12.09.2003

KOLUMNE von Naomi Klein*

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KOLUMNE von Naomi Klein*

Rebellion in Manila

IN einem Sommer, da Arnold Schwarzenegger als Gouverneurskandidat antritt und Kobe Briant als Vergewaltiger vor Gericht steht, ist es nicht einfach, in die Schlagzeilen zu kommen. Um das hinzukriegen, muss man schon einiges bieten – wie ein Trupp junger philippinischer Soldaten vor sechs Wochen entdecken musste. Am 27. Juli verminten 300 Soldaten ein riesiges Einkaufszentrum in Manila mit C-4-Sprengstoff und beschuldigten ihre mit Washington aufs engste verbündete Regierung, ihre eigenen Gebäude in die Luft gejagt zu haben, um noch mehr US-Militärhilfe abzukriegen. Und trotzdem schafften sie es nur knapp in die internationalen Fernsehnachrichten.

Das ist ein Jammer. Denn nach dem Bombenanschlag auf das Marriott-Hotel in Djakarta und nachdem aus Geheimdienstkreisen durchsickerte, dass die Attentate vom 11. September womöglich in Manila ausgeheckt wurden, sieht es so aus, als könnte Washington die nächste Hauptfront in seinem Antiterrorkrieg in Südostasien eröffnen. Zwar haben es die Philippinen und Indonesien nicht auf die Topliste der „Achse des Bösen“ geschafft, doch beide Länder haben etwas, was der Iran und Nordkorea nicht bieten können: befreundete Regierungen, die nur allzu bereit sind, dem Pentagon zu einem leichten Sieg zu verhelfen.

Sowohl Macapagal Arroyo, die Präsidentin der Philippinen, als auch die indonesische Präsidentin Megawati Sukarnoputri sind voll in den Bush-Kreuzzug eingestiegen, weil er ihnen als perfekte Tarnung für ihre brutalen Säuberungsaktionen gegen separatistische Bewegungen dient, die in rohstoffreichen Regionen ihrer Länder – auf der philippinischen Insel Mindanao und in der indonesischen Provinz Aceh – aktiv sind.

Die philippinische Regierung hat ihre Rolle als Washingtons asiatischer Lieblingspartner im Antiterrorkrieg bereits in einen satten Profit umgemünzt: Die US-Militärhilfe wurde von 2 Millionen Dollar im Jahre 2001 auf mehr als 70 Millionen Dollar pro Jahr aufgestockt. Zugleich wurden ganze Heerscharen von US-Soldaten und -Spezialeinheiten nach Mindanao verlegt, um eine Offensive gegen die islamistische Gruppe Abu Sayyaf zu starten, von der man im Weißen Haus behauptet, sie unterhalte Verbindungen zu al-Qaida.

Diese Operationen dauerten bis Mitte Februar an, doch dann erlitt die amerikanisch-philippinische Allianz einen herben Rückschlag. Kurz vor einer neuen gemeinsamen Militäroperation mit mehr als 3 000 US-Soldaten äußerte ein Pentagon-Sprecher gegenüber Journalisten, die US-Truppen auf den Philippinen würden sich an den Kämpfen „aktiv beteiligen“ – wogegen die Regierung Arroyo immer verkündet hatte, die US-Soldaten seien nur als „Ausbilder“ tätig. Der Unterschied ist bedeutsam, denn eine Bestimmung in der philippinischen Verfassung verbietet Kampfeinsätze von im Lande stationierten ausländischen Soldaten. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass in den Philippinen wieder die gigantischen US-Militärbasen entstehen, die 1992 geschlossen wurden.

Die Äußerung aus dem Pentagon löste in der philippinischen Öffentlichkeit so heftige Proteste aus, dass die ganze Militäroperation abgeblasen und weitere gemeinsame Unternehmen aufgeschoben werden mussten. Dann aber wurde in den letzten sechs Monaten, in denen alle Welt gebannt auf den Irak blickte, aus Mindanao ein ganzes Feuerwerk terroristischer Anschläge gemeldet. Wer steckte dahinter? Heute, nach der Meuterei in Manila, stellt sich diese Frage ganz neu.

Ursprünglich hatte die Regierung die Islamische Moro Befreiungsfront (MILF) verantwortlich gemacht. Die meuternden Soldaten dagegen beschuldigten das philippinische Militär und die Regierung: Die würden sich mit der künstlichen Verschärfung der terroristische Gefahr eine Rechtfertigung für mehr Militärhilfe und für ein aktives Eingreifen der USA zurechtzimmern.

Die Soldaten brachten mehrere interessante Behauptungen vor: Erstens hätten hohe Offiziere Anfang März 2003 in Absprache mit dem Arroyo-Regime einen Bombenanschlag auf dem Flughafen von Davao auf Mindanoa und noch weitere Attentate organisiert. Leutnant Antonio Trillanes, der Anführer der Meuterei, behauptet, für diese Verschwörung gebe es hunderte von Zeugen.

