Ben Ali für immer
Von KAMEL LABIDI *
AM 24. Oktober wird in Tunesien gewählt. Worum es bei diesen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen geht, erklärt Mustapha Ben Jafaar, Generalsekretär des Forum démocratique pour le travail et les libertés (FDTL): „Die Wiedereinführung der Präsidentschaft auf Lebenszeit soll definitiv legitimiert werden. Man will die Befugnisse des Präsidenten erneut ausweiten und alle glaubwürdigen Kandidaten und Oppositionellen ausschließen.“ Der freundliche Herr von der Opposition weiß, wovon er spricht. Seine Partei ist erst vor zwei Jahren zugelassen worden und unterliegt ständiger Polizeiüberwachung. Seit im Mai 2002 per Volksabstimmung eine Verfassungsänderung abgesegnet wurde, kann sich Präsident Zine el-Abidin Ben Ali zur Wiederwahl stellen, sooft er will.
Ben Ali darf sich nicht nur seine Gegner bei der Präsidentschaftswahl aussuchen, er bestimmt auch, welche Oppositionsabgeordneten ins Parlament gelangen. Überdies ernennt er sieben der neun Mitglieder des Verfassungsrats, der die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen prüft und über die Zulässigkeit von Kandidaturen zum Präsidentenamt befindet. Die beiden anderen Mitglieder ernennt der Präsident des Parlaments, das ohnehin alle Wünsche des Führers der Regierungspartei RCD (Rassemblement constitutionnel démocratique), sprich Ben Alis, genau befolgt.
Auch Rachid Khechana, Mitglied des Politbüros der PDP (Parti démocratique progressiste), sieht in der Präsidentschaftswahl nur den Versuch „endlich die Präsidentschaft auf Lebenszeit einzuführen“. Seine Partei ist seit 1988 legal, aber vom Staat geächtet. Dennoch hat sie nicht zum Wahlboykott aufgerufen und lässt ihren Vorsitzenden Nejib Chebbi kandidieren.
Andere Beobachter meinen, Ben Ali wolle mit diesen Wahlen vor allem den USA klar machen, dass sein Regime trotz aller Missachtung der Menschenrechte noch immer Rückhalt in der Bevölkerung hat und dass Washington einen besseren Verbündeten im „Krieg gegen den Terrorismus“ kaum finden kann.
Die Verfassungsänderung bedeutet nicht nur eine weitere Stärkung der Exekutive, sondern auch die Entmachtung des Parlaments: Ins Unterhaus können nur Mitglieder der regierenden RCD und einiger unbedeutenden Gruppierungen einziehen, die dem angeblichen Pluralismus den Anschein von Glaubwürdigkeit verleihen. Zudem garantiert die Verfassung dem Präsidenten Ben Ali bis ans Ende seiner Tage völlige Straffreiheit.
In jüngster Zeit wurden auch neue Bestimmungen zur Beschränkung der Meinungsfreiheit durchgesetzt. Eine Bestimmung im Wahlgesetz untersagt den Bürgern, „private oder ausländische Fernseh- und Rundfunksender zu nutzen oder aus dem Ausland zu senden, um für oder gegen die Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer Liste aufzurufen“. Zuwiderhandlungen werden „mit einem Bußgeld von 25 000 Dinar bestraft“ (ca. 15 000 Euro).
Solche Einschränkungen der Bürgerrechte werden von der Regierung als Schutz gegen „jede Form von Kriminalität, Gewalt, Fanatismus, Rassismus und Terrorismus“ verkauft – oder auch als Schutz der „Privatsphäre der Bürger“. Bei allen Angriffen auf die Bürgerrechte, inklusive des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren, beruft man sich auf das von Ben Ali am 10. Dezember 2003 erlassene Antiterrorgesetz.
Dieses Gesetz ermöglichte im April 2004 die Verurteilung einiger junger Internetsurfer zu hohen Haftstrafen wegen „terroristischer Umtriebe“ und „Diebstahl und Besitz von Sprengstoff“. In sechs Fällen reduzierte die Berufungsinstanz das Strafmaß – von 19 auf 13 Jahre.
Als Beweis seiner fortschrittlichen Politik in Menschenrechtsfragen verweist das Regime gern auf ein Datenschutzgesetz, das der Präsident am 27. Juli 2004 in Kraft gesetzt hat. Sihem Ben Sedrine, Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Conseil national pour les libertés en Tunisie (CNLT), warnt allerdings vor „dem Plagiat einer Menschenrechtserklärung, mit dem dieses Gesetz in den ersten Paragrafen daherkommt“, und verweist darauf, dass es dem Bürger „keinen Schutz vor den staatlichen Instanzen“ bietet.
Dieses Gesetz kam zu einer Zeit, als viel über die Günstlingswirtschaft und Geldgier der Präsidentenfamilie geredet wurde. „Es ist arrogant und unverzeihlich, wie sie sich bereichern und die Wirtschaft des Landes ausplündern“, erklärt Neziha Reijba, Vizepräsidentin des von Moncef Marzouki gegründeten Congrès pour la République (CPR). Sie gehörte zu den wenigen, die es je gewagt haben, dem Nachfolger Habib Bourgibas, des „Obersten Kommandanten“, den Willen zur Demokratisierung des Landes abzusprechen. „Jetzt erlauben sie sich auch Übergriffe auf die Menschen – aber kaum jemand wehrt sich, alle haben Angst.“ So geht es nicht nur der CPR, sondern sogar der islamistischen Bewegung Ennahda, von deren Aktivisten hunderte in den Gefängnissen sitzen, manche sogar schon Jahre.
