15.08.2003

Vom staatlichen Monopol zur privatwirtschaftlichen Pleite

zurück

Vom staatlichen Monopol zur privatwirtschaftlichen Pleite

MIT den Telekommunikationsunternehmen war die große Hoffnung verbunden, die Welt sei auf dem Weg in ein goldenes Informationszeitalter. Doch inzwischen liegen selbst einige Giganten der Branche auf der Intensivstation der globalen Ökonomie. Und fast alle haben dieselben Symptome, die auf eine lebensbedrohliche Krankheit hindeuten. Der modernste Sektor des modernen Kapitalismus leidet unter altbekannten ökonomischen Krisenerscheinungen: Überkapazität und ruinöse Konkurrenz. Und auch der derzeitige dezente Aufschwung der IT-Aktienwerte könnte bereits das erste Anzeichen einer neuen Spekulationsblase sein. Denn die Branche hat ein strukturelles Hardware-Problem. Die im trügerischen Boom aufgebaute Netzkapazität ist so groß, dass sie auch bei dynamisch wachsender Nachfrage nicht so schnell ausgelastet sein wird.

Im Lauf der letzten zwei Jahre haben US-amerikanische Telekommunikationsunternehmen gleich dutzendweise Bankrott gemacht. Im Oktober 2002 meldete Lucent Technologies, der größte Hersteller von Telekom-Ausrüstungen in den USA, für das zehnte Quartal in Folge tiefrote Zahlen und einen gigantischen Gesamtverlust. Eine Entlassungswelle, von der bis August 2002 mehr als eine halbe Million Menschen betroffen waren und die noch nicht zu Ende ist, hat in der Branche mittlerweile deutlich mehr Jobs vernichtet, als seit 1996 entstanden waren.

Anderswo in der Welt ist die Situation kaum besser. In Europa zum Beispiel standen Netzbetreiber wie der französische Konzern Viatel oder die niederländische KPN (zu der E-plus gehört) bereits vor dem Konkurs. Von März 2000 bis November 2002 ist der Wert des Börsenkapitals der europäischen Telekommunikationsfirmen um 700 Milliarden Dollar abgeschmolzen. Im selben Zeitraum erreichte die Verschuldung der sieben größten europäischen Unternehmen eine Höhe, die das Bruttosozialprodukt von Belgien übersteigt.(1) Die Deutsche Telekom meldete die höchsten Verluste der deutschen Unternehmensgeschichte, und die finanzielle Schieflage bei France Télécom veranlasste die französische Regierung zu einer umfassenden und sehr umstrittenen Rettungsaktion. In Japan musste der ehrgeizige Mobiltelefon-Betreiber NTT DoCoMo einen Kursverfall hinnehmen, der den Börsenwert des Unternehmens zwischen Februar 2000 und Dezember 2002 um 180 Milliarden Dollar reduziert hat.

Wie konnte es dazu kommen? Und was heißt das alles für die Zukunft der Branche? Beginnen wir mit einem historischen Rückblick. Bis vor wenigen Jahren basierte das Angebot von Telekommunikationsdiensten in aller Welt vornehmlich auf einem – in der Regel staatlichen – Monopol. Konkurrenz war allenfalls eine Randerscheinung. Damals haben, so unerhört uns das heute vorkommen mag, sogar Vertreter der US-Regulierungsbehörde den Wettbewerb als „ruinös“ und als „reine Verschwendung“ bezeichnet.(2)

Diese Monopolstruktur war aus von Land zu Land unterschiedlichen Gründen entstanden und hatte verschiedene Formen angenommen: Das in den USA herrschende System – das staatlich beaufsichtigte Monopol eines Privatunternehmens – erwuchs aus der politisch-wirtschaftlichen Macht der dominierenden Telefongesellschaft AT & T. In Europa dagegen wurden im Zuge der staatlich geförderten ökonomischen Entwicklung bevorzugt Ministerien für das Post-, Telegrafen- und Telefonwesen (PTT) eingerichtet. In einigen Ländern kam als ausschlaggebender Faktor hinzu, dass ein Telekommunikationsnetz für die Verwaltung eines großen Kolonialreiches unabdingbar war. Auch im Rahmen der Containment-Politik des Westens, die nach 1945 das Verhältnis zum sowjetischen Lager bestimmte, galt die Telekommunikationsbranche als wichtiges und möglichst schnell zu errichtendes Bollwerk gegen die „rote Gefahr“. Deshalb wurden die PTT-Systeme der Bundesrepublik Deutschland und Japans unter der US-Militärverwaltung nicht von privaten Unternehmen, sondern in ihrer alten Form betrieben. Die Wiedergeburt eines öffentlichen Post-, Telegrafen- und Telefonwesens hatte also auch politische Gründe.

