Brief aus Florida
von Nicholas B. Miller

Es sind neue Töne zu hören in Florida. 2024 kamen fast eine halbe Million Zuzügler hierher, zu 88 Prozent aus dem Ausland, vorwiegend aus Lateinamerika. Anderswo in der Welt mag der Sänger Bad Bunny mit seinem antikolonialistischen Reggaeton-Style schwer angesagt sein. Aber von Miami bis Jacksonville ist jetzt ein anderes Genre allgegenwärtig: Country.
Von den puertoricanischen Restaurants in Orlando bis zum Flughafenbus zwischen Little Havana und Miami Airport habe ich an den unwahrscheinlichsten Orten Country gehört, Hintergrundmusik meist Spanisch geführter Gespräche. Die Musik der weißen ländlichen Anglos erobert neue Fans, die politisch ähnlich konservativ ticken: Migranten in Florida.
Auf meinen Mittagsspaziergängen durch die Straßen der idyllischen Küstenstadt, wo ich Geschichte lehre – St. Augustine, einst Hauptstadt der spanischen Kolonie Florida –, schallen mir die neuen musikalischen Vorlieben schon aus den überdimensionierten Pick-ups entgegen. Am Steuer sitzen meist weiße Männer, die sich mittels zahlreicher Aufkleber als Freunde von Fischfang, Trump und Waffen zu erkennen geben und mit dem ohrenbetäubenden Gewummer ihres Country-Rap die Straße erbeben lassen – gern in Kombination mit „Rolling Coal“, dem absichtlichen Ausstoß markanter tiefschwarzer Abgasschwaden.

Populär geworden ist diese Praxis als umweltpolitisches Statement, ermöglicht durch – unter den meisten anderen Jurisdiktionen verbotenen – Manipulationen am Dieselmotor. Opfer dieser rauchintensiven Form von Schikane sind Hybrid- und Elektroautos, allerdings werden Teslas neuerdings verschont.
In dem demokratisch geprägten Stadtteil von Orlando, in dem ich lebe, wird der Auto-Kulturkampf mit anderen Mitteln geführt: Auf den Teslas ist das Markenzeichen mit Aufklebern unkenntlich gemacht, die so tun, als handle es sich um ein anderes Fabrikat, oder die behaupten: „Den habe ich gekauft, bevor Elon verrückt wurde.“
Der Kulturkampf wird in Florida so lebhaft wie eh und je geführt, wobei sich der Sieg momentan der rechten Seite zuneigt. In den letzten Wochen fragen mich meine Freunde in Europa, warum die US-amerikanische Linke eigentlich bei Trumps revolutionären Akten so passiv bleibt.
Die kurze Antwort ist: Im November haben die Demokraten Schiffbruch erlitten. Kamala Harris schaffte es in ihrem kurzen Wahlkampf nicht, die entscheidenden vier Punkte, mit denen Biden 2020 gesiegt hat, zu einem stimmigen Konzept zu formen: eine interventionistische Industriepolitik, die bei der Arbeiterbewegung gut ankommt; ein reformfreudiger Institutionalismus als Angebot für die von Trump enttäuschten Konservativen; Freundlichkeit gegenüber Großkonzernen, eingedenk der Spenden und der Neigung reicher US-Amerikaner zu den Demokraten; und eine „woke“ Identitätspolitik, die Teile der Parteibasis begeistert und Konservative auf die Palme bringt. Die Parteiführung spürte es im Wahlkampf, dass der letzte Punkt ihre Achillesferse ist. Nach ihrer krachenden Niederlage können die Demokraten sich nun nicht darauf einigen, ob und wenn ja, wie sie das gekenterte Schiff wieder flottmachen sollen.
Für die lange Antwort sei daran erinnert, dass Trump den Eliteunis die Gelder kürzen oder gleich streichen will und dass keine fünf Jahre zuvor viele Linke der Polizei die Gelder kürzen wollten. Seit Beginn des Jahrhunderts sinkt bei Angehörigen aller politischen Lager das Vertrauen in die Institutionen des Landes. Die Black-Lives-Matter-Proteste nach der Ermordung von George Floyd 2020 sind Teil dieses Trends. Zig Millionen Menschen hatten das Gefühl, Amerikas größtes Problem sei institutioneller Rassismus.
Um Forderungen nach der Abschaffung des Polizeiapparats in seiner bestehenden Form zu beschwichtigen, fuhr die Demokratische Partei einen reformistisch-institutionalistischen Kurs und setzte speziell ausgebildete Berater für Diversity-Schulungen und die Einhaltung gleicher Bezahlung und Jobchancen ein. Unter Trump steht das alles immer mehr auf der Kippe – nicht bloß, weil sie den Republikanern nicht passen, sondern auch, weil die Demokraten selbst nicht mehr dran glauben.
