Höllenfeuer
EINER der besten Romane über den Vietnamkrieg ist „Höllenfeuer“ von Gustav Hasford, der die Vorlage für Kubricks Film „Full Metal Jacket“ war. Erzählt wird darin, wie junge Männer, bei den US-Marines zu Furcht einflößenden Kämpfern ausgebildet, sich plötzlich in einem Krieg ohne Front und Etappe wiederfinden, in dem der Gegner wie tödliches Gas unsichtbar bleibt. In so einem Krieg ist das Gelernte völlig nutzlos.
Der Irak ist nicht Vietnam. Doch im Laufe des jüngsten „schwarzen Ramadan“ haben sich die Rollen verkehrt: Die Angreifer sind in der Defensive. Das US-Expeditionscorps ist damit beschäftigt, sich gegen die Angriffe des zunehmend kühner agierenden Widerstands zu schützen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 10 Attacken im Juli, rund 35 im November, und pro Woche durchschnittlich 10 getötete Amerikaner. Dabei sind die tödlichen Anschläge auf die britischen, italienischen, polnischen und spanischen Hilfstruppen nicht eingerechnet. Die Sache wird zum Albtraum.
Gestützt auf ihre apokalyptische Feuerkraft befolgten die US-Strategen bei der Eroberung des Irak das von Marschall Foch propagierte Prinzip, dem zufolge es im modernen Krieg darum geht, das Herz und Machtzentrum der feindlichen Armee zu treffen und in einer Entscheidungsschlacht zu zerstören. Dies gelang umso leichter, als sich die irakische Armee vor Bagdad einfach auflöste und den Vormarsch der Eroberer weder durch Brückensprengungen noch durch die Zerstörung des Flughafens bremste. Fast könnte man auf die Idee kommen, dass sich dahinter eine bewusste Strategie verbirgt: Man lässt die Invasoren ins Land und verwickelt sie in einen anhaltenden asymmetrischen Konflikt. Denn dass die US-Truppen in Mesopotamien noch einige Zeit werden bleiben müssen, steht außer Zweifel. Ein überstürzter Rückzug würde einen Bürgerkrieg und „libanesische“ Zustände herbeiführen; der Irak würde zum „Konfliktherd“.
Die Theoretiker des Widerstands lehrten: „Wenn der Feind vorrückt, ziehen wir uns zurück; wenn er sich nicht bewegt, greifen wir ihn an.“ Einer der ältesten Militärtheoretiker, der Chinese Sun Tsu, rät, die Schwächen eines mächtigeren Gegners auszunutzen: „Wo er stark ist, muss man ihm ausweichen, wo er sich inkonsequent zeigt, muss man ihn schlagen.“ Stets darauf bedacht, den Besatzern keine Zielscheibe zu bieten, haben die irakischen Aufständischen die innere Front möglichst weit ausgedehnt, um die Kosten des Kriegs für die USA zu maximieren.
UNAUFHALTSAM begann sich die Gewaltspirale zu drehen. Je härter die Repression – die sich verdoppeln wird, sobald die von den Besatzungsbehörden aufgestellten paramilitärischen Milizen in Aktion treten –, desto entschiedener wird der Widerstand zurückschlagen. Bei den desorientierten Besatzungstruppen führt der Hass auf die Invasoren zu Rachegefühlen, die bewirken, dass sie „Freund“ von Feind kaum noch auseinander halten. So werden immer mehr „Kollaborateure“ von nervösen oder übereifrigen US-Soldaten erschossen.
Die 155 000 Soldaten – davon 130 000 US-Amerikaner, von denen nur 56 000 zur bewaffneten Streitmacht zählen – reichen schon heute nicht aus, um das Land sicher zu machen. Der Irak ist längst ein Eldorado für private Sicherheitsfirmen. Tausende von Söldnern schützen ausländische Botschafter, Ministerien, öffentliche Gebäude und Angehörige westlicher Unternehmen, die von Wiederaufbauverträgen im Wert von 8 Milliarden Dollar profitieren (das sind vor allem US-Firmen, die Bush mit Wahlkampfspenden unterstützt haben). So stellt etwa die Sicherheitsfirma Erinys 6 500 Mann für die Überwachung der Erdölanlagen, Global Risk ist für den Schutz der Mitglieder des Regierenden Rats zuständig, Vinnel bildet die neue irakische Armee aus, Dyncorp die neue Polizei, und Olive beschützt das Führungspersonal der US-Konzerne.
Die Besetzung des Irak hat den internationalen Terrorismus keineswegs abgeschreckt, wie man ursprünglich erwartet hat, sondern mit neuem Elan erfüllt – wie die abscheulichen Anschläge in Casablanca, Riad, Mombassa und Istanbul bezeugen. Dagegen rückt der Aufbau einer Demokratie im Irak mit jedem Tag in weitere Ferne.
Lang ist’s her, dass die „Falken“ im Pentagon verkündeten, man werde die Invasionstruppen als Befreier willkommen heißen. Diese gigantische Fehlanalyse steht am Beginn der fatalen Lage, in der sich die USA heute befinden. Die machttrunkenen Ideologen in Washington – die Cheneys, Rumsfelds, Wolfowitz, Perles und wie sie alle heißen – ließen sich nicht davon abbringen, ihre Militärmaschinerie in Gang zu setzen, um ihren wahnwitzigen Traum von einer „Neuordnung des Nahen Ostens“ wahr zu machen. Dieser Übereifer rächt sich nun. Das Blatt hat sich gewendet.