In vielen der afrikanischen und asiatischen Länder, die nach 1945 ihre Unabhängigkeit erlangten – aber auch in den bereits unabhängigen Ländern Lateinamerikas – wurden die PTT-Systeme, die ursprünglich im Dienst ausländischer Interessen entstanden waren, als Gewinn bringende staatliche Monopole weitergeführt. Die Übernahme dieser Unternehmen durch den Staat (wie 1946 in Argentinien, 1949 in China, und in einem quälend langen Prozess 1940 bis 1972 in Mexiko) erfolgte im Rahmen einer Strategie, die sich als antiimperialistischer Nationalismus verstand. So sah man etwa im Kuba Castros und im Chile Allendes die Enteignung der US-Unternehmen, die in beiden Ländern das einheimische Telefonnetz betrieben, als einen entscheidenden Schritt zur Wiederherstellung der nationalen Souveränität – den die USA diesen Ländern bis heute verübeln.

Die gemütliche Epoche der PTT-Monopole

AUF diese Weise wurde der PTT-Bereich zu einer abgeschirmten Branche mit regulierten Konditionen für die Betreiber. In den entwickelten Marktwirtschaften arbeiteten die nationalen Betreibergesellschaften in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts darauf hin, möglichst vielen Haushalten einen Telefonanschluss zu tragbaren Preisen zu bieten, aber auch gut bezahlte und gewerkschaftlich abgesicherte Arbeitsplätze zu schaffen.

In armen Ländern hatte das staatliche Monopol im Telekombereich dagegen ganz andere Auswirkungen. Überall in Asien, Afrika und Lateinamerika kostete ein Telefonanschluss so viel Geld, dass er nur für wenige, überwiegend städtische Privathaushalte erschwinglich war. Selbst gutbürgerliche Haushalte mussten oft lange auf einen Anschluss warten und exorbitante Grundgebühren zahlen. Andererseits hatten die Beschäftigten der PTT-Monopole relativ stabile Arbeitsplätze und tarifvertraglich abgesicherte Arbeitsbedingungen. In Ländern wie Indien und Brasilien spielte das staatliche PTT-Unternehmen zudem eine wichtige Rolle für die nationale Entwicklungsstrategie, die auf Importsubstitution setzte.

Aber schon gegen Ende der 1950er-Jahre zeigten sich im PTT-Sektor erste Anzeichen eines Wandels. In den 1960er-Jahren beschleunigte sich dann eine Entwicklung, die das Monopolkonzept schließlich grundlegend in Frage stellte. 1968 kündigte eine von US-Präsident Lyndon B. Johnson eingesetzte Task Force on Communications Policy eine glatte Kehrtwende an, als sie das Konkurrenzprinzip zur offiziellen Politik und zum Leit- und Gestaltungsprinzip für den PTT-Sektor der USA erklärte.(3) Seitdem waren sich die Regierungen in Washington allesamt in dem Grundsatz einig, dass eine staatliche Regulierung für die PTT-Branche nur in Ausnahmefällen angebracht sei. Seit damals verweisen die Aufsichtsinstanzen der Branche gern auf ihre Vorreiterrolle bei der Liberalisierung des alten Monopolsystems.

Dieser grundlegende Strategiewandel wurde von starken strukturellen Kräften vorangetrieben. Auf der Angebotsseite hatte die US-Regierung über Jahrzehnte mit ihren Militärausgaben die technischen Entwicklungen in Bereichen wie Hightech-Elektronik, Weltraumfahrt und Computerindustrie subventioniert und damit eine ganze Reihe neuer Technologien im Telekombereich gefördert, zu denen letztlich auch das Internet gehörte. Die Folge war, dass Riesenkonzerne wie IBM und General Electric als Anbieter solcher neuen Systeme und Dienstleistungen zu Konkurrenten des alten Monopolisten AT & T wurden.

