15.04.2005

Künstler dieser Ausgabe: Ján Mancuska

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Künstler dieser Ausgabe: Ján Mancuska

EIN Waschbecken aus Seife, Kartoffeln aus Schwamm, eine Tasse, nicht aus Pelz, sondern aus Zuckerwürfeln – die Materialien, aus denen der tschechische Künstler Ján Mancuska (geboren 1972) seine Objekte kreiert, sind alltäglich. Er kombiniert reale und künstlich geschaffene Objets trouvés – so in der Hühnchen-Komposition aus Draht und Federbällen, die daran erinnern, dass auch das Brathähnchen einmal geflogen ist. Die Assemblagen von Alltagsgegenständen und -situationen setzen durch die ironisch-poetische Verfremdung ungeahnte Energien frei. Ein Tisch, ein Stuhl, eine Wand – je einfacher die Ausgangsobjekte, desto größer die Assoziationsräume, sagt er. Im realen Sozialismus, in dem Mancuska aufwuchs, hieß es, es komme alles auf den (richtigen) Standpunkt an. In Mancuskas Installationen wird dieser hoch ideologische Satz ironisch gebrochene Wirklichkeit. Da ist die Wand (S. 15), in die hinein in riesigen Lettern ein Text gestanzt wurde, dessen Buchstaben so ausgehöhlt sind wie damals die Buchstaben auf den mit Durchschlag vervielfachten Samisdat-Flugschriften. Der Text auf der Wand ist banal: er beschreibt den Raum hinter der Wand: ein Bild, ein leerer Schrank – ein Speicher eben, den man durch die Löcher sehen kann. Es gibt kein Geheimnis – oder doch? „You never see it all“ – der Titel einer seiner Installationen – ist Programm. Seine Werke kennzeichnet eine hintergründig-heitere Melancholie, die durch die Titel verstärkt wird: „Aus einem befreiten Haushalt“, „Raum hinter der Wand“. Überhaupt die Sprache: Auf der Biennale in Venedig, wo er in diesem Jahr im tschechisch-slowakischen Pavillon vertreten ist, steht die Schrift im Zentrum: Ausgehend von „The cup“ (die Tasse) wird er auf Glasflächen Wortketten aneinander reihen, Assoziationen, die den Betrachter je nach Standort vielleicht von „Tasse“ über „Tee“ zu „Kolonialismus“ oder „ästhetische Neuerungen“ führen. Die Gewalt der Sprache, richtiger des Bezeichnens, sagt er, ist allgegenwärtig. Denn so, wie wir die Dinge benennen, so sehen wir sie. In dem Moment, wo jemand sagt: „Schau mal, da ist ein Gesicht in der Wolke“, sieht die Wolke tatsächlich aus wie ein Gesicht. M.L.K

Le Monde diplomatique vom 15.04.2005, von M.L.K