09.07.2004

Wenn das Essen schneller wächst

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Wenn das Essen schneller wächst

Das Hauptargument gegen genmanipulierte Nahrungsmittel sind nicht die Gefahren für die Konsumenten. Bedroht ist vor allem die Landwirtschaft der Dritten Welt, weil genetisch modifizierte Organismen (GMO) das internationale Agrobusiness noch weiter vorantreiben.

Von COLIN TUDGE *

VIELE Europäer lehnen die Pläne zum kommerziellen Anbau von genetisch modifizierten Organismen (GMO) ab, wobei sie unter GMO vor allem genmanipulierte Nutzpflanzen verstehen. Doch einige Regierungen und die interessierten transnationalen Unternehmen treiben die Entwicklung dennoch mit aller Macht voran. Die Befürworter behaupten, GMO seien für die künftige Ernährung der Weltbevölkerung absolut notwendig, denn anders werde man bei dem enormen Bevölkerungswachstum nicht ausreichend Lebensmittel produzieren können. Ein spezielles Argument lautet, GMO kämen insbesondere der Dritten Welt zugute und hier sowohl den unterernährten Massen als auch den armen Bauern, die ihren Feldern unter extrem ungünstigen Bedingungen eine Ernte abringen und sich mit ihren Produkten auch noch auf dem Weltmarkt behaupten müssen.

Die von den GMO-Gegnern beschworenen Gefahren erklären die Befürworter für unerheblich: In Feld- und Laborversuchen hätten bislang keine gravierenden Nebenwirkungen festgestellt werden können, dem menschlichen Organismus drohe offenbar kein Schaden. In den USA konsumiere man seit über zehn Jahren genmanipulierte Getreidesorten und Soja, ohne dass es zu nachweisbaren Schädigungen gekommen sei.

Kurzum, nicht nur die Gentechnologen, sondern auch Regierungen und Unternehmer der Lebensmittelindustrie behaupten, dass GMO entscheidend dazu beitragen, der Menschheit einen anständigen Ernährungszustand zu garantieren. Deshalb sei es unverantwortlich, ihre Entwicklung verhindern zu wollen, einen solchen Luxus könnten sich nur die reichen und saturierten Europäer leisten.

Doch die Befürworter haben Unrecht. Zwar könnten GMO durchaus eine Wohltat sein für die Menschheit und für die Welt, in der wir zu leben haben. Es wäre beispielsweise möglich, neue Pflanzensorten zu entwickeln, die gegen Klimaveränderungen und Verunreinigung des Bodens resistent wären. Noch vor zwanzig Jahren, als die genetische Veränderung von Pflanzen (im Gegensatz zu Bakterien) noch relativ neu war, träumten die Wissenschaftler des International Crop Research Institute for Semi-Arid Tropics (Icrisat) davon, Hirse für die Sahel-Zone zu produzieren, die hitze- und dürreresistenter sein sollte als die vorhandenen Sorten.

Heute geht weltweit (vor allem in den Tropen) immer mehr Farmland durch Versalzung verloren; eine neue Auswahl von salzresistenten Getreidesorten und Futterpflanzen wäre also höchst wünschenswert. Auch die globale Erwärmung mit ihren immer extremeren Klimaschwankungen, wodurch sich bestimmte Pflanzenkrankheiten immer weiter ausbreiten, erhöht den Bedarf an neuen Pflanzensorten, die unter bislang unbekannten klimatischen und Umweltbedingungen wachsen könnten. Genetische Manipulation ist kein Allheilmittel – aber sie könnte hilfreich sein, vor allem wenn in der Landwirtschaft ein zunehmend radikaler Wandel notwendig werden sollte.

Doch unter den aktuellen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen wird die Welt solche segensreichen GMO-Produkte nicht erleben.Und selbst wenn, so werden die bereits sichtbaren Nachteile die möglichen Vorteile bei weitem übertreffen. Dabei sind die potenziellen Schädigungen für unsere Gesundheit oder die Umwelt keineswegs der entscheidende Punkt. Viel wichtiger sind zwei andere Dimensionen der GMO-Problematik.