Noch energischer wurde das Monopolsystem von der Nachfrageseite her aus den Angeln gehoben. Die entscheidende Rolle spielten hier die Großkonzerne, die zu den Hauptabnehmern der neuen Technologien und Dienstleistungen wurden. Von Beginn an formierten sich dabei wichtige PTT-Kunden, zu denen u. a. IBM und General Electric gehörten, zu einer Unternehmerlobby, die das alte „Mehrzweck-Monopol“ attackierte. Ihre Hauptkritik galt den hohen Preisen und der unzureichenden Spezialisierung des PTT-Dienstleistungsangebots, das dem sehr rasch wachsenden Bedarf an Telekommunikationsnetzen und -dienstleistungen angeblich nicht gerecht wurde.

Als die Großkonzerne in den 1970er-Jahren ihre Profite auf breiter Front einbrechen sahen, forderten sie eine umfassende Initiative zum Abbau der Monopolstrukturen. Die Begründung lautete: Die Entwicklung neuartiger Kommunikationssysteme müsse als privatwirtschaftliches Projekt organisiert werden, damit sie schneller vorankomme. Mit schiefen, aber eindeutigen Argumenten redeten sie den Politikern ein, hier gehe es um die einmalige Chance, eine neue Expansionsphase im kapitalistischen Akkumulationsprozess in die Wege zu leiten.

Auf diese Weise ließen sich die politischen Entscheidungsträger in den USA auf die Doktrin eines völlig liberalisierten Marktzugangs einschwören und förderten damit den raschen Ausbau spezialisierter Telekommunikationssysteme und -dienste für privilegierte Benutzergruppen. Das begünstigte nicht nur ein paar tausend Großunternehmen und insbesondere deren Manager und Techniker, sondern auch eine Menge neu gegründeter Firmen, die neu entwickelte Hightech-Kommunikationssysteme und -dienste anboten.

In den 35 Jahren seit 1968 hat sich der amerikanische PTT-Sektor also grundlegend verändert und eine gänzlich andere Entwicklungsrichtung eingeschlagen. Je vollmundiger die Großunternehmen und ihre akademischen Lautsprecher die so genannte Informationsrevolution beschworen, umso vielversprechender malten sich die neuen ambitionierten Anbieter immer weiter expandierende Marktzyklen aus und umso mehr Geld investierten sie in die neue Branche. Die ständig wachsende Investitionstätigkeit in den Unternehmen wie in den staatlich finanzierten Rüstungsprojekten hat die technologische Revolution im Telekomsektor enorm beschleunigt.(4)

Umgekehrt konnten sich die technischen und organisatorischen Neuerungen in allen Branchen durchsetzen – in der Landwirtschaft wie in der Fertigungsindustrie, im Einzelhandel wie im Dienstleistungsgewerbe. Nach einer 1990 vorgelegten Analyse lagen bei den 100 US-Unternehmen mit dem größten Bedarf an Telekom-Dienstleistungen die jährlichen Ausgaben für diesen Bereich zwischen 50 und 100 Millionen Dollar.(5) Und die ganze Vielfalt der betriebswirtschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten war bereits aus der Liste der zehn Unternehmen ersichtlich, die 1989 die größten Verbraucher von Informations- und Kommunikationsleistungen waren: General Motors, General Electric, Citicorp, IBM, American Express, Westinghouse, McDonnell Douglas, Sears, Ford und Boeing.(6) Die Investitionen in die Branche erreichten gigantische Dimensionen. Allein im Jahr 2000 – auf dem Höhepunkt des Vernetzungs-Booms – gaben die US-Konzerne für die Aufrüstung ihrer Telekombereiche 258 Milliarden Dollar aus.(7)

Pausenlos wurden neue Anwendungsbereiche entdeckt und entwickelt: elektronische Reservierungssysteme und Überweisungen, Geldautomaten, computergesteuerte Lagerhaltung für die neu eingeführten Just-in-time-Liefersysteme, computergestützte Konstruktionsprogramme (für Ingenieure, Architekten etc.), elektronische Programme für Teleshopping und Direktvertrieb, elektronische Vernetzung von Behörden, Krankenkassen und Versicherungsunternehmen. Für den militärisch-industriellen Komplex enwickelten die Strategen „tödliche“ Anwendungen wie etwa das Konzept des „elektronischen Schlachtfelds“ oder des „Infokriegs“.

Expansionsschub für den vernetzten Kapitalismus

ÜBER Internet angebotene Dienste eroberten den Alltag der Menschen – zunächst bei der Arbeit, dann auch zu Hause. Im Jahr 2002 gab es in den USA täglich 104 Millionen Kaufangebote über Internet (Telemarketing), inzwischen werden mit Telemarketing jährlich 600 Milliarden Dollar Umsatz gemacht. Der digitale Kapitalismus stützte sich immer stärker auf das Internet, aber er sorgte umgekehrt auch dafür, dass die Marktmechanismen sich auf immer mehr Felder mit hohem Informationsaufwand ausdehnten, von den öffentlichen Dienstleistungen über die biotechnologische Forschung bis hin zu Schule und Ausbildung.

