Unternehmen Gefängnis
IM Gefängnis wird gearbeitet. „Tütenkleben“ war früher sogar ein Synonym für den Haftaufenthalt. Welchem Zweck die Arbeit der Häftlinge dient, macht das preußische Gefängnishandbuch aus dem Jahr 1900 deutlich: 1. Damit die Gefangenen die Strafe als ein Übel empfinden. 2. Damit sie durch die regelmäßige Tätigkeit, durch Ordnung und Gehorsam, gebessert werden. 3. Damit ihr Gesundheitszustand nicht geschädigt werde. 4. Damit sie nach der Entlassung in der bürgerlichen Gesellschaft wieder Fuß fassen können.
Auch heute sind Strafgefangene in Deutschland zur Arbeit verpflichtet – wenn genügend Arbeit vorhanden ist. Die anhaltende konjunkturelle Krise und industrielle Billigkonkurrenz in Osteuropa haben auch hinter Gittern „Arbeitslosigkeit“ entstehen lassen. Etwa 10 Prozent der Gefangenen arbeiten als „Freigänger“ außerhalb der Haftanstalt in einem normalen Beschäftigungsverhältnis. Die übrigen Arbeitsplätze sind in der Haftanstalt selbst. Dabei gibt es einerseits „Unternehmerbetriebe“, bei denen im Auftrag von Wirtschaftsunternehmen meist einfache Montage-, Sortier- und Verpackungsarbeiten durchgeführt werden. Tüten werden heute nicht mehr geklebt. Dem stehen die „Eigenbetriebe“ der Gefängnisse gegenüber: Tischlereien, Druckereien, Schneidereien und Buchbindereien, die für den Staat, aber auch für private Kunden produzieren.
Nur Freigänger erhalten dabei normale Löhne, die übrigen Gefangenen werden mit Mickerbeträgen abgespeist. Bis vor wenigen Jahren lag der Ecklohn nur bei 5 Prozent einer normalen Tarifentlohnung. Dies ergab Stundenlöhne von zuletzt rund 1,40 Mark und einen Monatsverdienst knapp über 200 Mark. Erst das Bundesverfassungsgericht erzwang 1998 eine Änderung.
Federführend war dabei Richter Konrad Kruis, einst von der CSU für Karlsruhe vorgeschlagen, der sich dort aber zu einem wichtigen Bündnisgenossen der Strafgefangenen entwickelte. Auch Gefangenenarbeit müsse „angemessene Anerkennung“ finden, erklärten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil und begründeten dies mit dem Resozialisierungsgebot, das sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebe. Den Gefangenen solle durch die Entlohnung „der Wert regelmäßiger Arbeit“ für ein künftig straffreies und selbstverantwortliches Leben vor Augen geführt werden.
Konkrete Lohnerhöhungen schrieb Karlsruhe dem Gesetzgeber aber nicht vor. Und so begann im Anschluss an den Richterspruch ein unwürdiges Gezerre. Die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin schlug eine Erhöhung der Haftlöhne auf 15 Prozent eines Normalverdieners vor. Doch Boulevardzeitungen empörten sich über die „Verdreifachung“ der Löhne, und die Länder, die den Strafvollzug finanzieren müssen, mauerten. Am Ende kam eine knappe Verdoppelung der Löhne (auf 9 Prozent des Normalverdienstes) heraus.
Ein Durchschnittsgefangener erhält für seine Arbeitsstunde jetzt also knapp 1,50 Euro. Gegen die Neuregelung wurden zwar schnell wieder Verfassungsbeschwerden erhoben, doch Karlsruhe ließ die Regelung passieren. „Die äußerste Grenze einer verfassungsrechtlich zulässigen Bezugsgrenze (ist) noch gewahrt“, hieß es im Frühjahr 2002 zur Begründung. Konrad Kruis war an dieser Entscheidung nicht mehr beteiligt. Er hatte das Verfassungsgericht inzwischen aus Altersgründen verlassen.
Die Gefangenen haben also immer noch kaum Geld, um ihren Angehörigen Unterhalt zu zahlen oder die Opfer ihrer Taten zu entschädigen. Die Täter sollen zwar lernen, Verantwortung zu übernehmen, doch die Mittel hierzu verweigert man ihnen. Auch ihren eigenen Schuldenberg (im Schnitt über 10 000 Euro pro Person) können die Gefangenen nicht wirksam reduzieren. Der Neustart in der Freiheit ist so weiterhin mit einer schweren Hypothek belastet.
ALLERDINGS geht auch der Vorwurf, mittels Hungerlöhnen würde im Knast Ausbeutung betrieben, an der Realität vorbei. Der Staat verdient nichts an seinen Gefängnissen, im Gegenteil. Die Einnahmen aus der Haftarbeit decken deutlich weniger als 10 Prozent der gesamten Gefängniskosten. Und die Unternehmen, die im Knast produzieren lassen, sparen dadurch nur bedingt Kosten, denn sie zahlen der Haftanstalt annähernd tarifliche Löhne – abzüglich rund 20 Prozent wegen der geringeren Produktivität der Gefangenen.
Die geringe Produktivität spielte auch im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine große Rolle. Schlechte Ausbildung der Gefangenen, wenig Motivation, veraltete Ausrüstung, bürokratische Strukturen, ständig wechselnde Belegschaften – die Gründe sind vielfältig, weshalb hinter Gittern nicht so effizient produziert werden kann wie auf dem freien Markt. Umso mehr überraschte vor wenigen Wochen eine stolze Meldung aus Baden-Württemberg: Nach einer Neuorganisation der Gefängnisarbeit sei im Jahr 2001 landesweit ein Gewinn in Höhe von 1,3 Millionen Euro erzielt worden – nach Abzug der Gefangenenlöhne und der sonstigen Kosten für die Betriebsstätten. Dabei war Baden-Württemberg neben Bayern doch das Land gewesen, das am lautesten vor einer Anhebung der Haftlöhne gewarnt hatte. Die Erhöhung der Löhne scheint also durchaus den Anreiz zu effizienzsteigernden Reformen gegeben zu haben.
Letztlich sind solche Erfolgsmeldungen aber immer relativ. Je nachdem, welchen Anteil der Personal- und Gebäudekosten im Gefängnis man den Haftbetrieben zurechnet, können diese große Gewinne oder große Verluste verzeichnen. Und wenn es in Karlsruhe das nächste Mal um die Höhe der Haftlöhne geht, dann wird Baden-Württemberg sicher wieder stark defizitäre Einrichtungen präsentieren.
CHRISTIAN RATH