Salîms Vorstellung
VON ELIAS KHOURY *
SALÎM AS’AD hat mich gelehrt, was Freiheit bedeutet.
Ich war gerade mit den Franzosen befasst, als er auf seinen Kopf zeigend von seiner Kindheit erzählte und schließlich auf das Shampoo zu sprechen kam. Sobald die Farbe ausgewaschen und sein Haar wieder weiß war, führte Salîm vor der Moschee, die nun eine Grabstätte ist, ein Spektakel vor. Er wusch sich öffentlich den Kopf und gaukelte seinen Zuschauern dabei ein Wunder vor.
„Der Greis wird wieder jung“, rief er.
Und schon drängten sich Scharen von Menschen um ihn. Es war keine Zauberei oder etwas Unerwartetes im Spiel. Alle wussten, dass am Ende das weiße Haar tiefschwarz und der Greis vor ihnen ein junger Mann sein würde. Jeden ersten Donnerstag im Monat um fünf Uhr nachmittags gab Salîm die gleiche Vorstellung. Mit gekrümmtem Rücken, zittrigen Beinen und erstickter Stimme lockte er die Passanten. Er bat einen der Zuschauer, Hand anzulegen und ihm Wasser über den Kopf zu gießen. Keuchend holte der Greis dann sein Shampoo hervor, massierte es sich kräftig ins Haar und ließ sich den Schaum von seinem Gehilfen ausspülen.
Auf einmal sprang er als junger Mann aus dem Wasser. Die Beine zitterten nicht mehr, das Haar war tiefschwarz, und er rief mit energischer Stimme: „Der Greis hat seine Jugend zurückerlangt. Shampoo für den ganzen Körper. Ich bin der Greis, der die Jugend zurückerlangt hat. Welchen Körperteil ihr damit auch einseift, er wird wieder jung. Probiert es aus! Bereuen werdet ihr es nicht.“ Zum Abschluss verteilte er die Fläschchen an Interessierte und kassierte sein Geld. Frauen, Männer, alte Leute, Kinder, alle strömten zu dem Platz vor der Moschee, um die wundersame Verwandlung des alten Mannes in einen Jüngling zu erleben.
Wie du siehst, ist nichts Besonderes an der Geschichte, außer dass es ein albernes Schauspiel ist, hervorgegangen aus dem Massaker.
Doch dann habe ich es mit eigenen Augen gesehen.
Ich ging zur Moschee, um mir das Stück anzuschauen. Es war reine Neugier, sonst nichts. Ich ließ Angst und Einsamkeit hinter mir und machte mich auf zum Platz. Und dort zog mich dieser Junge, der seine Rolle überwältigend spielte, in seinen Bann.
Den Rücken zum Buckel gerundet trat er auf. Schwer atmend drehte er sich um sich selbst und um die Schaulustigen. Dann zog er einen unsichtbaren Kreis, in dem er fortan blieb. Unermüdlich und immer in Bewegung. Und als schließlich genug Menschen zusammengekommen waren, begann er seine Vorstellung.
Die Stimme röchelnd, der Rücken krumm und buckelig, und dazu dieses Gesicht. Das Gesicht war genial. Die Lippen in den Mund gezogen und zusammengepresst verschluckte er das Gesicht förmlich, sodass es wie zu einer Fratze wurde. Er sah aus, als hätte er sich die Maske des Alters aufgesetzt. Die Augen fielen ein, und der zahnlose Mund ging in die Breite. Keuchend und mit zittrigen Beine taumelte er umher, strauchelte, fiel beinahe hin, fing sich im letzten Moment aber wieder. „Liebe Kinder, liebe Kinder“, stammelte er leise, „euer alter Vater wird bald sterben. Kommt her, meine lieben Kinder.“ Wie um zu betteln, streckte er die Hand aus und bat um Hilfe. Unverzüglich meldete sich ein junger Mann aus dem Publikum, der gleich die Anweisung erhielt, den Wassereimer zu holen. Indessen beugte sich der Alte vor, so tief, dass sein Kopf fast den Boden berührte. Und unter der Wucht des Wassers, das ihm sein Gehilfe über das Haar goss, brach er fast zusammen.
Dann griff er in die Tasche, holte ein kleines Fläschchen heraus, drückte sich ein wenig von der grünen Flüssigkeit auf die Handfläche. Nachdem er dem Publikum zur Ansicht die Hand in die Luft gehalten hatte, rieb er sich das Mittel schwer keuchend und zitternd in die Haare. Erneut verlangte er nach Wasser. Er öffnete und schloss den Mund, wie um etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Offenbar suchte er Hilfe.
Sogleich sprang eine Frau hinzu und gab ihm Wasser aus ihrer Flasche zu trinken. Im Nu hatte er sich verschluckt und bekam einen heftigen Hustenanfall, der in Schluchzen ausartete. Dann hob er die Arme als Zeichen, dass sein Gehilfe ihm den Kopf spülen soll. Von einem Schwall Wasser übergossen sank der Alte auf die Knie und krabbelte auf allen vieren durch die immer größer werdende Pfütze, sich unablässig im Kreis drehend.
Und auf einmal, wie aus heiterem Himmel, sprang er auf, wieder ein junger Mann, und rief mit kräftiger Stimme: „Der Greis hat seine Jugend zurückerlangt und ist wieder auf der Höhe seiner Potenz. Kommt her, Leute, für tausend Lira bekommt ihr eure Jugend zurück. Shampoo für den ganzen Körper, und besonders, besonders“, lockte er und griff sich zwischen die Beine. „Kommt, Leute, kommt her, zur ewigen Jugend.“ Und er verteilte die kleinen Flaschen an die Zuschauer. Erheitert klatschten die Menschen Beifall und scharten sich zum Kaufen um ihn.
