11.03.2005

Partys, Gerüchte und Alkoholtests

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Partys, Gerüchte und Alkoholtests

Als der „Achse des Bösen“ zugehörig erklärt, ist der Iran zu einem der brisantesten internationalen Konfliktherde geworden. Die nuklearen Ambitionen des Regimes in Teheran sind zudem Anlass für neue Spannungen zwischen Europa und den USA. Das Land selbst steckt in einer tiefen Krise, die nicht nur an der ökonomischen Stagnation und an der Niederlage der Reformkräfte abzulesen ist. Die Gesellschaft ist wie gelähmt, das Streben nach Freiheit in die private Sphäre abgedriftet. Doch die Widersprüche, die diese Stagnation überdeckt, werden sich auf Dauer nicht austarieren lassen.

Von SUSANNE FISCHER *

MÖCHTEST du deinen Wodka mit Vanille- oder Orangengeschmack?“ Zwischen den Lichtblitzen des Stroboskops und den Schwaden aus der Nebelmaschine kann ich die junge Frau, die nach meinem Getränkewunsch fragt, nur schemenhaft erkennen. „Vanille“, sage ich ihr ins Ohr, da mir jedes Rufen gegen die dominanten Technobeats aussichtslos scheint. Wie Trophäen sind die Literflaschen „Absolut“-Wodka auf der Küchentheke aufgereiht. In der Mitte des großzügigen Apartments zucken drei Männer in Anzug und Krawatte zur Musik, als tanzten sie um das Geschäft ihres Lebens. Daneben schaukeln zwei Frauen giggelnd auf einem Wasserbett.

Ein Abend irgendwo im Norden Teherans, der Hauptstadt der Islamischen Republik Iran, im 26. Jahr nach der Revolution. „Komm zum Abendessen vorbei“, hatte es geheißen, nichts Ungewöhnliches in diesem gastfreundlichen Land, wo Freunde ständig Freunde zu Freunden von Freunden mitbringen.

Die Welt, die sich dann hinter den Wohnungstüren vor allem der wohlhabenderen Iraner öffnet, hat mit dem offiziellen Bild, das die Islamische Republik von sich vermitteln möchte, nur noch wenig gemeinsam.

„Hi, do you speak any English?“, fragt mich ein hochgewachsener Mann, Mitte 30, glatt rasiert, das Haar modisch kurz geschoren, in Jeans, Pullover und Nike-Turnschuhen. Er stellt sich als Finanz- und Immobilienmakler vor, der nach 20 Jahren in den USA „nach Hause“ zurückgekehrt ist. Warum? „Ich hatte das ewige Gehetze in Kalifornien satt. Hier habe ich einfach mehr vom Leben.“ Er blickt zur Tanzfläche hinüber, wo eine Schönheit in bauch- und schulterfreier Bluse gerade einen beeindruckenden Bauchtanz vorführt. „Meine Frau“, sagt er, sie winkt kurz, und er schwärmt: „Wenn du dich an die Spielregeln hältst, kannst du hier wunderbar leben.“

Am Abend zuvor war ich bei Freunden mit der Nachricht empfangen worden: „Hast du schon gehört? In Dailam ist die erste amerikanische Missile runtergegangen.“

Dailam liegt etwa hundert Kilometer nördlich von Buschir, dem iranischen Atomkraftwerk, das mit russischer Unterstützung gebaut wurde und mit Hilfe russischer Uranlieferungen möglichst noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden soll. Auf der Liste möglicher Ziele für einen US-amerikanischen Angriff oder Präzisionsschlag steht der Reaktor Buschir sehr weit oben.

Zwei Tage lang war die Verwirrung über die „Nachricht“ aus Dailam daher ziemlich groß. In den USA zog der Ölpreis an, in Teheran nahmen die Spekulationen kein Ende. War es ein Warnschuss der Amerikaner, um die für die vergangene Woche geplante Vertragsunterzeichnung über die Uranlieferungen der Russen zu torpedieren? Ein illegaler Atomtest? Der Auftakt zur angedrohten militärischen Auseinandersetzung? Oder doch nur ein iranisches Flugzeug, das einen Treibstofftank verloren hatte? Oder tatsächlich, wie es später von offizieller iranischer Seite hieß, eine Explosion am Boden, verursacht durch Bauarbeiten an einer Straße?

Nach zwei Tagen verebben die Gerüchte, zurück bleibt das Unbehagen: Niemand weiß, was wirklich geschehen ist. Und jeder hält alles für möglich – nur die offizielle Version von der Baustellenexplosion glaubt keiner. Die wird abgetan wie ein Märchen aus 1001 Nacht: schön anzuhören, aber fern jeder Wirklichkeit. Warum sollte die Regierung die Wahrheit sagen, wo sie doch das Volk dazu erzogen hat, ständig zu lügen?

