Ein unabhängiges Palästina
DER Text des Abkommens von Genf umfasst rund fünfzig Seiten (siehe den englischen Text im Nahostdossier von www.monde-diplomatique.fr); die dazugehörigen Anhänge sind bislang nicht bekannt. Das Dokument stützt sich auf die verschiedenen UN-Resolutionen und diplomatischen Konferenzen wie Abkommen zum Nahen Osten: Madrid (1991), Oslo (1993), Hebron (1997) und Wye-River (1998). Vor allem aber orientiert es sich an den Verhandlungen von Camp David (2000) und Taba (2001).
Der Inhalt in Stichworten:
– Status: Der Staat Palästina wird entmilitarisiert sein. Er wird allerdings über Sicherheitskräfte verfügen, die die innere Sicherheit gewährleisten, gegen Terrorismus vorgehen und die Grenzen kontrollieren.
– Territorium: Der Staat Palästina wird innerhalb der Waffenstillstandslinie vom 4. Juni 1967 (green line) errichtet. Sein Territorium umfasst den gesamten Gaza-Streifen und 97,5 Prozent des Westjordanlandes. Die übrigen 2,5 Prozent werden von Israel annektiert, um die größten israelischen Siedlungen im Großraum Jerusalem inklusive des im Süden gelegenen Gusch Etzion anzubinden. Die Siedlungen von Ariel, Efrat und Har Homa hingegen werden in die Hoheit Palästinas übergehen. Zum Ausgleich für das um Jerusalem gewonnene Gebiet wird Israel dem neuen Staat ein gleich großes Territorium zur Verbreiterung des Gaza-Streifens abtreten. Eine Autostraße wird den Gaza-Streifen mit dem Westjordanland verbinden, sie liegt auf israelischem Hoheitsgebiet, wird jedoch von palästinensischer Seite kontrolliert.
– Hauptstadt: Hauptstadt des palästinensischen Staates wird Ostjerusalem. Die östlich der Stadt gelegenen jüdischen Viertel (einschließlich Givat Zeev und ein Teil von Maale Adumim) bleiben unter israelischer Hoheit, während die Altstadt mit Ausnahme der Klagemauer und des jüdischen Viertels palästinensischer Kontrolle untersteht. Eine internationale Schutztruppe soll den freien Zugang der Gläubigen zu den religiösen Stätten gewährleisten. Der Tempelberg jedoch wird für jüdische Gläubige sowie für archäologische Grabungen gesperrt. Ölberg, Davidsstadt und Kidrontal werden unter internationale Aufsicht gestellt. Die beiden Gemeinden werden ein Koordinationsgremium bilden, die drei Religionsgemeinschaften einen Konsultationsrat.
– Siedlungen: Israel verpflichtet sich, alle Siedler – mit Ausnahme der Bewohner der Israel zugesprochenen Gebiete im Großraum Jerusalem – aus dem Gaza-Streifen und Westjordanland nach Israel zurückzuführen. Die Besitzungen sowie die Infrastruktur werden nach einem von beiden Seiten ausgehandelten Zeitplan an die palästinensische Verwaltung abgetreten.
– Israelischer Rückzug: Der Staat Israel verpflichtet sich, seine Armee aus dem gesamten Westjordanland und dem Gaza-Streifen in drei Schritten abzuziehen. Allerdings wird die israelische Armee im Jordantal für weitere 36 Monate präsent bleiben; zudem werden Frühwarnstationen im Norden und in der Mitte des Westjordanlands eingerichtet.
– Flüchtlinge: In Übereinstimmung mit der Resolution 194 der Vollversammlung der Vereinten Nationen (1948) und der Resolution 242 des Sicherheitsrats (1967) können die palästinensischen Flüchtlinge sowie Drittstaaten, die sie aufgenommen haben, entschädigt werden. Alle Flüchtlinge haben das Recht, sich im neuen palästinensischen Staat anzusiedeln. Über ihre Möglichkeit, im Rahmen der Familienzusammenführung auf israelisches Gebiet zurückzukehren, entscheiden dagegen die israelischen Behörden.
– Kontrolle: Das Quartett (UNO, USA, EU, Russland) ernennt mit anderen beteiligungswilligen Kräften einen Sonderbeauftragten und bildet eine multinationale Schutztruppe, die über die Umsetzung der Vereinbarung wacht.
SIND Sie für oder gegen die Genfer Vereinbarung? Was denken Sie über die Verhandlungspartner? Wird Ihrer Meinung nach der endgültige Friedensvertrag der jetzigen Vereinbarung ähneln? Die israelische Tageszeitung Ha’aretz vom 2. Dezember 2003 veröffentlichte sechs Wochen nach Bekanntwerden der Initiative die Resultate einer Meinungsumfrage aus Israel. Nach diesem Bericht halten sich Unterstützer und Gegner in Israel in etwa die Waage: 31 Prozent sind dafür, 38 Prozent dagegen. 20 Prozent äußerten, sie seien noch nicht entschieden. Von diesem Fünftel sieht sich ein Großteil tendenziell auf der Seite der Unterstützer, man will aber sowohl die Unterzeichnungszeremonie als auch die Reaktionen unter den Palästinensern abwarten.
Im Unterschied zur geschlossenen Ablehnung durch die Likud-Führung unterstützen 13 Prozent der Likud-Wähler die Genfer Initiative; nach einer anderen Umfrage sprachen sich sogar 21 Prozent für die Unterzeichnung aus. Auf die Frage, wie man die israelischen Unterhändler bezeichnen solle, nannten sie 15 Prozent naiv, 23 Prozent staatsmännisch; 26 Prozent subversiv (wie schon Scharon) und 19 Prozent patriotisch.
Die Gesellschaft insgesamt zeigt sich gespalten: 52 Prozent der Befragten bezeichneten Scharon als sehr gut oder ziemlich gut, während 42 Prozent ihn als schrecklich oder ziemlich schrecklich bezeichneten.
45 Prozent der Haushalte geben an, die Broschüre über die Genfer Initiative nicht erhalten zu haben, und von denen, die sie erhalten haben, gaben 23 Prozent an, durch die Lektüre negativ beeinflusst worden zu sein. Dagegen meinten 18 Prozent, sie seien durch die blauweiße Broschüre überzeugt worden.
Die meisten der Befragten haben wenig Hoffnung auf eine friedliche Beilegung. 32 Prozent glauben, es werde zu keinem Abkommen kommen. 25 Prozent geben an, ein endgültiges Abkommen werde ganz ähnlich aussehen wie das Genfer Ergebnis, während 22 Prozent das Gegenteil glauben.