Weil die meisten Großverbraucher von Telekomleistungen transnationale Konzerne sind, bestand von Anfang an ein enormer und ständig wachsender Druck, das US-Modell zu globalisieren.(8) Auf Liberalisierungskurs drängten außer der US-Regierung auch die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und andere mächtige Organisationen. Sie alle traten immer selbstbewusster auf und versuchten, ihre Interessen über bilaterale Verhandlungen, über die US-Handelsgesetze und in multilateralen Initiativen durchzusetzen. Doch erst mit den welthistorischen Veränderungen seit 1989 entstanden die geografischen Räume für den nächsten großen Expansionsschub des transnational vernetzten Kapitalismus. In der Folge gab es eine ganze Serie grenzübergreifender Fusionen und teils feindlicher, teils freundlicher Übernahmen. Hatte 1987 der Gesamtwert der internationalen Übernahmen nicht einmal 100 Milliarden Dollar betragen, belief sich dieser Wert im Jahr 2000 auf 11 400 Milliarden Dollar.(9)

Mit der Neuordnung der Unternehmenslandschaft wurden die national integrierten Märkte und Produktionssysteme zu einem „globalen Markt für Güter und Dienstleistungen und zu einem internationalen Produktionssystem, samt einem zunehmend globalen Markt für Unternehmensbeteiligungen.“(10) Der Trend zum weltumspannenden Markt wurde einerseits durch die geschilderten Entwicklungen im Telekombereich angestoßen, gab umgekehrt aber auch den entscheidenden Anstoß für eine Welle unternehmerischer Innovationen.

Die damit eingeleitete Runderneuerung des globalen Telekommunikationswesens ist in der Tat historisch einmalig. Zwischen 1984 und Mitte 1999 fand im Zuge des allgemeinen Ausverkaufs des öffentlichen Sektors die Privatisierung der staatlichen Telekommunikationsunternehmen statt, was den Staatskassen rund 244 Milliarden Dollar einbrachte. Von den 189 Mitgliedern der International Telecommunication Union (ITU) hatten 1999 schon 90, also fast die Hälfte, ihren PTT-Bereich ganz oder teilweise privatisiert (die vollständige Privatisierung war in 18 Ländern bereits erfolgt und in 30 weiteren geplant). Dabei war der Prozess der Privatisierung in der Regel so strukturiert, dass der Marktzugang gerade für die transnationalen Betreiberfirmen erleichtert wurde.

Damit begann ein Prozess, in dem die nationalen PTT-Netze durch transnationale Anbieter verdrängt wurden, die sowohl eine größere Reichweite als auch mehr Funktionen anbieten konnten. Im Laufe dieses Prozesses wurden Lizenzen an Netzbetreiber und gewerbliche Großkunden vergeben, womit Erstere ihre Angebote auf eine große und ständig steigende Zahl betrieblicher Anwendungen abstimmen konnten. Das waren in erster Linie so prosaische Bereiche wie Lohnbuchhaltung, Personaldaten, Inventar, Umsatzstatistik, Marketing, Forschung und Entwicklung und anderes mehr. Mit der Revolutionierung der Telekommunikationsnetze und ihrer Dienstleistungsangebote konnten sich die Großkonzerne neue Spielräume gleich in zweierlei Hinsicht erschließen: Zum einen dehnten sich ihre Märkte räumlich auf die übernationale Ebene aus, zum anderen entwickelten sie eine neue Tiefendimension, indem sie die Information zur Ware machten.

Es brauchte gewaltige Summen, um die für den „digitalen Kapitalismus“ nötige Produktionsbasis und die dazugehörige Kontrollstruktur aufzubauen, das heißt transnational ausgelegte Netzwerke, die von immer mehr Datenanbietern in Anspruch genommen wurden. Während der 1990er-Jahre konnten tatsächliche oder auch nur virtuelle Anbieter problemlos jede erdenkliche Summe über die Finanzmärkte aufbringen. Als es den neuen Unternehmen gleich scharenweise gelang, mit billig erworbenen Geldern riesige neue Telekommunikationsnetze aufzubauen und mit ständig neuen Technologien zu operieren, meinten Großkonzerne wie AT & T, WorldCom und Sprint, auf den Zug aufspringen zu müssen. So kam es, dass jeder der konkurrierenden Netzwerkbetreiber Jahr für Jahr viele Milliarden Dollar in den Ausbau von Systemen investierte, die in den Geschäftsvierteln der Großstädte die neu entstandenen Bürokomplexe mit internen Netzen ausstatten sollten. Weitere Milliarden wurden von den Kundenfirmen investiert, die sich die nötige Hardware und Software zulegen mussten, um ihre speziellen Anwendungssysteme fortlaufend erweitern und aktualisieren zu können.

