15.04.2005

CAMPO DI FIORI

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CAMPO DI FIORI

von Ceslav Milosz

In Rom auf dem Campo di Fiori Körbe Oliven, Zitronen, Wein fließt über das Pflaster Zwischen die Blumenreste. Rosige Früchte des Meeres Schütten die Händler auf Tische, Bündel von dunklen Trauben Fallen auf Pfirsichdaunen.

Auf diesem selben Markte Verbrannte Giordano Bruno, Das Feuer, geschürt vom Henker, wärmte die Neugier der Gaffer. Und kaum war die Flamme erloschen, Füllten sich gleich die Tavernen, Körbe Oliven, Zitronen Trugen die Händler auf Köpfen.

Ich dachte an Campo di Fiori In Warschau an einem Abend Im Frühling vor Karussellen Bei Klängen lustiger Lieder. Der Schlager dämpfte die Salven Hinter des Mauer des Gettos, Und Paare flogen nach oben Weit in den heiteren Himmel.

Der Wind trieb zuweilen schwarze Drachen von brennenden Häusern, Die Schaukelnden fingen die Flocken Im Fluge aus ihren Gondeln. Der Wind von den brennenden Häusern Blies in die Kleider der Mädchen, Die fröhliche Menge lachte Am schönen Warschauer Sonntag.

Vielleicht wird jemand hier folgern, Das Volk von Rom oder Warschau Handele, lache und liebe Vorbei an den Scheiterhaufen; Ein andrer vielleicht die Kunde Von der Vergänglichkeit dessen Empfangen, was schon vergessen, Bevor die Flamme erloschen.

Ich aber dachte damals An das Alleinsein der Opfer. Daran, daß, als Giordano Den Scheiterhaufen bestiegen, Er keine einzige Silbe, Menschliche Silbe gefunden, Von jener Menschheit, die weiter- Lebte, Abschied zu nehmen.

Schon liefen sie, Wein zu trinken, Seesterne zu verkaufen, Körbe Oliven, Zitronen Mit lustigem Lärmen zu tragen. Und schon war er fern von ihnen, Als wären Jahrzehnte vergangen, Als hätten sie niemals gewartet Auf seinen Abflug im Feuer. Auch diese Opfer sind einsam, Bereits von der Welt vergessen, Und fremd ist uns ihre Sprache, Als wär sie vom andern Planeten. Bis alles dann zur Legende Erkaltet und später nach Jahren Auf neuem Campo di Fiori Ein Dichterwort aufruft zum Aufruhr.

Warschau, 1943

IN WARSCHAU

Was suchst du auf den Trümmern der Kathedrale Des heiligen Jan An diesem warmen Tag im Frühling, Poet?

Was denkst du hier, wo der Wind, Von der Weichsel wehend, Den roten Ruinenstaub fortbläst?

Du hattest geschworen, nie mehr Klagelieder zu singen. Du hattest geschworen, nie mehr An die großen Wunden deines Volkes zu rühren, Sie nicht zu einer Reliquie zu machen, Zu einem verfluchten Heiligtum, das die Nachkommen Jahrhundertelang noch verfolgt. Aber das Weinen Antigones, Die ihren Bruder sucht, ist wahrlich über das Maß Des Erträglichen. Das Herz Ist ein Stein, in dem verschlossen steckt Die dunkle Liebe zum Land des äußersten Unglücks Wie ein Insekt.

So lieben wollte ich nicht, Es war nicht meine Absicht. So mitleiden wollte ich nicht, Es war nicht meine Absicht.

Meine Feder ist leichter Als die eines Kolibris. Diese Bürde Übersteigt meine Kraft. Wie soll ich leben in diesem Land, Wo der Fuß über die Knochen Der nicht begrabenen Verwandten stolpert?

Ich höre Stimmen, ich sehe Lächeln. Ich kann nichts Schreiben, weil gleich fünf Hände Nach meiner Feder greifen Und ihre Geschichte zu schreiben befehlen, Die ihres Lebens und die ihres Todes. Bin ich denn dafür geschaffen, Klagelieder zu singen? Ich möchte Feste beschreiben, Lustige Haine, in die mich Shakespeare geführt hat. Laßt doch Den Dichtern den Augenblick der Freude, Sonst geht eure Welt zugrunde.

Es ist Wahn, ohne ein Lächeln zu leben, Zwei Worte zu wiederholen, Die euch, ihr Toten, gelten, Euch, die ihr teilhaben solltet Am Frohsinn der Taten, Gedanken, Des Körpers, des Lieds und der Feste. Zwei gerettete Worte: Gerechtigkeit und Wahrheit.

Krakau, 1945

Fußnote: Der 1911 in Litauen geborene polnische Dichter und Literatur-Nobelpreisträger Ceslav Milosz schrieb während des Krieges in der Illegalität. „Campo di Fiori“ entstand 1943 während des bewaffneten Aufstands im Warschauer Ghetto, „In Warschau“ entstand, als Milosz 1945 von Krakau aus die zerstörte Hauptstadt besuchte. Aus: Ceslaw Milosz, Gedichte, 1933 - 1981, In der Übertragung von Karl Dedecius, Frankfurt (Polnische Bibliothek Suhrkamp) 1982.

Le Monde diplomatique vom 15.04.2005