09.07.2004

Fatimah Tuggar

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Fatimah Tuggar

„Meine persönliche Kunstgeschichte spannt sich über drei geografische Räume, aber noch weitgespannter sind die Traditionen, Prozesse und Materialien. In Nordnigeria entdeckte ich, was ästhetische Einheit mittels Divergenz bedeutet. Hier verschränken sich die kulturellen Einflüsse des Nahen Ostens, des kolonialen Westens und des südlichen Afrikas in einer Weise, die mich befähigte, die sozialen, strukturellen und inneren Dimensionen zu beobachten, aufzunehmen und abzuwandeln.“

So beschreibt Fatimah Tuggar, die 1966 in Nigeria geboren wurde, die kulturellen Gegebenheiten in ihrem Heimatland. Sie lebte eine zeitlang in England, und zog später nach Indianapolis/USA. Ihre eigene Geschichte der Verschränkung von lokaler und globaler Lebenswelt hat sie zu ihrem Thema gemacht: Während hierzulande die afrikanische Kunst oft inkorporiert und zum Attribut im westlichen Kunstwerk wurde, und während die postkoloniale Kunst in Afrika vielfach westliche Positionen der Moderne imitierte, konstruiert Fatimah Tuggar in ihren Werken ein gleichberechtigtes und gleichsam betörendes Nebeneinander der verschiedenen Welten und Bildsprachen in den leuchtendsten Farben. Neben der Skulptur, dem traditionellen Medium der afrikanischen Kunst, sind Film und Fotografie ihre bevorzugten Medien.

Schon früh kombinierte sie Kunst und Werbung: In der Schule malte sie Plakate von erfundenen Horrorfilmen; später entwarf sie surreal anmutende Objekte, etwa einen Plattenspieler, auf dem sie an Stelle einer Schellackplatte eine grellbunte, spiralförmig geflochtene Bastscheibe platzierte, in der die Nadel des (mittlerweile fast veralteten) technischen Fortschritts versinken musste.

In ihren Fotoarbeiten versammelt Fatimah Tuggar Bilder aus Nigeria und Motive aus der medialen Bilderwelt des Westens: aus Werbung, Film, Lifestyle-Magazinen oder Reisebroschüren. So kombiniert sie alltägliche Gebrauchsgegenstände aus verschiedenen Kulturen zu fremd-bekannten Ensembles. Doch bei aller Absurdität der Konstellation bleiben die Gegenstände in ihrer Funktion intakt – und können auf diese Weise weiterhin von der Welt erzählen, der sie entnommen sind.

Arbeitsinstrument ist das Computerprogramm Photoshop. Das Zusammenspiel der visuellen Welten wird damit bis ins kleinste Detail konstruiert. Noch in der Pfanne, die an der Wand hängt, spiegelt sich ein buddhistischer Tempel, und den modernen Hut, den das schwarze Mädchen stolz in der Hand hält, krönt eine Miniatur-Lehmhütte, aus der eine in traditionelle Gewänder gehüllte Dame tritt. Der Versuch, die Bilder in allen Details zu enträtseln, kann nicht gelingen. Doch statt zu verstören, verstärkt das verbleibende Resträtsel die Faszination.

Tuggars Bilder handeln vom Frauenleben, vom Rassen- und Klassenunterschied und vom Aufeinanderprallen der Kulturen. Es geht nicht um die Suche nach Identität, die so prägend war für die Kunst der Achtziger. Und statt Kritik und Anklage bietet sich dem Betrachter ein farbenfroher und üppiger Augenschmaus, der sich bei genauerem Hinsehen immer mehr ausdifferenziert – und beim Betrachter das hoffnungsvolle Gefühl weckt, die Welt sei zwar groß, gehöre aber nicht den anderen, sondern (vielleicht eines Tages) allen.

Fatimah Tuggar versetzt die Frauen und Kinder ihrer afrikanischen Heimat in eine surreal-poppige Szenerie. Wer sich in ihre Mythen und Rituale hineinbegibt, wandelt tänzerisch durch eine Welt zwischen den Kontinenten, und weiß dabei um die realen Macht- und Gewaltverhältnisse, die auch in Tuggars Bildern mit all ihrer ikonischen, kompositorischen und farblichen Verführung präsent ist. M.L.K.

Le Monde diplomatique vom 09.07.2004, von M.L.K.