12.11.2004

Satrapi über Persepolis

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Satrapi über Persepolis

Dave Weich: Beim ersten Band fand ich es faszinierend, wie es dir gelingt, die politische Geschichte darzustellen. In Persepolis 2 geht es mehr um deine persönliche Odyssee.

Marjane Satrapi: Im ersten Buch ging es um die Revolution und den Krieg. Nicht nur mein Leben, das Leben im ganzen Iran wurde damals umgekrempelt. Im zweiten Band, wo ich ins Exil gehe, ist mein Wunsch, mich in die fremde Kultur zu integrieren, so groß, dass ich vergessen muss, wo ich herkomme und wer ich bin. Ich wollte beim Zeichnen ganz ehrlich sein.

Jedes Mal, wenn ich an mein Land dachte, dachte ich: Wenn ich immer nur an zu Hause denke, wird es noch schwieriger, mich zu integrieren. Und so war es: Je mehr ich an mein Land dachte, desto wütender wurde ich auf die anderen und darauf, dass sie keine Ahnung hatten und trotzdem immer alles beurteilten. Ich musste das alles vergessen. Dann kam ich zurück in den Iran. Die Revolution war zehn Jahre vorbei. Der Krieg war auch lange vorbei.

Ich finde, auch das zweite Buch ist politisch, ich rede zum Beispiel viel über die politischen Gefangenen. Aber die Leute im Iran waren damals – also unmittelbar nach dem Krieg – nicht so politisch. Nach acht Jahren Krieg hatten wir die Nase voll. Endlich war der Krieg vorbei. Die Menschen wollten einfach nur leben, ganz normal weiterleben. Sie waren einfach so glücklich, dass ihnen keine Bomben mehr auf den Kopf fielen. Deshalb gab es auch erst sechs oder sieben Jahre nach Kriegsende eine Studentenbewegung.

Man braucht Jahre, um wieder zu sich zu kommen. Als ich zurückkam in den Iran, war das Land nicht politisch. Die Jugend war sogar unpolitisch. Unsere Generation wusste Bescheid über die politischen Gefangenen; wir wussten Bescheid über die Revolution; wir wussten Bescheid über den Krieg. Wir wussten, dass wir unser Leben riskierten, wenn wir den Mund aufmachten. Wir waren zu verängstigt, darum sprachen wir nicht über Politik. Die Jüngeren sind anders. Sie haben nicht dasselbe durchlebt, unsere Ängste sind ihnen fremd.

D.: In „Persepolis 2“ sagst du über die iranische Regierung, sie würde die Leute mit so banalen Sorgen wie „Ist mein Schleier verrutscht?“ oder „Sind meine Hosen lang genug?“ beschäftigen. In den USA erleben wir derzeit eine große politische Kampagne. Es wird nicht mehr differenziert, nicht analysiert. Das ist ein ähnliches Ablenkungsmanöver.

M.: Natürlich. Das ist Gehirnwäsche und Ablenkung. Mit dem einen Unterschied, dass es uns bewusst war, dass wir in einer Diktatur leben, also sowieso nie glaubten, was gesagt wurde. Wir wussten, dass unsere Führer Diktatoren waren. Hier denken die Leute, dass sie in einer Demokratie leben, was eine Illusion ist. […] Was tatsächlich geschieht (und was viel mit meinem Buch zu tun hat), hat viel zu tun mit der Angst. Es ist sehr ähnlich wie damals unter McCarthy, als es diese antikommunistische Paranoia gab. Damals sagten die Leute „Wir dürfen es nie wieder so weit kommen lassen“, aber jetzt passiert es wieder. Die Leute sind paranoid.

Der wirkliche Krieg wird nicht zwischen West und Ost ausgetragen. Der wirkliche Krieg wird heute zwischen den Intelligenten und den Dummen ausgetragen. Es gibt wesentlich mehr Gemeinsamkeiten zwischen Bush und den Fanatikern in meinem Land als zwischen denen und mir. Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten zwischen mir und den normalen Leuten hier in Amerika, die Bush ablehnen. Ich als Iranerin fühle mich den Amerikanern, die so denken wie ich, weit mehr verbunden als den Bartträgern zu Hause.

D.: Du hast einen sehr besonderen Stil. Wie entstehen deine Bilder?

M.: Ich habe eine Seite, und dann entscheide ich, wie viele Einzelbilder ich darauf unterbringen möchte: sechs oder acht oder neun, und was ich in diesen Einzelbildern genau aussagen will. Dann skizziere ich, was ich darstellen möchte, eine Person oder eine Szene. Und dann nehme ich den Bleistift und zeichne das. Und wenn ich damit fertig bin, dann lege ich das Papier auf eine Lichtbox und tinte es. Das ist ein langwieriger Prozess.

D.: Auf dem Höhepunkt in „Persepolis 2“ gibt es drei Seiten, auf denen kein einziges Wort steht.

M.: Manchmal ist jedes Wort zu viel. Manchmal reicht es, nur zu zeigen. Ich glaube, wenn die Leute das sehen, wissen sie sofort Bescheid, also brauche ich nichts hinzuzufügen.

© Powells.com. Der Band „Persepolis 2“ erscheint in diesem Monat auf Deutsch in der Edition Moderne, Zürich.

Le Monde diplomatique vom 12.11.2004, von Marjane Satrapi