Die Konkurrenz wird zum Kannibalismus

DIESE Investitionen in die Telekommunikation waren bekanntlich der entscheidende Impuls für den Boom, den die US-Wirtschaft gegen Ende der 1990er-Jahre erlebte und der dann auch auf die Weltkonjunktur durchschlug. Das Ergebnis war erstens eine enorme Kapazitätsausweitung für die Datenkommunikation und -verarbeitung, vor allem bei den hochprofitablen Kabelnetzen mit hoher Übertragungsdichte, und zweitens die geradezu explosionsartige Ausbreitung des Internets. Die neuen Systeme erweiterten die Netzkapazitäten vor allem der Festnetze in und zwischen den wichtigsten Metropolen und auf den wichtigsten Überseeleitungen (etwa zwischen Europa und den Vereinigten Staaten).

Eine Entwicklung, die – bei aller Faszination – nicht idealisiert werden darf. Denn die „Vernetzung“ des Marktsystems ist durch dieselben Widersprüche gekennzeichnet wie die Realökonomie, mit der die neuen Systeme verkoppelt sind. Nun ging aber jede ernsthafte politische Opposition durch eine Flut elekronischer Spielereien unter, die den Konsumenten angedient wurden. Beschwichtigend wirkten auch die Gewinne, die gut betuchte Investoren dank des Hightech-Booms an der Börse erzielen konnten. Gegen Ende der 1990er-Jahre geriet das System dann ins Wanken. 1998 schrieb der Verfasser in einem Report über die geplante Übernahme von MCI durch WorldCom, diese Fusion sei aus finanziellen und anderen Gründen „ein Fehler, der einfach kommen musste“.(11) Was dann tatsächlich kam, war eine Katastrophe, die nicht nur die beiden Unternehmen erfasste.

Der Weg in diese Katastrophe führte über vier Stationen: 1996 trat in den USA das neue Telekommunikationsgesetz in Kraft; 1997 wurde im Rahmen der WTO ein Grundsatzabkommen über den Telekombereich vereinbart; gleichzeitig begann der Siegeszug des Internets; und dann löste die Finanzkrise in Ostasien 1997/98 in den USA eine neue Welle der Deregulierung aus.

Betrachten wir die vier Etappen etwas genauer: Der Telecommunication Act bedeutete die Fortschreibung der von der US-Regierung schon länger verfolgten Liberalisierungspolitik. Das Gesetz legte die Bedingungen fest, unter denen Betreiber von lokalen wie von internationalen Netzen miteinander konkurrieren konnten. Das löste in der Branche eine wahre Fusionswut aus. Dabei setzten die Unternehmen alles daran, ihren Konkurrenten zuvorzukommen und zugleich die eigenen Aktivitäten auf angrenzende Bereiche auszudehnen.

Das 1997 unterzeichnete WTO-Grundsatzabkommen über den Telekombereich soll die nationalen Rahmenbedingungen für die Betreiber harmonisieren. Die 69 Unterzeichnerstaaten sind damit eine Verpflichtung eingegangen, deren Einhaltung durch ein multilaterales Konfliktbeilegungsverfahren erzwungen werden kann. Damit entstand ein stark vereinheitlichter und liberalisierter globaler Markt für Ausrüster- und Betreiberfirmen von Telekom-Netzen. Bis 2000 hatten sich bereits 25 Länder verpflichtet, Fernsprechunternehmen aus dem Ausland oder mit ausländischer Aktienmehrheit zu erlauben, für internationale Verbindungen auf ihre eigenen nationalen Telefonnetze zurückzugreifen. Dieses WTO-Abkommen eröffnete wiederum eine ganze Reihe neuer Investitionschancen: für den Kauf von Aktien der frisch privatisierten nationalen Telefongesellschaften oder für Investitionen in Joint-Ventures und andere neue Projekte auf dem nationalen oder internationalen Markt. Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung wurden überall Kabelnetze ausgebaut und modernisiert. Die Zahl der Telefonanschlüsse nahm rapide zu, und binnen zehn Jahren stieg die Zahl der Mobiltelefone in der Welt von einigen Millionen auf eine Milliarde.