Neziha Reijba, besser bekannt unter ihrem Pseudonym Om Zyed, wirft der Opposition vor, sich mit „kindischen Streitereien“ gesellschaftlich isoliert zu haben. Deshalb habe „Ben Ali in Ruhe sein Netz der Repression knüpfen können“. Und sie fragt, wie lange sich die Oppositionsführer noch „verkriechen“ wollen: „Die schaffen es ja nicht mal, auf die Straße zu gehen, und klar zu machen, dass wir keine Verbrecherbande sind.“
Im September 2003 hat Om Zyed, nach 35 Jahren Schuldienst, die Arbeit an den Nagel gehängt – ein Abgang im Streit aus dem Bildungswesen, auf das man in Tunesien immer so stolz war. „Die Jugendlichen verlieren jedes Interesse an sozialen Fragen. Sie reden nur noch davon, auszuwandern und Geld zu machen – die Leichen der illegalen Immigranten, die an den italienischen Küsten angeschwemmt werden, scheinen sie nicht zu beeindrucken.“ Sie beklagt auch die Politisierung des Schulwesens, dessen Leitung zunehmend in die Hände von Günstlingen der Regierungspartei gerate.
Om Zyed hat einen Aufruf zum Wahlboykott unterschrieben, aber sie weiß sehr wohl, dass nur wenige Tunesier bereit sind, öffentlich gegen die Entwicklung zu protestieren, die Moncef Marzouki als eine „Geiselnahme der Demokratisierung“ bezeichnet. Moncef hofft noch immer, eine gemeinsame Front für den Wahlboykott zustande zu bringen, obwohl sein Mut und seine Weitsicht nicht allzu viel Wohlwollen in einer politischen Klasse finden, die innerlich zerstritten ist und im Übrigen nichts riskieren will.
Auch Persönlichkeiten wie der Richter Mokhtar Yahyaoui finden Moncefs Vorstöße etwas zu kühn: „Man muss sich zuvor den nötigen Rückhalt verschaffen“, meint der Richter, der 2001 in einem viel beachteten offenen Brief an Präsident Ben Ali gegen die Übergriffe der Exekutive auf das Rechtssystem protestierte. Die tunesischen Kommunisten (POCT) – auch sie sind nicht zugelassen als Opposition – haben dazu aufgerufen, die Wahlfarce zu boykottieren.
Der Richter und die Islamisten
RICHTER Yahyaoui, dem manche Sympathien für die Islamisten nachsagen, empfindet nur Verachtung für die Oppositionsgrüppchen, die sich für das Regime einspannen lassen. Er empfiehlt den „Aufbau von Basisstrukturen einer gesellschaftlichen Sammlungsbewegung, die keine Richtung ausschließt“. Im Augenblick scheint ihm der „Kampf gegen die Missachtung der Verfassung“ vordringlich. Durch die Gleichschaltung der Gewerkschaft UGTT sieht er die Eliten eines wichtigen Rückhalts beraubt. „Warum sollte man die Islamisten ausschließen? Sie sind in der Bevölkerung verankert, während wir nur über politische Strukturen ohne Basis verfügen.“
Noureddine Bhiri, der vor den politischen Prozessen gegen die Islamisten von 1992 als einer der wichtigsten jungen Helfer von Scheich Rached Ghannouchi galt (der im Londoner Exil lebt), ist eher pessimistisch. Er kritisiert nicht nur das Regime, sondern auch die Opposition – und sogar die Bewegung Ennahda. „Die Opposition hat die Verbindung zur Gesellschaft verloren. In einem Polizeistaat kann ein Aufruf zum Wahlboykott höchst kontraproduktiv sein.“
Noureddine Bhiri geht offenbar auf Distanz zur Exilführung der Ennahda, die zur Stimmenverweigerung aufgerufen hat: „Nur weil Tunesien, im Unterschied etwa zu Ägypten, Algerien oder Marokko, keine unabhängigen Institutionen kennt, die ein Gleichgewicht der Kräfte garantieren, konnte Ben Ali seine Willkürherrschaft behaupten.“ Bhiri glaubt nicht an eine Erneuerung, solange „es nicht einmal innerhalb der Oppositionsparteien demokratisch zugeht. Dort hat doch seit Jahrzehnten die Führung nicht gewechselt.“ Vielleicht ist es ein Zeichen politischer Ernüchterung, dass kürzlich einige politische Persönlichkeiten eine „Demokratische Initiative“ gegründet haben, um die Präsidentschaftskandidatur von Mohamed Ali Helouani (von der ehemaligen Kommunistischen Partei) für die Bewegung Ettajdid zu unterstützen.
Natürlich wissen die Verantwortlichen der Demokratischen Initiative, dass Ettajdid ein zweifelhafter Bündnispartner ist. Die Partei musste im vergangenen Jahrzehnt viel Kritik einstecken, weil sie die Politik der Beschneidung der Bürgerrechte mit getragen hat. Vielleicht ist die Initiative auch zu optimistisch, was die Möglichkeiten angeht, die Menschen mit einer Wahlkampagne unter Polizeiaufsicht zu erreichen. Die Tunesier haben vermutlich andere Sorgen: Das Schuljahr fängt an, der Ramadan steht vor der Tür, und man muss sich um den Lebensunterhalt kümmern.
deutsch von Edgar Peinelt
* Journalist, Tunesien.