11.02.2005

Sorgen in Teheran

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Sorgen in Teheran

Von IGNACIO RAMONET

IM Verkehrschaos von Teheran ist von Angst vor einer möglichen US-Militärintervention nichts zu spüren. Keinerlei Hektik auch auf den Flughäfen, wo die Sicherheitsmaßnahmen vergleichsweise lax wirken. Selbst die örtlichen Medien halten sich zurück und widmen ihre Titelseiten anderen Themen: der Reise von Staatspräsident Chatami nach Afrika, dem Prozess gegen Charles Graner, den „Folterer von Abu Ghraib“, oder den Wahlen im Irak.

Doch hinter der scheinbaren Gelassenheit macht sich Unruhe breit. Nur einen Tag nach der Veröffentlichung im New Yorker druckte die iranische Presse den Beitrag von Seymour Hersh über „The Coming Wars“ nach. Der „Krieg gegen den Terror“, so Hersh, werde nach dem Irakkrieg mit einem Angriff auf den Iran seine Fortsetzung finden.

Iranische Regierungsbeamte und Oppositionelle zeigen sich gelassen. Professor Mahmud Kashani, der zur gemäßigten Opposition gehört, weist darauf hin, dass „Washington schon seit 1995 ein Handelsembargo gegen den Iran verhängt hat. Seit Bush an der Macht ist, gehören wir zur ‚Achse des Bösen‘, und die neue Außenministerin Rice hat den Iran vor kurzem als ‚Vorposten der Tyrannei‘ in der Welt bezeichnet. Wir sind ihre Anfeindungen gewohnt. Das Thema Atomwaffen ist nur ein weiterer Vorwand.“

Entschiedener trat der iranische Verteidigungsminister Ali Schamchani am 18. Januar in der Teheran Times den Drohungen aus Washington entgegen: „Unsere Schlagkraft ist so groß, dass kein Land ein Interesse haben kann, uns anzugreifen. Keiner unserer Gegner besitzt genaue Informationen über unsere militärischen Kapazitäten und unsere Fähigkeit zu Überraschungsschlägen. Wir haben in kurzer Zeit Militärgerät produziert, das uns die denkbar größte Abschreckungsmacht verschafft.“

Der Iran hat immer behauptet, sein Nuklearprogramm verfolge ausschließlich zivile Zwecke. Im November 2004 verpflichtete sich die iranische Regierung nach Verhandlungen mit Großbritannien, Deutschland und Frankreich, alle Aktivitäten auf dem Gebiet der Urananreicherung einzustellen.

Israel jedoch ist der Ansicht, dass das iranische Atomprogramm in Kürze den kritischen Punkt erreicht haben wird, von dem aus es kein Zurück mehr gibt. „Wenn nichts geschieht, wird der Iran in spätestens sechs Monaten angereichertes Uran und damit bis spätestens 2008 seine erste Atombombe herstellen können“, behauptete der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, General Aharon Seevi, am 12. Januar. Der Iran besitze mit der Shihab-3 bereits eine Mittelstreckenrakete, die „das Herz Israels“ erreichen könne.

Der Zeitpunkt für Drohungen scheint denkbar schlecht gewählt: Im Juni dieses Jahres stehen im Iran die Präsidentschaftswahlen an, bei denen der Reformer Mohammed Chatami nicht mehr kandidieren kann. Etliche Oppositionelle sind der Ansicht, die Drohgebärden aus Israel könnten dem erschöpften islamischen Regime eine weitere Atempause verschaffen. „Der Machtmissbrauch des radikalen Islam“, meint ein laizistischer Journalist, „hat die Gegenwehr des Volkes herausgefordert. Vor allem die Frauen fordern mehr Demokratie. Die meisten Iraner verfolgten die US-Interventionen gegen das Afghanistan der Taliban und gegen den Irak Saddam Husseins mit Sympathie, weil sie uns zwei Regime vom Hals geschafft haben, die uns zutiefst feindlich gesinnt waren. Die jüngsten Drohungen aus Washington und Israel hingegen stärken die konservativsten Strömungen und fördern die Wahlchancen der reformfeindlichsten Kandidaten. Für die iranischen Demokratie ist das eine Katastrophe.“

Le Monde diplomatique vom 11.02.2005, von IGNACIO RAMONET