Zweitens habe die Armee den Terrorismus in Mindanao unterstützt: Sie habe Waffen und Munition an dieselben Rebelleneinheiten verkauft, gegen die sie die jungen Soldaten in den Kampf schickte. Drittens hätten Angehörige des Militärs und der Polizei dafür gesorgt, dass wegen terroristischer Verbrechen verurteilte Häftlinge aus dem Gefängnis fliehen konnten. Als „letzte Bestätigung“ für diese Behauptung sieht Leutnant Trillanes die Tatsache, dass am 14. Juli Fathur Rohman al-Ghosi aus einem schwer bewachten Gefängnis in Manila entkommen konnte. Al-Ghosi ist ein berüchtigter Bombenbastler der Gruppe Dschamaa Islamija, der die Anschläge in Bali und auf das Marriott-Hotel in Djakarta zugeschrieben werden.

Und viertens habe die Regierung eine neue Serie von Bombenattentaten vorbereitet, um die Ausrufung des Kriegsrechts zu legitimieren.

PRÄSIDENTIN Arroyo weist diese Anschuldigungen zurück und behauptet, die Gruppe um Leutnant Trillanes sei das Werkzeug skrupelloser Oppositionspolitiker. Doch die Meuterer insistieren, dass sie sich nicht an die Macht putschen, sondern nur eine Verschwörung auf höchster Ebene aufdecken wollten. Für diese Version spricht, dass die Meuterei unblutig beendet wurde, als Präsidentin Arroyo eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe zugesagt hatte.

Obwohl eine große Mehrheit der Philippiner das Vorgehen der Soldaten nicht guthießen, nahm der überwiegende Teil der Presse ihre Behauptungen sehr ernst. Und die wurden auch in militärischen Kreisen für „stichhaltig und legitim“ gehalten, wie es Danilo Vizmanos, Kapitän zur See a. D., ausdrückte. In philippinischen Zeitungen stand zu lesen, der Verkauf von Waffen an Rebellengruppen sei „allgemein bekannt“ und „ein offenes Geheimnis“.

Der Generalstabschef der philippinischen Streitkräfte, General Naricos Abaya, räumte immerhin ein, beim Militär seien „Bestechnung und Korruption auf allen Ebenen“ verbreitet. Und schließlich hat die Polizei auch zugegeben, dass der Terrorist al-Ghosi nur mit Hilfe von Leuten innerhalb des Gefängnisses aus seiner Zelle habe entweichen können. Ein entscheidendes Indiz ist auch der Rücktritt von Victor Corpus, Chef des Militärgeheimdienstes, der allerdings jede Beteiligung an den Bombenanschlägen von Davao bestreitet.

Die meuternden Soldaten waren keineswegs die Ersten, die ihrer Regierung terroristische Aktionen gegen ihr eigenes Volk vorwarfen. Einige Tage vor der Meuterei in Manila hatte eine Koalition aus kirchlichen Gruppen, Rechtsanwälten und NGOs eine „Ermittlungskommission“ gegründet, die den hartnäckigen Gerüchten nachgehen sollte, wonach Geheimdienste an den Sprengstoffattentaten in Davao beteiligt seien.

Die Kommission geht auch der Frage nach, ob US-Geheimdienste mit von der Partie waren. Dieser Verdacht ergibt sich aus einem bizarren Vorfall vom 16. Mai 2002 in Davao. Damals wurde ein US-Bürger namens Michael Meiring schwer verletzt, angeblich weil er in seinem Hotelzimmer Sprengstoff gezündet hatte. Meiring wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, nach einigen Tagen aber von zwei Männern weggeschafft und in die USA ausgeflogen. Nach Aussagen von Zeugen hatten sich die beiden Männer als FBI-Agenten auswiesen. Jetzt fordern die örtlichen Behörden, Meiring müsse zurückkehren, damit man gegen ihn ermitteln könne. Vergebens.

Die philippinische Zeitung Business World hat Meiring in mehreren Artikeln als CIA-Agenten bezeichnet, der an verdeckten Operationen beteiligt gewesen sei, die als Rechtfertigung für „die Stationierung amerikanischer Truppen und die Errichtung von Militärstützpunkten auf Mindanao“ dienen sollten. In den USA freilich hat noch keine Zeitung über die Meiring-Affäre berichtet. Und die unglaublichen Anschuldigungen der meuternden Soldaten waren nach einem Tag aus den Zeitungsspalten verschwunden.

Das Ganze klang vielleicht auch einfach zu exotisch: Eine außer Kontrolle geratene Regierung facht das Feuer des Terrorismus an, um ihren Militärhaushalt aufzupumpen, sich selbst an der Macht zu halten und die demokratischen Freiheitsrechte einzuschränken. Warum sollten die Amerikaner so etwas unterstützen? Eine absurde Frage. Oder vielleicht nicht?

deutsch von Niels Kadritzke

* Kanadische Journalistin und Autorin des internationalen Bestsellers „No Logo!“, München (Bertelsmann) 2001. Der Abdruck des Textes erfolgt mit Genehmigung des New York Times Syndicate.

Le Monde diplomatique vom 12.09.2003