Auch der Konkurrenzdruck stieg. Mobilnetzanbieter, Fernverbindungs- und Ortsnetzbetreiber sowie neuartige Telefondienste via Internet versuchten, sich einen möglichst großen Anteil am Kommunikationsmarkt zu sichern, indem sie in neue inländische Telekomnetze und in ausländische Märkte investierten. Vodafone, der Mobiltelefon-Gigant mit Sitz in Großbritannien, nutzte seinen gesteigerten Börsenwert zum Erwerb von Firmen und Unternehmensbeteiligungen im Wert von 300 Milliarden Dollar. Damit bedient Vodafone heute zig Millionen Kunden in 20 Ländern. In vielen Staaten Europas verschuldeten sich ehemals staatliche Netzbetreiber wie France Télécom und Deutsche Telekom, um teure UMTS-Lizenzen zu erwerben und im Ausland zu investieren. So gab France Télécom allein in den Jahren 1999 und 2000 für Firmenbeteiligungen 88 Milliarden Euro aus. Demgegenüber nehmen sich die 15 Milliarden Dollar, die das japanische Unternehmen NTT DoCoMo für ausländische Mobilnetze ausgegeben hat, geradezu bescheiden aus.

Der dritte Faktor, der kometenhafte Aufstieg des Internets, hat den globalen Wettlauf der Telekomanbieter noch weiter beschleunigt. In den Aufsichtsräten wurde der Ruf nach einer „Internet-Strategie“ laut. Und nicht nur bei den Netzbetreibern, sondern in fast allen Branchen galten Investitionen ins Internet auf einmal als Ausweis strategischer Weisheit. Jedenfalls schien die Infrastruktur, die man zu brauchen glaubte, um das gesamte Volumen des Internetverkehrs zu bewältigen, weitere immense Ausgaben zu rechtfertigen. In den USA verdoppelten sich die jährlichen Aufwendungen der lokalen Telefonunternehmen für neue Hardware von 1996 bis 2000 auf 100 Milliarden Dollar. Angeheizt wurde das Ganze noch durch technologische Weiterentwicklungen, zum Beispiel durch neues Leitungsmaterial, das die Datenkapazität der Netze mehr als verhundertfachte. Auf einem zunehmend schwierigen Markt mussten immer mehr überflüssig gewordene Netzbetreiber abenteuerliche Begründungen für ihr Fortexistieren erfinden, um ihren weiteren Kapitalbedarf zu rechtfertigen.

Als letzter Faktor kam ein makroökonomisches Ereignis hinzu, das zunächst nichts mit der Telekomkrise zu tun hatte. In Reaktion auf die Finanzkrise in Asien (1997/98) waren Unmengen von US-Geldern, die aus dem Boom an der Wall Street stammten, auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten. Damit drängte das „Lebenselexier“ des Börsenkapitalismus massiv auf einen ohnehin überhitzten Aktienmarkt – und stürzte sich auf die Telekombranche, die ja zum Darling der Finanzmärkte geworden war. Nachdem man diesen Sektor jahrelang zum attraktiven Ziel für Investoren hochgeredet hatte, flossen jetzt die Dollars,Yens, Pfunds, Francs und all die anderen Währungen in die Branche. Die Woge von Spekulationsgeldern, die sich im Zuge der Asienkrise aufbaute, konnte nur mit dem Absturz der Hightech-Aktienwerte enden.

Zunächst begann jedoch die Zeit, in der sich noch der schamloseste Hype als ökonomische Weisheit verkaufen ließ. Jeder Tag brachte eine neue Prognose, die einen exponentiellen Anstieg der Nachfrage nach Telekomausrüstung und -dienstleistungen voraussagte. Aufgrund des technologischen Fortschritts und spekulativer Finanzanlagen war innerhalb von fünf Jahren die Netzkapazität immens gewachsen, manche Experten gehen von einem Zuwachs um das Fünfhundertfache aus – eine Nachfragedynamik, die natürlich nicht von Dauer sein konnte.

