10.12.2004

Künstler dieser Ausgabe: Jan Fabre

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Künstler dieser Ausgabe: Jan Fabre

IN seiner Schulzeit übermalte der Belgier Jan Fabre (geb. 1958) in einer Nacht einen weißen Schuhkarton mit einem Bic-Kugelschreiber – versunken in Zerstörung und Schöpfung zugleich. Durch die blaue Schraffur versieht er den Untergrund – einen Kunstdruck, ein Foto, eine Papierbahn vielleicht – mit einer zweiten Haut, der Haut seiner Gegenwart. Der übermalte Schuhkarton wurde Nr. 1 seines Werkverzeichnisses, die „Bic-Art“ machte ihn berühmt. 1990 umhüllte er in einer großen Performance das belgische Schloss Tivoli mit blau schraffiertem Papier. Noch jedes Mal hat bei ihm die Schöpfung den Sieg über die Zerstörung davongetragen.

Jan Fabre ist Choreograf, Regisseur, Maler, Skulpteur. Seine Kunst verbindet ein eigenes bildnerisches Vokabular: Haut, Käfer, Knochen, aber auch: Gesicht, Hülle, Himmel. Und im Bereich der bildenden Kunst immer wieder: blaue Kugelschreiberhaut und grünschillernde Käferpanzer. Der Skarabäus wurde im alten Ägypten als „Gott, der aus sich selbst entstand“ verehrt, er vertrieb die blaue Stunde und schob die Sonnenscheibe morgens über den Horizont. Mit diesem uralten Symbol der Vergänglichkeit und der Metamorphose verneigt sich Jan Fabre vor seinem Stiefgroßvater Jean-Henri Fabre, der als Insektenforscher auch Skarabäen studierte. Auch hier geht es um die Haut, die beim Insekt eine Hartschale ist, unter der das weiche Innere geschützt ist.

Fabres Zeichnungen und Skulpturen erinnern an seine Theaterarbeit und sein Theater an seine Skulpturen – die Knochen werden zur „Haut“ des Engels, und die toten Käfer, deren Panzer aus thailändischen und malaysischen Nobelrestaurantküchen stammen (denn dort ist der grün schillernde Juwelenkäfer eine Delikatesse), sind als Büste des Jean-Henri Fabre so dicht an dicht geklebt, als würden sie jeden Moment auseinander krabbeln und das Kunstwerk auflösen.

So manifest die Materie, so suggestiv ihr Schillern, so bedrohlich ist die Stimmung, die von diesen Käfer-Agglomerationen ausgeht. Anders als etwa bei Marina Abramovic, die ebenfalls mit theatralischen Mitteln arbeitet und mit der Jan Fabre in Paris am 14. Dezember eine Performance macht, wenden sich seine Körpererkundungen nirgends gegen ihn selbst: „Der Körper ist ein Labor, das manchmal besser denken kann als mein Gehirn“, sagt er. Seine Körper sind verwundbar und gerüstet, empfänglich und abgeschottet. Ob er ein typischer Flame sei? „Listen, Lady. Schauen Sie sich Breughel an. Das ist typisch flämisch und damit auch mein Programm: Man tanzt, feiert, trinkt und genießt das Leben. Exzessiv!“

M. L. K.

Le Monde diplomatique vom 10.12.2004, von M.L.K.