11.06.2004

Bilder und Henker

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Bilder und Henker

Von IGNACIO RAMONET

DIE Vereinigten Staaten fühlen sich dem Ziel verpflichtet, die Folter weltweit abzuschaffen, und wir gehen in diesem Kampf mit gutem Beispiel voran. Ich rufe alle Regierungen auf, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten und allen dem Recht verpflichteten Staaten sämtliche Folterhandlungen zu verbieten, zu ermitteln und zu verfolgen und alles zu tun, um andere grausame und anormale Bestrafungsmethoden zu unterbinden.“

(Georges W. Bush, The Washington Post, 27. Juni 2003)

Die Falle ist zugeschnappt. Die Invasoren im Irak machen jetzt die gleichen Erfahrungen, die andere aus ihren Kolonialkriegen kennen. Wie die Franzosen in Algerien, die Briten in Kenia, die Belgier im Kongo und die Portugiesen in Guinea-Bissau – und wie die Israelis im Gaza-Streifen – merken die US-Streitkräfte, dass ihre erdrückende militärische Überlegenheit die Entführungen, die Überfälle aus dem Hinterhalt, die tödlichen Attentate nicht verhindern kann. Für die Besatzungstruppen ist der Irak zum Inferno geworden.

Was einen Kolonialkonflikt kennzeichnet, ist die Arroganz der Besatzer, ihr Gefühl kultureller Überlegenheit, ihre Verachtung für die Kolonisierten, denen im Extremfall sogar die Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung abgesprochen wird. Als gleichsam natürliche Folge dieses Kolonialdünkels glaubt sich der Besatzer zum Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt berechtigt, um seine „höhere und heilige Mission“ zu erfüllen: das Gute gegen das Böse zu verteidigen, die Zivilisation zu schützen, Demokratie einzuführen. Wie zum Beispiel in Falludscha Anfang April. Um die Täter zu bestrafen, die sich auf abscheuliche Weise an vier bei einem Anschlag getöteten Wachleuten einer privaten Sicherheitsfirma vergingen, bombardierten die US-Streitkräfte kurzerhand ganze Wohnviertel. Dabei kamen 600 Zivilisten ums Leben, darunter viele Kinder.

Angesichts der immer tieferen Verstrickung brach der Fernsehsender CBS am 28. April das mediale Gesetz des Schweigens und präsentierte die ersten Fotos, die Misshandlungen irakischer Gefangener durch US-Wachleute im Gefängnis von Abu Ghraib zeigten. Diese Bilder – als Trophäen der Täter geschossen – lösten allgemeine Bestürzung aus. Die CBS-Reportage belegte, dass im Irak gefoltert wird. Sie war schon Anfang April fertig, doch Druck aus dem Pentagon verzögerte ihre Ausstrahlung um rund drei Wochen. Generalstabschef Richard Meyers bewirkte diese Verschiebung, indem er persönlich bei Produzent Dan Rather mit dem Argument intervenierte, die Fotos gefährdeten das Leben der US-Soldaten in Falludscha.

Als CBS dann jedoch erfuhr, dass Seymour Hersh vom New Yorker, der 1969 das Massaker von My Lai aufgedeckt hatte, eine andere Fotoserie und Auszüge aus dem schwer belastenden Report von General Antonio Taguba veröffentlichen würde, entschloss sich CBS, den Bericht zu senden.

VON den großen Medien, die zuvor die Weisung der Regierung befolgt hatten, keine Bilder toter US-Soldaten im Irak zu zeigen, wurden die Fotos zunächst unterdrückt, weil sie „wenig patriotisch“ seien. So erklärte Bill O’Reilly, Anchorman bei Fox News: „Mit der Veröffentlichung dieser Fotos hat CBS den Feinden Amerikas eine gefährliche Waffe an die Hand gegeben. Und das ist schockierend.“

Schockiert zeigte sich auch Präsident Bush. Sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bestritt, von solchem „Fehlverhalten“ gewusst zu haben. Beide schrieben die Grausamkeiten einigen „verirrten Schafen“ zu. Sie lügen – so wie sie im Fall der Massenvernichtungswaffen und der angeblichen Verbindung zwischen Saddam Hussein und Ussama Bin Laden gelogen haben.

Die Misshandlungen an Gefangenen waren bekannt. Seit Monaten zirkulierten Berichte des Roten Kreuzes und von amnesty international, in denen systematisch begangene Grausamkeiten angeprangert wurden, und der Bericht des Generals Tabuga lag seit langem im Pentagon vor. Bereits im Dezember 2002 dokumentierte die Washington Post, dass mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder im afghanischen Gefängnis von Bagram von der CIA unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert und gefoltert wurden. Human Rights Watch hat diese Zustände in einem ausführlichen Report vom 9. März 2004 dokumentiert.

Einige Gefangene sind durch diese Misshandlungen ums Leben gekommen. Andere wurden (wie Stephen Grey im New Statesman dargestellt hat) in die Geheimgefängnisse auf Diego García verfrachtet oder den Geheimdiensten „befreundeter Länder“ wie Ägypten und Jordanien übergeben, die bekanntermaßen foltern. Rund 600 Gefangene, deren Identität die USA noch immer nicht offen gelegt haben, wurden nach Guantánamo deportiert, wo die Inspektoren des Roten Kreuzes nach wie vor keinen freien Zutritt haben. Dort wurden die Techniken getestet, die dann im besetzten Irak allgemein angewandt wurden.

In Guantánamo erklärte ein Wachoffizier: „Wenn du nicht ab und zu die Menschenrechte verletzt, machst du wahrscheinlich deinen Job nicht richtig.“ Und Cofer Black, der Leiter des CIA-Zentrums für Terrorbekämpfung, meinte zur Behandlung der Gefangenen: „Es gibt ein Vor- und ein Nach-dem-11.-September. Nach dem 11. September haben wir die Glacéhandschuhe abgelegt.“

Das Gefühl, solches Handeln sei legitim und werde straffrei bleiben, hat der Misshandlung irakischer Soldaten gewiss Vorschub geleistet. Foltern für die gute Sache – das ist eine finstere Heldentat, die in der Tat einige Erinnerungsfotos verdient. Damit nicht in Vergessenheit gerät, dass jeder Kolonialkrieg ein unmoralischer Krieg ist.

Le Monde diplomatique vom 11.06.2004, von IGNACIO RAMONET