Erstens sind die Argumente, die von Regierungen und Unternehmen angeführt werden, einfach nicht richtig: Neue GMO-Erzeugnisse sind keineswegs notwendig, um unsere künftige Nahrungsmittelversorgung zu sichern. Zweitens ist die aktuelle Generation von GMO-Produkten keineswegs dazu gedacht, „die Welt zu ernähren“ und die Probleme der Bauern in der Dritten Welt lösen. Ihre Entwicklung soll vielmehr eine Machtverschiebung herbeiführen: Die Kontrolle über den Anbau wird den Bauern der Dritten Welt weggenommen und geht in die Hände transnationaler Unternehmen und westlicher Regierungen über. Regierungen, die sich den GMO bislang verweigert haben (wie die von Sambia und bis vor kurzem auch Brasilien), treibt also weder der Aberglaube noch die „Angst vor Veränderung“ um, wie es viele GMO-Lobbyisten unverfroren behaupten. Diese Regierungen wissen vielmehr ganz genau, dass der Druck vor allem politischer Natur ist. Sie sind sehr wohl in der Lage, imperialistische Anmaßung zu erkennen, auch wenn sie als angebliche technologische Segnung daherkommt.

Betrachten wir zuerst das demografische Argument. Die GMO-Befürworter verweisen zu Recht darauf, dass die Weltbevölkerung von heute sechs Milliarden bis 2050 auf rund neun Milliarden Menschen ansteigen wird. Damit liege doch auf der Hand, dass die Welt immer mehr Nahrung produzieren müsse. Ein Großteil des fruchtbaren Landes sei ja bereits kultiviert. Der einzige Ausweg sei demnach die ständige Steigerung der Hektarerträge, und die könne momentan nur durch die neuen Techniken genetischer Manipulation garantiert werden.

Aber was auf der Hand zu liegen scheint, muss keineswegs richtig sein. Alle seriösen Beobachter der globalen Ernährungssituation sind sich darin einig, dass Hungersnöte nur ganz selten darauf zurückgehen, dass keine Ernten erzielt werden. Die einzige historische Ausnahme dürften die Ernteausfälle der späten 1960er- und 1970er-Jahre sein, die zur Entwicklung neuer Weizen- und Reisarten im Zuge der „grünen Revolution“ führten. Doch ansonsten liegt der „Fehler“ praktisch immer in den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, zum Beispiel wenn der Goldabbau die Wasservorräte strapaziert.

Heute liegt die größte akute Bedrohung vielleicht in der allgemeinen Entwicklung der Landwirtschaft, die – anstatt Grundnahrungsmittel für die unmittelbaren Verbraucher anzubauen – zunehmend für den Export produziert, also etwa Kaffee und Bananen, aber auch Riesenmengen an Soja (heute das Hauptexportgut Brasiliens), Erdnüssen (Hauptexportgut des Senegal) und Futtergetreide, das heute schon die Hälfte der weltweiten Weizenexporte und ein Drittel der globalen Maisexporte ausmacht. Dieses Getreide wird an Rinder, Schweine und Geflügel in den USA und in Europa verfüttert. Diese Tiere werden dann von Menschen verzehrt, die bereits an Verfettung leiden. Übergewichtigkeit gilt heute bereits als „Epidemie“, und weltweit dürfte es bald mehr Diabetiker geben, als die Vereinigten Staaten Einwohner haben.

In anderen Worten: Unsere Welt produziert bereits genug Nahrung für alle. Und wenn wir nicht darauf versessen wären, irrsinnige Mengen an Vieh zu züchten (weil es dem Profit dient, und nicht etwa dem wirklichen Bedarf), würde diese Menge völlig ausreichen, die neun Milliarden Menschen zu ernähren, die bis 2050 die Welt bevölkern. Dazu müssen wir gar nicht alle Vegetarier werden, es reicht, wenn wir uns ein wenig zurückhalten. Denn wenn die Viehzucht im selben Tempo zulegt, wird die Gesamtheit der Viecher im Jahre 2050 so viel Futtermittel auffressen, dass man davon weitere vier Milliarden Menschen ernähren könnte.

Im Übrigen gehen UN-Experten (im Gegensatz zu den GMO-Anhängern) in ihren Prognosen davon aus, dass sich die Weltbevölkerungszahl um 2050 stabilisieren wird: Das wäre die größte Veränderung in der menschlichen Entwicklung seit 10.000 Jahren, also seit sich die landwirtschaftliche Tätigkeit im größeren Maßstab entwickelt hat. Also wird es niemals notwendig sein, dass wir viel mehr Nahrungsmittel produzieren müssen, als wir es bereits tun – allerdings nur dann, wenn es der Menschheit in erster Linie um die Nahrungsmittelversorgung und um globale Gerechtigkeit ginge – und nicht um Profit.

