12.09.2003

Jeff Wall

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Jeff Wall

CHARLES BAUDELAIRE beschimpfte 1859 die Fotografie als Genre der „mangelhaften Maler“ und glaubte an das Verderben der Kunst, wenn diese industrielle Technik in ihr Reich eindringe.

Seit den 1970er-Jahren arbeitet der Kanadier Jeff Wall (geboren 1948) an einer speziellen Art der Wiedervereinigung der beiden Gattungen: Minutiös stellt der Kunsthistoriker und Fotograf Szenen aus dem Alltag nach, lichtet sie ab und präsentiert sie als großformatige Diapositive in Leuchtkästen. Dabei zitierter häufig bekannte prämoderne Bildkompositionen, als wolle er mit den Techniken der Fotografie die Historien- und Genremalerei wieder aufleben lassen. Die Imitation geht so weit, dass er die digitalisierten Bilder bis ins letzte Detail bearbeitet, das heißt „ausmalt“.

Auf der Documenta11 wurde der „Invisible Man“ gezeigt, nach dem gleichnamigen Roman von Ralph Ellison aus dem Jahr 1952. Der Unsichtbare (Schwarze) hofft, dass er durch das Anbringen von 1 369 Glühlampen gegen die gesellschaftliche Nichtbeachtung ankommen könnte – doch letztlich gelingt ihm dies weder im Roman noch auf dem Foto von Wall noch in der Realität.

Walls Werke, so altmeisterlich oder impressionistisch sie daherkommen mögen, erzählen stets von einem Heute: von Menschen am Rande der Gesellschaft, vom Alltag, von der Gewalt. Und ziehen – wie Baudelaire formulierte – „aus dem Vergänglichen das Ewige heraus“. M. L. K.

Le Monde diplomatique vom 12.09.2003, von M. L. K.