10.12.2004

1898 kamen die Marsianer

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1898 kamen die Marsianer

JEDERMANN erwartete einen Menschen auftauchen zu sehen. Wahrscheinlich ein wenig von uns irdischen Menschen unterschieden, aber im Wesentlichen doch einen Menschen. Ich wenigstens erwartete es. Aber als ich genauer hinsah, bemerkte ich plötzlich, wie sich im Schatten etwas rührte, grau, in wellenförmigen Bewegungen. Und dann gewahrte ich zwei glühende Scheiben wie Augen. Dann löste sich etwas, das einer kleinen grauen Schlange glich, etwa in der Stärke eines Spazierstockes, aus der sich windenden Masse.

Ein großer, grauer, gedrungener Körper, ungefähr von der Größe eines Bären, erhob sich langsam und schwerfällig aus dem Zylinder. Als er sich aufrichtete und vom Licht beschienen wurde, glitzerte er wie nasses Leder. Mit seinen zwei großen, dunkel gefärbten Augen blickte das Geschöpf mich unverwandt an. Wer nie einen lebenden Marsbewohner gesehen hat, wird sich die grauenvolle Hässlichkeit seiner Erscheinung kaum vorstellen können. Der seltsame, V-förmige Mund mit seiner zugespitzten Oberlippe, die fehlenden Augenbrauen, das fehlende Kinn unter der keilförmigen Unterlippe, das unaufhörliche Zittern des Mundes, die gorgonenartige Gruppe der Fühler, das geräuschvolle Atmen der Lungen in dieser fremden Atmosphäre, die augenfällige Schwerfälligkeit der Bewegungen (ohne Zweifel eine Folge der größeren Anziehungskraft der Erde), vor allem aber die Intensität ihrer ungeheuren Augen – das alles zusammen verursachte eine Übelkeit, als ob man seekrank würde. Es war etwas Schwammiges in ihrer öligen braunen Haut, und in der plumpen Bedächtigkeit ihrer schwerfälligen Bewegungen lag etwas unbeschreiblich Erschreckendes. Schon bei diesem ersten Anblick wurde ich von Abscheu und Grauen überwältigt.“

gekürzt aus: Herbert George Wells, „Krieg der Welten“ (1898, dt. Ausgabe Berlin 1988)

Le Monde diplomatique vom 10.12.2004, von Herbert George Wells