Natürlich wäre ein gewisses Wachstum gar nicht schlecht. Doch bei den weitaus wichtigsten Agrarprodukten – Weizen, Reis und Mais – haben sich die Erträge seit hundert Jahren mittels konventioneller Züchtungen um ein bis zwei Prozent pro Jahr erhöht. Und solche Steigerungsraten sind zweifellos auch in Zukunft möglich. Und die „grüne Revolution“ erzielte ihre enormen und schnellen Erfolge – zehn Jahre bevor man auf die Methode genetischer Manipulation verfiel – auf der Basis einer einzigen Veränderung: Man musste bei Weizen und Reis nur kürzere Halme züchten, damit man mehr Düngemittel verabreichen konnte, ohne dass die Pflanzen zu hoch schossen und dann umknickten, was bis dahin das Problem gewesen war. Ein vergleichbares Problem ist heute weit und breit nicht zu sehen, und das Gerede über eine neue, auf GMO setzende „grüne Revolution“ in Afrika ist nur ein Hype. Oder aber es beruht auf einem Missverständnis, was bei verantwortlichen Politikern eigentlich nicht vorkommen darf.

Sicherlich klingen einige Argumente für die Einführung von GMO höchst verlockend. „Goldener Reis“ beispielsweise soll besonders viel Beta-Karotin enthalten – ein natürliches Pigment, das der Körper zur Bildung von Vitamin A braucht. Vitamin-A-Mangel führt unter anderem zu einer Hornhauterkrankung, auch als „Trockene-Augen-“ oder „Sicca-Syndrom“ bekannt, unter der heute weltweit 40 Millionen Kinder leiden. Da wäre doch, so die Behauptung, der Vitamin-A-reiche „Goldene Reis“ die richtige Lösung.

Doch Beta-Karotin ist in der Natur fast überall im Überfluss vorhanden. Jedes grüne Blattgemüse und alle gelben Wurzeln wie Karotten, aber auch Papaya und Mango enthalten Beta-Karotin. Traditionelle Bauern hatten stets ihren Gemüsegarten, in dem sie Spinat und vieles andere Blattgemüse anbauten. Papaya wächst in den Tropen wie Unkraut, und Mangos sind in Mittelamerika und in der Karibik praktisch überall als Wildfrucht zu finden. Bis vor kurzem, bevor die Frucht kommerziell angebaut wurde, war sie überall praktisch umsonst zu haben. Kurzum, der Vitamin-A-Mangel demonstriert nicht etwa, dass die traditionelle Landwirtschaft versagt, sondern dass sie von einem monokulturellen Anbau erdrückt wird, der auf Exportprodukte setzt und monetäre Erträge erzielen soll. Wobei Letztere nur ganz selten den Erzeugern zu Gute kommen.

„Goldener Reis“ ist also eine Hightech-Lösung für ein Problem, das die kommerzialisierte Hightech-Landwirtschaft erst hervorgebracht hat. Das ließe sich mit einer Fülle weiterer Beispiele belegen. Auf diese Weise kann man dem ganzen Hype, der um die GMO entstanden ist, die Luft ablassen – und zugleich der Behauptung entgegentreten, dass genmanipulierte Produkte völlig ungefährlich seien.

Diese Behauptung ist natürlich unsinnig. Denn kein Mensch kann garantieren, dass GMO absolut sicher sind. Aber wir können sehr wohl Beweise dafür verlangen, dass die Risiken der GMO-Produktion geringer sind als das Risiko, auf diese „Errungenschaft“ zu verzichten. Sollten GMO tatsächlich nötig sein, um die Weltbevölkerung zu ernähren, dürfte man die vermeintlichen Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt natürlich nicht ignorieren. Sollten sie aber keineswegs nötig sein – und es sieht ja ganz danach aus – rät uns der gesunde Menschenverstand, auf Nummer sicher zu gehen und die Finger von solchen problematischen Neuerungen zu lassen. Warum ein Risiko eingehen, wenn es letztlich gar nichts bringt?

Damit kommen wir zu unserem zweiten Argumentationsstrang: zu den tatsächlichen Motiven der massiven GMO-Propaganda und zu dem wichtigsten Grund, warum man solche Produkte – jedenfalls unter den aktuellen Gegebenheiten – entschieden ablehnen muss.