Just in dieser Phase begannen die Finanzabteilungen in einigen US-Konzernen die Bilanzen zu frisieren, um Investoren und Aktionäre bei Laune zu halten. Das bekannteste Beispiel ist der Netzanbieter WorldCom, der Scheinprofite in Höhe von 9 Milliarden Dollar ausgewiesen haben soll. Solche Bilanzmanipulationen hatten mittlerweile in vielen Branchen um sich gegriffen, vor allem in der Hochburg des ungebremsten Neoliberalismus, in den Vereinigten Staaten. Korruption und kriminelle Praktiken wie Insiderhandel, Bilanzfälschungen, unzulässige Verbindungen innerhalb der großen Bankhäuser zwischen den Abteilungen für Anlageberatung und für Investmentbanking waren in den Vereinigten Staaten mindestens ebenso weit verbreitet wie in Japan, dessen Großbanken die politische Klasse der USA über Jahrzehnte immer als korrupt bezeichnet hatte.

Die Konkurrenz nahm kannibalistische Formen an, kein Bereich der Telekommunikationsbranche blieb von dem Gemetzel verschont. Führende Hardware-Hersteller wie Lucent, Nortel und Alcatel, die zum Teil den Absatz ihrer Produkte durch Investitionen in neu gegründete Betreiberfirmen gefördert hatten, erlitten empfindliche Ertragseinbußen. Selbst ein an sich profitables Unternehmen wie Cisco sah seine Profitrate und seine Aktienkurse in den Keller stürzen. Dutzende neu gegründeter Anbieter lokaler Dienstleistungen gingen Bankrott. Und erstmals seit der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre schrumpfte in den USA die Zahl der Telefonanschlüsse, die von den lokalen Anbietern bedient wurden. Tatsächlich fraßen diese lokalen Telefonunternehmen ihre eigenen Märkte auf. Zum einen, weil sie ins Mobiltelefongeschäft einstiegen und damit ihre Abonnenten veranlassten, ihren Festnetzanschluss abzumelden; zum anderen, weil sie die schnellere DSL-Technologie anboten, bei der man keine Anlage mit einem zweiten Anschluss mehr braucht. Allein die Mobilnetzbetreiber und die Hardware-Hersteller meldeten seit Januar 2001 einen Umsatzrückgang von 65 Prozent (oder um 850 Milliarden Dollar). Und es wächst die Befürchtung, dass demnächst sogar der Markt in China gesättigt sein könnte, wo man in den 1990er-Jahren beispiellose Anstrengungen unternommen hatte, um das umfassendste nationale Telekommunikationssystem der Welt aufzubauen.

Nachdem die Branche zehn Jahre lang aus dem Vollen geschöpft hatte, war jetzt auf den Geldmärkten praktisch kein Kapital mehr für Investitionen in die Telekombranche aufzutreiben. So leichfertig die privaten Investoren ihr Geld zuvor verpulvert hatten, so sehr scheuten sie jetzt das Risiko eines erneuten Börseneinstiegs: Das Geschäft war ihnen einfach zu unberechenbar oder besser: zu volatil geworden. Und trotz anhaltender Nachfrage nach Telekomdienstleistungen (der Bedarf war ja auch nach dem Crash noch vorhanden) ist die Wechselwirkung von chronischer Überkapazität und ungezügelter Konkurrenz nach wie vor ruinös. Deshalb werden wir demnächst wohl eine Umstrukturierung des Telekommunikationssektors im globalen Maßstab erleben. So hat das zuständige US-Konkursgericht dem zahlungsunfähigen Konzern Global Crossing erlaubt, 61,5 Prozent seiner Anteile an Singapore Technologies Telemedia für 250 Millionen Dollar zu verkaufen. Das bedeutet angesichts der mehr als 20 Milliarden Dollar, die der Betreiber in sein Glasfasernetz investiert hat, dass jeder investierte Dollar nur noch gut einen Cent wert ist.

Noch sieht es freilich nicht danach aus, als würden die Reden vom Nutzen des Wettbewerbs für immer diskreditiert in der Versenkung verschwinden. Dabei hat sich für den normalen Privatkunden die unkontrollierte Systementwicklung in vielen Hinsichten längst als jämmerlicher Fehlschlag erwiesen.

