Das Aushängen von Türen und Abschlagen glasierter Verblendungsfliesen von den Wänden alter Moscheen, Mausoleen und Paläste begann bereits im 19. Jahrhundert. Glanzstück der architektonischen Objekte bei Christie‘s war eine zweiflügelige Tür, die aus einem alten Bauwerk im türkischen Konya, der Hauptstadt der Rum-Seldschuken-Dynastie stammte. Der Katalog erklärt, sie stamme aus der „Sammlung eines europäischen Ingenieurs, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert viel in der Türkei gereist“ sei. Seine Nachfahren werden sich freuen. Die Tür erzielte den sensationellen Preis von 766 250 Pfund. Ein Holzbalken mit einer kufischen Inschrift wurde auf das 14. Jahrhundert datiert und „Marokko oder Spanien“ zugeschrieben. Christie‘s vermerkte stolz, dass „der unmittelbar auf die obige Inschrift folgende Teil am 23. April 2002 in diesem Räumen als Los 135“ verkauft wurde. Ein Jahr später brachte der Balken 318 850 Pfund. Auf diese Weise werden Gebäude, die noch nicht einmal identifiziert sind, Stück für Stück in ihre architektonischen Bestandteile zerlegt.

Fliesen, die man von den Wänden iranischer Moscheen und Paläste abgeschlagen hat, wurden bei allen Auktionen feilgeboten. Bei Christie‘s konnte man Fliesen aus dem von 1265 bis 1282 in Takht-e Solayman erbauten Palast ersteigern. Bei Sotheby‘s wurde eine größere figürliche Wandfliese mit der Darstellung zweier berittener Krieger, ebenfalls aus Takht-e Solayman, für 8 400 Pfund verkauft. Wie lange noch werden sich Käufer für Bruchstücke aus alten Baudenkmälern finden? Und wann werden sie endlich beschließen, die Herkunft zu prüfen, ehe sie wichtige Kunstgegenstände ersteigern, die aus dem Nichts auftauchen? Der erstaunlichste Fall bei den Auktionen dieses Frühjahrs waren ein Tintenfass und Federbecher aus Bronze, die den Namen und Titel des berühmtesten, 1283 ermordeten iranischen Wesirs Schams od-Din Dschoveyni trugen.

Die Lobestitel, die diesem Wesir verliehen wurden, legen den Schluss nahe, dass er in den Diensten des ersten zum Islam konvertierten mongolischen Herrschers, Sultan Ahmad (1281–1283) stand. Es handelt sich also um ein „Staatstintenfass“, eine iranische Neuerung, die ich 1986 im Journal of the Walker Art Gallery of Baltimore beschrieben habe und die den mustergültigen Zustand der Gold- und Silbereinlegearbeiten erklärt. Dieses kostbare Stück muss bis vor kurzem entweder in der kaiserlichen Schatzkammer in Iran oder in einem der großen schiitischen Grabmäler im Iran oder Irak aufbewahrt worden sein.

Wäre es schon länger in westlichen Händen gewesen, als ein pfiffiger Händler es für weniger als 1 000 Pfund kaufte, hätte man davon gewusst. Seine überragende Bedeutung für die iranische Kunst und Geschichte erklärt den unerhörten Preis, den es erreichte: 1,12 Millionen Pfund. Allein die Kenntnis seiner genauen Provenienz im Nahen Osten wäre von unschätzbarem historischen Wert.

Es ist Zeit, höchste Zeit für die Etablierung fester Regeln, die den sorgsamen Umgang mit dem gemeinsamen kulturellen Erbe dieser Welt garantieren. Für die Zerstörungen, die auch in Zeiten des Friedens laufend angerichtet werden, gibt es kaum eine Entschuldigung.

deutsch von Robin Cackett

Dieser Text erscheint nur in der deutschsprachigen Ausgabe

* Souren Melikian ist Kunstkritiker der International Herald Tribune und Spezialist für islamische Kunst. Er lebt in New York. Der Abdruck des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung des New York Times Syndikats, Paris.

Le Monde diplomatique vom 16.05.2003, von SOUREN MELIKIAN