Die eigentliche Ursache dafür, dass die moderne Landwirtschaft es nicht schafft, die Weltbevölkerung zu ernähren, liegt in der schlichten Tatsache, dass sie das auch gar nicht soll. Wie ich in meinem Buch „So shall we Reap“ beschreibe, könnte ein System der Landwirtschaft, das tatsächlich auf Bedingungen wie Landschaft und Bodenbeschaffenheit, der Pflanzen- und Tierarten sowie auf die realen Bedürfnisse der Menschen abgestimmt wäre, uns alle prima ernähren. Für ein solches System habe ich den Begriff „Aufgeklärte Landwirtschaft“ geprägt – was nichts anderes bedeutet als verantwortungsvolles Wirtschaften, das auf bewährten Verfahren und dem gesundem Menschenverstand beruht.

Doch historisch gesehen war die Landwirtschaft nie danach ausgerichtet, einfach die Menschen zu ernähren. Sie wurde stets so geformt, dass sie die herrschende politische und wirtschaftliche Theorie bestätigte. Stalin schuf seine „Kollektivfarmen“ – die im Grunde ländliche Fabriken waren – um zu beweisen, dass seine Art von Kommunismus klappt. Das Ergebnis waren Millionen Hungertote.

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), an die von der Europäischen Union so viel Zeit und Geld verschwendet wurde, ist vor allem aus einem Grund verfehlt: Sie zwingt die Landwirtschaft, sich einer Politik anzupassen, deren Ziel die Herstellung einer wirtschaftlichen und politischen Einheit war, die einigen Industriezweigen (wie der Autobranche) zu Gute kommen und ein paar hehre Ziele realisieren sollte (etwa das Ziel, Kriege zwischen europäischen Staaten weniger wahrscheinlich zu machen). Doch eine solche Landwirtschaftspolitik hat fast nichts mit dem simplen Ziel zu tun, für qualitativ gute Nahrungsmittel zu sorgen.

Die gesamte Nahrungsmittelproduktion dieser Welt funktioniert heutzutage gemäß dem Mantra, dass Landwirtschaft lediglich „ein Geschäft wie jedes andere“ sei. Dieser Grundsatz wird auch von der WHO (Welthandelsorganisation) unterstrichen und bekräftigt. Demnach geht es nicht etwa darum, die Menschen anständig zu ernähren (das taucht im offiziellen Zielkatalog schon gar nicht mehr auf). Sondern darum, Nahrungmittel zu den günstigsten Kosten zu produzieren, eine maximale Wertschöpfung (über die „Veredelung“ von Getreide zu Fleisch) und beim Verkauf die höchstmöglichen Preis zu erzielen. Um dieser Ziele willen werden Arbeitskräfte eingespart (normalerweise der größte Kostenfaktor im agrarischen Produktionsprozess) und durch den Einsatz industrieller Chemieprodukte (wie Pestizide und Herbizide) und großer Maschinen ersetzt. Der Herstellungsprozess insgesamt muss also vereinfacht werden. Da komplexe Arbeiten auf dem Felde auf menschliche Hände angewiesen sind, konzentriert sich die moderne „Agrarindustrie“ auf Monokulturen und eine intensive „fabrikmäßige“ Tierhaltung: Weizen, Gerste, Reis und Soja werden exklusiv und auf von Horizont zu Horizont reichenden Flächen angebaut. Und in den USA gibt es schon Schweinefarmen mit Millionen von Tieren, die man nun auch in Europa plant.

Die Ergebnisse dieser Politik sind in mannigfacher Hinsicht verheerend. Reduzierte Kosten bedeuten stets erhöhtes Risiko. Die jüngsten Epidemien, wie Maul- und Klauenseuche oder BSE, wurden durch die kostensparende Tierhaltung verursacht, die zur offiziellen Politik geworden ist. Noch gravierender sind jedoch die Auswirkungen auf die Beschäftigung. In der Dritten Welt arbeiten 60 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft. Sollte diese überall auf der Welt nach westlichem Muster industrialisiert werden, werden die meisten dieser Menschen arbeitslos werden. Wenn die blinden Agrobusiness-Fans behaupten, diese 60 Prozent könnten in den „neuen“ Industrien Beschäftigung finden, so sind sie entweder im Kopfrechnen schwach, oder sie sind auf ihren vielen Reisen nie aus ihren Hotelzimmern und Konferenzsälen hinausgekommen.

In Indien zum Beispiel leben eine Milliarde Menschen, davon 600 Millionen auf dem Land. Die viel gepriesene Informationstechnologie, die angeblich die „neue“ Industrie darstellt, beschäftigt höchstens 100 000 Menschen. Damit könnte sie allenfalls einem von 10 000 Bauern Arbeit geben, die die industrialisierte Landwirtschaft aus ihren Dörfern vertreiben wird.