In zahlreichen Ländern hat sich für den Telefonkunden eine unfaire Kostenstruktur herausgebildet. Zwar sind Ferngespräche billiger geworden, wovon vor allem Großkunden und die besser verdienenden Privatkunden profitieren, aber Ortsgespräche sind nach wie vor teuer. In armen Ländern, wo in den 1990er-Jahren der Zugang zu Telefonanschlüssen für viele Menschen deutlich erleichtert wurde, hat sich die Entwicklung inzwischen wieder umgekehrt: Millionen Telefonanschlüsse sind gekappt worden. Für die Arbeitsplätze, die bei den neuen Konkurrenzfirmen entstanden sind, hat man das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen sukzessive abgeschafft. Und in den an allen Ecken der Welt eingerichteten Call-Centern ackern Millionen von Beschäftigten zu Niedriglöhnen. Dabei hat die Qualität der Leistungen häufig nachgelassen. Zum Beispiel ist die ganze Branche heute viel stärker von der Werbung abhängig, die vor der Liberalisierung des Marktes eine viel geringere Rolle gespielt hatte. Und da jeder Anbieter seine eigenen Mitarbeiter und sein eigenes Management unterhalten muss, fallen erhebliche und in der Regel überflüssige Verwaltungs- und Vertriebskosten an, die zum größten Teil Abonnenten und Steuerzahler aufgebürdet bekommen. Und natürlich bedingt der Wettbewerb auch enorme Regulierungskosten, da die Aufsichtsbehörden erst ein dauerhaftes Regelwerk entwickeln mussten.

Die ernsthaften Probleme der Branche ziehen inzwischen bereits erste Veränderungen nach sich. Diese betreffen zum einen die Struktur der Branche selbst, zum anderen den Umgang der Politik mit den Problemen. Zum Beispiel wollen einige Regierungen die Einführung von schnellen Breitband-Netzdiensten beschleunigen. Andere planen staatliche Unterstützungsmaßnahmen für kränkelnde Netzbetreiber, was sehr wahrscheinlich auch weichere Standards für Unternehmensfusionen bedeuten wird. Ganz oben auf der Tagesordnung steht eine verschärfte öffentliche Aufsicht über die bedrängte Branche unter dem Etikett von „Sicherheit“ und „Terrorismusbekämpfung“. Die Experten gehen davon aus, dass es mit einem Mix solcher Maßnahmen gelingen wird, den Kapazitätsüberhang im Internetbereich zu reduzieren, die Preise für die Verbraucher zu erhöhen und die Kapitalanleger zu bewegen, die Branche wieder in milderem Licht zu sehen. Mit anderen Worten: Man will die Probleme der Telekombranche zu Lasten der privaten Kunden, der Steuerzahler und der Beschäftigten überwinden.

Bleibt die Frage, ob das Konzept aufgehen wird. Doch genauso wichtig ist eine weitere Frage: Soll es auf unabsehbare Zeit so weitergehen, dass die Qualität der Leistungen ständig sinkt, während die Benutzerkosten steigen, dass die Beschäftigten in Unsicherheit und Angst vor Entlassungen leben und dass die technologische Entwicklung von den transnationalen Konzernen und den militärischen Bedürfnissen diktiert wird? Nur eine informierte und engagierte öffentliche Meinung kann einer solchen Entwicklung entgegenwirken. Aber danach sieht es derzeit nicht aus.

deutsch von Niels Kadritzke

* Professor an der Universität Illinois (Urbana-Champaign).

Fußnoten: 1 Financial Times, 26. November 2002. 2 Henk Brands und Evan T. Leo, „The Law and Regulations of Telecommunications Carriers“, Boston (Artech House) 1999. 3 Siehe den Abschlussbericht der Task Force on Communications Policy, Washington 1968. 4 Siehe Dan Schiller, „Die Werbebranche – eine globale Schlüsselindustrie“, Le Monde diplomatique, Mai 2001. 5 Beim Spitzenverbraucher dieser 100-Firmen-Liste war es eine Milliarde Dollar, beim letzten immer noch 20 Millionen Dollar. Siehe den Bericht „Critical Connections: Communication for the Future“, vorgelegt vom Office of Technological Assessment des US Congress, Washington Januar 1990. 6 Ebd. 7 Diese Angaben beruhten zum Teil auf Zahlen des Handelsministeriums in Washington. 8 Dan Schiller, „Telematics and Government“, Norwood (Ablex) 1982. 9 Diese Zahlen sind auf den aktuellen Dollarpreis umgerechnet. Als Quelle dient der von den UN erstellte „World Investment Report 2000, Crossborder Mergers and Acquisitions and Development“, New York 2000. 10 Ebd. 11 Dan Schiller, „Bad Deal of the Century“, Economic Policy Institute, Washington 1998.

Le Monde diplomatique vom 15.08.2003, von DAN SCHILLER