08.05.2009

Von wegen Freihandel

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Von wegen Freihandel

Marokko schloss 1996 im Rahmen der Europa-Mittelmeer-Konferenz (Barcelona-Prozess) ein Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union. Offiziell beruht der im Jahr 2000 in Kraft getretene Vertrag, wie alle Europa-Mittelmeer-Abkommen, auf dem Prinzip der „Gegenseitigkeit“: Marokkanische Industrieerzeugnisse können ungehindert auf den europäischen Markt gebracht werden, Marokko verpflichtet sich im Gegenzug, die Zollschranken für europäische Industrieprodukte abzubauen.

Nachdem die erste Runde der bilateralen Verhandlungen abgeschlossen war, erklärte Bruno Dethomas, Leiter der Delegation der Europäischen Kommission: „Die Unterzeichnung des Vertrags über die Dienstleistungen wird uns einen großen Schritt weiterbringen.“ Bis 2012 soll die Freihandelszone zwischen der EU und Marokko eingerichtet sein. Landwirtschaftliche Produkte aus Marokko sind in Europa derzeit zwar entweder gar nicht oder nur geringfügig zollpflichtig und die Einfuhrpreise sehr niedrig, doch der gesamte Import ist kontingentiert und an strikte Zeitpläne gebunden. „Bei den Industrieprodukten wird das Prinzip der Gegenseitigkeit durchgesetzt, aber bei den Agrarerzeugnissen gelten weiterhin Ausnahmeregelungen“, sagt Najib Akesbi, Professor für Wirtschaftswissenschaften am Institut für Landwirtschaft und Veterinärmedizin. „Anders ausgedrückt: Freihandel gibt es, wenn Marokko kaum Chancen gegen die europäische Konkurrenz hat, und Protektionismus gibt es für exakt die Branchen, in denen wir wettbewerbsfähig wären.“

Mit den USA hat Marokko ein Abkommen geschlossen, das keinerlei Handelsschranken vorsieht, auch nicht im Bereich der Landwirtschaft. Im Januar 2005 wurde es ratifiziert, und seitdem läuft der Count-down: Schritt für Schritt soll sich der marokkanische Markt für die billigen (weil subventionierten) Produkte aus den USA öffnen. Dreizehn Monate war über den Vertrag verhandelt worden – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch das Parlament wurde nicht einbezogen. Als Bürgerinitiativen zu einer Kundgebung aufriefen, um ihr „Recht auf Information“ einzuklagen, schickte der Staat seine Sicherheitskräfte.

Mit der Hinwendung zum Freihandel läuft das Land Gefahr, von Nahrungsmittelimporten abhängig zu werden – und damit vor allem seinen Kleinbauern zu schaden. So gut wie sicher ist, dass die kleinen Erzeuger beim Getreideanbau keine Chance gegen die US-amerikanische und europäische Konkurrenz haben. Landwirtschaftsminister Aziz Akhannouch setzt ohnehin auf Exportprodukte wie Tomaten und Erdbeeren. Das geht aus seinem im April 2008 vorgestellten Plan „Grünes Marokko“ hervor, der die Agrarpolitik des Landes für die nächsten zehn Jahre festlegt.

Im ersten Abschnitt dieses Plans geht es um den „Aufbau eines modernen Agrarsektors“, mit dem Ziel, „eine Landwirtschaft mit hohem Mehrwert, hoher Produktivität zu entwickeln“. Als Hemmschuh gilt dabei der Mangel an geeigneter Anbaufläche, wegen der kleinteiligen Parzellierung des Ackerlands. Dem soll durch ein System der vertraglichen „Anbindung“ kleiner und mittlerer Betriebe an ein „leistungsfähiges Unternehmen“ begegnet werden. Najib Akesbi hat den Eindruck, dass man mit diesem „innovativen“ System eher feudale Abhängigkeitsverhältnisse wiederherstellt.

Im zweiten Teil des Plans wird den Kleinbetrieben immerhin Unterstützung versprochen. Doch für dieses Programm soll nur ein Siebtel der gesamten Mittel ausgegeben werden. Wahrscheinlich geht es nur um soziale Hilfsmaßnahmen, damit sich die sehr kleinen Bauernhöfe, die 70 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe ausmachen, noch eine Weile über Wasser halten können. Und überhaupt, das Wasser: Für die Verwaltung dieser knappen Ressource schlägt der Grüne Plan eine Privatisierung vor – die Betreiber großer bewässerter Plantagen übernehmen die Versorgung in eigener Regie.

Le Monde diplomatique vom 08.05.2009