Schade, dass die französische Theatertruppe nicht gekommen ist und miterlebt hat, wie der Greis seine Jugend wiedererlangt. Das ist ein Schauspiel infolge des Massakers, hätte ich dann Catherine erläutert, hätte sie an meiner Seite verfolgt, wie Salîm sich von einem jungen Mann in einen Greis und zurück in einen jungen Mann verwandelt, so als erkaufe er sich sein Leben, indem er es darstellt.
Belustigt trat ich an ihn heran und kaufte ihm eine Flasche ab. Nachdem die Menschenmenge sich aufgelöst und er dem Mann mit dem Eimer und der Frau mit der Flasche ihren Anteil ausgezahlt hatte, sah er, dass ich noch immer da stand.
„Wir gefallen dir wohl, Herr Doktor, was!“ Ich ergriff seine Hand und forderte ihn auf, am nächsten Tag ins Krankenhaus zu kommen und gleich die Arbeit aufzunehmen.
„Du kannst Arbeit haben, musst solche Albernheiten aber unterlassen“, bestimmte ich.
„Zu Befehl, Herr Doktor“, willigte er ein und verkaufte mir eine zweite Fla- sche.
„Schließlich muss ich alle Flaschen verkaufen, bevor ich meine neue Arbeit antrete.“
Er behielt die fünftausend Lira und versprach, am nächsten Tag zu kommen. Und tatsächlich erschien er auch. Er arbeitete hier ungefähr einen Monat und stellte in dieser Zeit alles auf den Kopf. Lauter Verrücktheiten veranstaltete er. Er stahl Medikamente, um sie zu verkaufen, trieb seine Scherze mit Zainab und erzählte ständig irgendwelche Geschichten. Außerdem ging er zu den Patienten in die Zimmer und schwatzte ihnen Mittel auf, die er selbst aus Kräutern hergestellt hatte, mit dem Argument, dass sie besser wirkten als die Arzneien des Krankenhauses.
Ich war über sein Tun und Treiben im Bilde, konnte ihn aber nicht in seine Schranken weisen. Denn einer seltsamen Logik folgend behauptete er, zum Wohl der Patienten zu handeln.
„Krankheit ist Einbildung, Herr Doktor. Die Hälfte aller Krankheiten ist psychisch bedingt, und die andere Hälfte rührt vom Elend her. Ich behandle ihre Seelen. Lass mich nur machen, und bald wirst du die Ergebnisse erkennen.“
Ich ließ ihn gewähren, weil ich mir keinen anderen Rat mit ihm wusste.
„Was brauchen Kranke schon! Ich bringe sie zum Lachen, und dann sterben sie mit einem Schmunzeln. Wozu leiden, Mann?“
Sogar bei dir hat er es mit Scherzen versucht. Doch ich gab ihm zu verstehen, dass an deiner Zimmertür und an der von Dunia der Spaß aufhört. Aber es wollte ihm nicht in den Kopf gehen. Doch, was dich betrifft, nahm er es sich zu Herzen. Er blieb deinem Zimmer fern. Bei Dunia hingegen war es anders. Er besuchte sie häufig, spielte für sie Theater und verkaufte ihrer Mutter absonderliche Dinge. Und die Mutter war glücklich. Denn Dunia, so berichtete sie, habe Salîm zugelächelt.
„Sie hat zum allerersten Mal gelächelt, Herr Doktor. Bitte, verbieten Sie ihm nicht, zu Dunia zu kommen.“
Dunia spreche auf das Mittel an, das Dr. Salîm für sie hergestellt habe, bemerkte die Mutter.
„Doktor wer?“, fragte ich.
„Salîm, er ist wirklich besser als jeder Arzt“, sagte sie. Als ich ihn fragte, was er Dunia für ein seltsames Mittel verabreicht habe, schaute er mich mit der Maske des alten Mannes an, die ich vom Platz vor der Moschee her kannte.
„Lass mich bloß in Ruhe, Mann. Du kapierst auch gar nichts.“
Und ich habe es tatsächlich nicht verstanden.
Wäre es mir klar gewesen, dann hätte ich damit gerechnet, dass er irgendwann verschwinden würde. Nach einem Monat im Krankenhaus ist er spurlos verschwunden. Ich glaube nicht, dass er wieder vor der Moschee seine Vorstellung gibt.
Er habe ihr verraten, berichtete mir Zainab, dass er ins Flüchtlingslager Ain al-Hilwa ziehen und dort seine Kusine heiraten wolle.
„Was wird er dort arbeiten?“, fragte ich.
„Nichts“, erwiderte sie.
„Ich weiß, er wird wieder den Alten spielen“, mutmaßte ich. „Dort wird er schon ein neues Publikum finden.“
„Nein“, widersprach Zainab. „Er wird im Elternhaus seiner Braut leben. Deren Vater, so hat er mir erzählt, arbeitet in Saudi-Arabien und schickt der Familie immer Dollars. Dort wird er leben wie ein König, meint er.“
* Elias Khoury (geboren 1948 in Beirut) war Widerstandskämpfer und ist heute Schriftsteller und verantwortlicher Kulturredakteur bei der Zeitung An-Nahar. Für seinen Roman „Das Tor zur Sonne“, der 1998 in Beirut erschien und auch ins Hebräische übersetzt ist, erhielt er den bedeutendsten palästinensischen Literaturpreis. Auf Deutsch liegen vor: „Der geheimnisvolle Blick“, München (C. H. Beck) 2000, „Königreich der Fremde“, Berlin (Das Arabische Buch) 1998.