Die andere „Wachstumsbranche“ ist die Tourismusindustrie. Aber nur ganz wenige Inder haben das Glück, einen Job als Taxifahrer zu ergattern, und auch die arbeiten für knapp 15 Euro die Woche. Vielleicht fragt man einmal bei denen nach, was sie von den „neuen“ Industrien halten.

In Großbritannien wurde das Gros der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte erst Mitte des 20. Jahrhundert freigesetzt, als andere Industriezweige schon 150 Jahre lang in Blüte standen. Heute will man der Dritten Welt einreden, sie habe – im Namen des „Fortschritts“ und der „Effizienz“ – ihre Landwirtschaft zu rationalisieren, bevor solche Beschäftigungsalternativen auch nur am Horizont zu ahnen sind. Viele oder sogar die meisten der Armen und Hungernden in der Dritten Welt sind ehemalige Bauern oder stammen aus bäuerlichen Familien, die durch die schon erfolgte landwirtschaftliche Industrialisierung von ihrem Land und damit ihrem Broterwerb vertrieben wurden.

In diesem Industrialisierungsprozess sind die genveränderten Produkte zu einem Schlüsselfaktor geworden. Zum Beispiel hat man GMO entwickelt, die resistent gegen Herbizide sind. Damit lässt sich eine stark vereinfachte Art von Landwirtschaft betreiben, bei der die Bauern GMO anpflanzen und dann die Felder mit Herbiziden vollsprühen, sodass nur die monokulturellen Nutzpflanzen überleben. Und was noch entscheidender ist: Pflanzenzucht, und damit auch genetisch manipulierte Pflanzenzucht, funktioniert nur dann profitabel, wenn die Sorten ein globales „Design“ haben, das heißt: wenn sie überall auf der Welt angebaut werden können. Auch dies ist das genaue Gegenteil von guter Landwirtschaft, die den lokalen Verhältnissen von Boden, Landschaft und Klima angepasst sein sollte.

GMO-Produkte bedeuten dagegen, dass Sorten, die vornehmlich für die USA entwickelt wurden, auch den Bauern in Mittelamerika und Afrika aufgedrückt und auch dort auf immer größeren Flächen und ausschließlich monokulturell angebaut werden. Ein weiterer Unterschied: Bei traditionellem Anbau können die Bauern manchmal (nicht immer) einen Teil der Ernte abzweigen und als Saatgut ausbringen. GMO-Produkte dagegen können so entworfen werden, dass sie jedes Jahr neu ausgesät werden müssen. Sollte der Bauer versuchen, sie zu reproduzieren, kann man sie aufspüren und den Farmer wegen unerlaubten „Kopierens“ verklagen. Das kommt durchaus vor.

Auf diese Weise werden die Märkte auf GMO eingestimmt, und die Biotech-Unternehmen werden auf dem Welt-Agrarmarkt schlagartig zum entscheidenden Faktor. Diese Unternehmen wiederum gehören Großkonzernen – oder werden von ihnen gehalten –, welche genau die Chemieprodukte herstellen, auf die die GMO angewiesen sind. Die westlichen Regierungen, die in der Regel von der Landwirtschaft und ihren Besonderheiten keinen Schimmer haben, sind total auf ökonomisches Wachstum und die Steigerung ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) fixiert. Kein Wunder, dass sie die Großkonzerne unterstützen, die häufig auch die großen Steuerzahler sind. Ein bombensicheres Geschäft also.

Dies alles kann einen traurig stimmen. Denn tatsächlich könnten ja GMO durchaus von Nutzen sein. Und etliche potenziell nützliche Projekte sind auch schon in Planung. Doch das Hauptgewicht liegt eindeutig auf der GMO-Produktion durch Biotech-Unternehmen, und zwar im Auftrag von Multis, die ihre industrialisierten, genveränderten Sorten der ganzen Welt aufschwatzen wollen. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Denn dieses Konzept basiert auf einem falschen Hype und auf gezinkten Informationen. Falls sich diese Produkte ungehindert durchsetzen, wird es zu sozialen Unruhen kommen – und zu Hungersnöten von einer Dimension, die wir uns heute noch überhaupt nicht vorstellen können.

deutsch von Elisabeth Wellershaus

© Le Monde diplomatique, Berlin

* Wissenschaftspublizist, London. Zuletzt erschien seine Analyse der Welternährungsproduktion „So Shall We Reap“, London (Penguin) 2003.

Le Monde diplomatique vom 09.07.2004, von COLIN TUDGE