Fast schon sozialistisch
Tony Merritt, Mitarbeiter bei der kommunalen Obdachlosenfürsorge Community Partnership for Homelessness (CPH), weiß nicht mehr weiter: „Vorher waren wir schon ausgelastet. Aber jetzt können wir niemanden mehr aufnehmen.“ Die Anlaufstelle für Obdachlose, die nicht nur Schlafplätze und Essen anbietet, sondern auch medizinische Versorgung, Einzelfallhilfe oder berufliche Weiterbildung, wurde vor 14 Jahren gegründet. Sie ist der ganze Stolz der Stadtverwaltung von Miami-Dade County.
Zwei Drittel des Jahresbudgets stammen aus den Einnahmen einer einprozentigen Steuer, die Restaurants, Hotels und andere Tourismusunternehmen abführen. Das gibt es sonst nirgendwo in den Vereinigten Staaten. „Fast schon sozialistisch“, sagt Merritt sichtlich amüsiert. Das CPH beschäftigt mehrere Sozialarbeiter, einen praktischen Arzt, einen Zahnarzt und einen Psychologen. Eine ehemalige CNN-Journalistin macht die PR-Arbeit: „Nirgendwo sonst leben so wenig Leute auf der Straße wie bei uns“, sagt sie.
Trotz einer finanziellen Ausstattung, von der so manches Asyl in Europa und anderswo nur träumen kann, hat das CPH in Miami nicht mehr als 400 Plätze in Schlafsälen zu je 80 Betten anzubieten. Wecken ist um 6 Uhr. Im Flügel für die Familien sind Zucht und Ordnung ein wenig gelockert. Der Andrang ist hier besonders groß. Elizabeth von Werne, Leiterin der Sozialstation im CPH, klagt über die zunehmende Zahl von Familien, die nach Arbeitsplatzverlust und Zwangsräumung auf der Straße landen: „Wir haben bei einer Untersuchung im Januar herausgefunden, dass nur 3 Prozent der Familien im CPH als Folge von Alkohol- oder Drogenproblemen obdachlos wurden. So etwas hat es hier noch nie gegeben: Die bei weitem häufigste Ursache ist der Verlust des Arbeitsplatzes. Viele kommen aus dem Norden der USA. Nachdem dort die Fabriken dichtgemacht wurden, zogen sie nach Florida – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Jetzt haben sie nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf.“
Nach einem Bericht der Bundesbehörde National Center on Family Homelessness zählte Florida im März 50 000 obdachlose Kinder.