08.04.2004

Sicherheit ist unteilbar

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Sicherheit ist unteilbar

DIE Anschläge vom 11. März in Madrid zeigen, dass die Politik des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus unter Führung der Vereinigten Staaten gescheitert ist. Am 28. Januar 2003 hatte George W. Bush in seiner Rede zur Lage der Nation behauptet: „Nachrichtendienstliche Quellen, geheime Berichte und Aussagen heute inhaftierter Personen belegen, dass Saddam Hussein Terroristen, darunter auch Mitgliedern von al-Qaida, Unterstützung und Unterschlupf gewährt.“ Wenige Tage später, am 5. Februar 2003, präsentierte US-Außenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat angeblich eindeutige Beweise für die Verbindungen zwischen dem Irak und al-Qaida.

Die Verlautbarungen der Bush-Regierung wirkten so überzeugend, dass zum Zeitpunkt des Kriegseintritts der Vereinigten Staaten 44 Prozent der Bürger glaubten, die meisten der für die Anschläge vom 11. September verantwortlichen Luftpiraten seien Iraker, 45 Prozent waren sogar überzeugt, Saddam Hussein sei persönlich in die Anschläge verwickelt gewesen. Doch schon vor Powells Auftritt im Sicherheitsrat hatten US-Zeitungen enthüllt, dass man sich bei der CIA und beim FBI über die vollmundigen Behauptungen der Regierungsmitglieder sehr gewundert habe. Und in der CIA seien viele sehr verärgert gewesen, dass man ihre Untersuchungsberichte über den Irak – und vor allem die möglichen Verbindungen zum Terrorismus – so stark aufgebauscht hatte. Nach Meinung europäischer Geheimdienstexperten gab es keinerlei Belege für eine Al-Qaida-Verbindung.

Ein Jahr später steht fest, dass die beiden zentralen Argumente, mit denen der Krieg der „Koalition der Willigen“ gegen den Irak gerechtfertigt wurde, falsch sind: Es wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden, und Verbindungen zu al-Qaida hat es nicht gegeben. Angesichts dieser Tatsachen versuchten die US-amerikanische und die britische Regierung, die Kritik auf die Geheimdienste abzuwälzen.

Die Lage der USA und ihrer Verbündeten ist umso unangenehmer, als sich die Sicherheitslage im Irak mit jedem Monat verschlechtert. Seit dem von Bush am 1. Mai 2003 erklärten Ende des Krieges bis Ende Februar 2004 wurden auf die alliierten Streitkräfte pro Tag durchschnittlich 17 Angriffe verübt und insgesamt 407 Soldaten getötet. Und die Anschläge gegen die alliierten Truppen und gegen die Zivilbevölkerung nehmen ständig zu. Während es vor dem Krieg keine Verbindungen zwischen dem Regime Saddam Husseins und al-Qaida gab, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sich inzwischen eine solche Zusammenarbeit auf irakischem Boden entwickelt hat.

Ab Oktober 2003 waren sogar innerhalb der US-Regierung Zweifel zu spüren. In einem Memorandum von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wurde zugegeben, der Dschihad habe in der islamischen Welt neue Anhänger gewonnen und dazu habe auch wesentlich die Intervention im Irak beigetragen.

Anfang 2004 war auch in dem auf Geheimdienstanalysen spezialisierten Jane’s Intelligence Digest [www.janes.com] zu lesen, die vor Kriegsbeginn verfügbaren Informationen hätten keine ausreichende Rechtfertigung für die Intervention der Vereinigten Staaten geboten. Die Operationen im Irak lenkten nicht nur vom Kampf gegen den Terrorismus ab, sie untergrüben zudem die innere Sicherheit der USA. Einige Analysten sagen heute explizit, die Intervention habe eine neue terroristische Front geschaffen, und die einschlägigen Gruppen im Irak wie in anderen Ländern seien dadurch nur noch zusätzlich motiviert worden.

Nach den Anschlägen vom 11. März in Madrid stellte der ehemalige Sonderbeauftragte der Europäischen Union für den Nahen Osten, der Spanier Miguel Angel Moratinos, fest: „Die von der amerikanischen Administration und anderen westlichen Ländern verfolgte Strategie ist katastrophal gescheitert“, die Politik des Präventivkrieges habe nur „Chaos und Unheil“ gebracht. Und der Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, erklärte gegenüber La Stampa: „Es ist offensichtlich, dass der Konflikt mit den Terroristen nicht durch Gewalt zu lösen ist.“ Ein Jahr nach Beginn des Irakkriegs zog er eine negative Bilanz, „und zwar sowohl im Irak als auch außerhalb: Istanbul, Moskau, Madrid. Der Terrorismus, der durch diesen Krieg gestoppt werden sollte, ist heute ungleich mächtiger als noch vor einem Jahr.“

DAS Scheitern dieser Politik Washingtons und seiner Verbündeten ist auf zwei grundlegende Irrtümer zurückzuführen. Der erste betrifft die Grundannahme, der Terrorismus sei die eigentliche Krankheit, während er doch das Symptom eines von bestimmten Gruppen erfahrenen Übels ist. Eine wirksame und nachhaltige Bekämpfung müsste daher an den tieferen Ursachen ansetzen, aus denen die Täter ihre Motivation beziehen. Sie erfordert demnach langfristige Bemühungen, die über bloße Repressionen weit hinausgehen und erst nach einigen Jahren Wirkung zeigen.

Der zweite Irrtum besteht in der überschätzten Effizienz militärischer und sicherheitstechnischer Mittel. Staaten oder gefährliche Gruppierungen mit schweren Waffen anzugreifen macht die gezielte Bekämpfung der eigentlichen Probleme unmöglich. Ein solcher „asymmetrischer Krieg“ ist enorm kostspielig (der Irakkrieg hat annähernd 70 Milliarden Dollar gekostet), völlig ineffektiv und Ursache neuer Probleme.

Im Übrigen ist es illusorisch zu glauben, die demokratischen Gesellschaften der Industrienationen könnten sich als Festungen von der übrigen Welt abschotten. Der global gewordene Austausch, der Wunsch, den Verkehr von Gütern und Menschen zu beschleunigen, und die Notwendigkeit, Freiheit und Grundrechte der Bürger zu schützen, erfordern ein hohes Maß an Offenheit und Freizügigkeit, was uns zugleich sehr verletzlich macht.

Die Sicherheit der Welt ist unteilbar, also eine gemeinsame Sache. Risiken und Bedrohungen in irgendeinem Winkel der Erde können auf unsere Gesellschaften übergreifen. Das lässt weniger militärische Gewalt als Mittel der Wahl erscheinen denn vielmehr den politischen Dialog. Es geht also darum, Konzepte für die friedliche Beilegung und Prävention von Konflikten in den Vordergrund zu stellen, die übrigens das ausdrückliche Fundament der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union darstellen.

BERNARD ADAM

Le Monde diplomatique vom 08.04.2004, von BERNARD ADAM