„Wunderbar leben“, wie es der US-Rückkehrer nennt, heißt im Iran derzeit vor allem eins: verdrängen. Den Gedanken an einen möglichen Angriff der USA, dem viele junge Iraner keineswegs nur ablehnend gegenüberstehen; die Angst, was aus den zaghaften gesellschaftlichen Fortschritten wird, falls bei den Präsidentschaftswahlen im Juni ein wirklich konservativer Kandidat gewinnt; die Sorge um die Zukunft; die Wirtschaftsmisere; und den Ärger über die allgegenwärtige Korruption.

Die Iraner, besonders die jungen, sind Meister im Verdrängen. Enttäuscht über das Scheitern Präsident Chatamis, der ihrer große Hoffnung auf Reformen verkörperte, wenden sich die jungen Menschen von der Politik ab und ziehen sich ins Private zurück. Die einen flüchten sich in Alkohol und Drogen, andere wählen die Kunst als Ausdrucksmittel, wieder andere machen das große Geld zu ihrem Abgott. In den Einkaufszentren in Teheran bieten Boutiquen europäischer Designermode an, die neuesten Laptops und Riesenfernseher mit hochauflösenden Bildschirmen – und durchaus zu europäischen Preisen. Gekauft wird trotzdem, von einer kleinen betuchten Oberschicht, der es nichts ausmacht, wenn der Preis einer Bluse höher ist als das Monatsgehalt eines iranischen Arbeiters. Der ärmere Teil der Bevölkerung muss allein für den Lebensunterhalt oft vierzehn bis sechzehn Stunden am Tag arbeiten. Da bleibt nur wenig Zeit zum Nachdenken über die Verhältnisse, in denen man lebt. Die Oberschicht hingegen leistet sich Ablenkung in Form von Reisen nach Dubai, von Luxuseinkäufen und ausschweifenden Festen.

Der Englisch sprechende Iraner auf der Party erzählt von den „unglaublichen Chancen“ des iranischen Geldmarkts: „Wenn du Staatsanleihen kaufst, kannst du mit ein bisschen Geschick 18 bis 23 Prozent Zinsen herausholen. Wo gibt es das sonst? Cheers!“ Er verschwindet in Richtung Wodka, und ich nehme mir vor, bei Gelegenheit einen proportionalen Koeffizienten zu ermitteln, der den Zusammenhang zwischen dem Zinsniveau von Staatsanleihen und der Wahrscheinlichkeit eines US-amerikanischen Angriffs darstellt.

Entspannt nimmt die Party ihren Lauf, der Tanz wird immer ausgelassener, Wasserpfeife und Wodkaflaschen machen die Runde. Doch die Angst feiert mit. Das gehört zum Wesen der doppelten Wirklichkeit, zum Leben mit der Lüge: Um die Macht über die ins Private flüchtende Bevölkerung nicht ganz zu verlieren, lassen die Repräsentanten des offiziellen Iran immer wieder ihre Muskeln spielen.

Niemand weiß, wann es wieder soweit ist. Dann verhaften sie ohne jede Vorwarnung mal wieder eine ganze Reihe von Journalisten, Schriftstellern oder Webloggern. Oder sie sprengen, wie vor zwei Wochen im Haus einer Bekannten geschehen, eine Party, verhaften alle Gäste, unterziehen sie einem Alkoholtest, bringen sie ins Gefängnis und führen sie nach zwei oder drei Tagen dem Richter vor.

Wer Glück hat, kommt mit einer Geldstrafe davon. Strenge Richter dagegen weisen der Jugend mit Stockhieben den rechten Weg. „Beim nächsten Mal sind wir dann vorsichtiger. Aber sie können uns nicht aufhalten“, sagt eine junge Frau, die sich nach einer privaten Party plötzlich auf der Polizeiwache und dann für zwei Tage im Gefängnis wiederfand.

Heute Nacht bleiben wir unbehelligt. Gegen ein Uhr ist die Party im noblen Norden Teherans vorbei. Taxis werden gerufen, Kopftücher und Mäntel legen sich schützend über wilde Frisuren und bauchfreie Blusen. Leicht bis mittelschwer angeheitert gleitet einer nach dem anderen in die Außenwelt zurück.

© Le Monde diplomatique, Berlin

* Freie Journalistin in Hamburg. Für das Greenpeace Magazin war sie gerade zwei Wochen im Iran unterwegs. Ihre Reportage über das Leben in Teheran erscheint im April.

Le Monde diplomatique vom 11.03.2005, von SUSANNE FISCHER