„Make America Florida“ – mit diesem Slogan bestritt der für seine Woke-Feindlichkeit berüchtigte Gouverneur Ron DeSantis seine erfolglose Präsidentschaftskandidatur. Die Trump-Regierung machte sich dann dessen politische Errungenschaft zu eigen, bedeutenden Universitäten wegen Wokeness die Mittel zu entziehen: Floridas ruhmreicher „Stop WOKE Act“.
Das Gesetz ist in Florida seit etwas mehr als zwei Jahren in Kraft. Aus dem Curriculum der allgemeinbildenden Lehrveranstaltungen – obligatorisch in den beiden ersten Jahren des vierjährigen Undergraduate-Studiums – wurden Kurse gestrichen, die sich angeblich mit Gender oder Critical Race Theory beschäftigen. Ersetzt wurden sie durch Kurse über die US-amerikanische Verfassungstradition und die westliche Zivilisation – was in einem gewissen Spannungsverhältnis zum aktuellen Geschehen steht. Letztere wurden Mitte des 20. Jahrhunderts geschaffen, um Studierenden die Bedeutung der Verflechtungen mit Europa zu vermitteln.
An den Schulen hat sich ein neuer Brauch zum Schuljahresbeginn etabliert: die Liste der verbannten Bücher. Manchmal ist die Logik dabei offensichtlich, wie bei dem Bilderbuch „Anti-Racist Baby“, das Knirpse über Rassismus aufklären soll und einem inzwischen vorkommt wie ein Relikt längst vergangener Zeiten. Publiziert wurde es 2020 von Ibram X. Kendi, Leiter des seiner baldigen Abwicklung entgegensehenden Center for Antiracist Research der Boston University.
Andere Verbote wirken eher willkürlich – wie bei Kurt Vonneguts Antikriegsklassiker „Slaughterhouse Five“. Andererseits könnte man vor dem Hintergrund, dass die US-Regierung droht, sich „auf die eine oder andere Weise“ Grönland anzueignen und das Pentagon um die Unterbreitung „militärischer Optionen“ für die „Rückgewinnung“ des Panamakanals ersucht, auf die Idee kommen, dass hier ein besonders proaktiver Zensor am Werk war.
Das grundsätzlichere Problem ist aber eher, dass diese Bücher von den Schüler:innen vermutlich sowieso nicht gelesen werden. Bei US-weiten Leistungstests schneiden Floridas Schulen chronisch unterdurchschnittlich ab. Hier kann die Schülerschaft längst ihren Highschool-Abschluss machen, ohne je ein ganzes Buch durchgelesen zu haben. Studierende in meinen Kursen sind oft sehr überrascht, wenn sie als Hausaufgabe ein komplettes Buch lesen sollen.
Bei der miserablen Qualität der – zudem von den Rechten gekaperten – staatlichen Schulen bleiben linken Eltern in Florida kaum Optionen. Eine Freundin, die für Teach for America arbeitet – ein angesehener gemeinnütziger Verein, der Topabsolventen direkt von der Uni für den Schuleinsatz in benachteiligten Gebieten rekrutiert –, will ihre Tochter auf eine Privatschule schicken. Daran will sie, obgleich selbst Produkt des staatlichen Schulwesens von Florida, stramm links und Besitzerin einer komplementär aus Selbsthilfe- und antirassistischen Büchern bestehenden Privatbibliothek, auch dann festhalten, wenn sie – bisher nur hypothetisch – im erschwinglicheren und nördlicheren Ohio leben sollte, das ähnlich republikanisch geprägt ist. Oder als Expat in Kolumbien.
Während einige hier Fluchtpläne schmieden, hält die Zuwanderung nach Florida an. In meinem Bekanntenkreis tragen sich nur diejenigen mit ernsthaften Abwanderungsgedanken, die sehr offenkundig im Fadenkreuz stehen: trans Personen und Kulturwissenschaftler:innen. Doch selbst bei ihnen entfalten die üblichen Bleibefaktoren Familie, Freunde, Arbeit und Wohnung ihre Wirkung. Manche, die in Bundesstaaten zogen, die ideologisch und politisch besser zu ihnen passen, kommen inzwischen sogar wieder zurück: Zwei nach Kalifornien übergesiedelte Kollegen berichten, wie unangenehm es war, während der jüngsten Brände, die ihr Haus nur knapp verschonten, bei der Arbeit Gasmasken zu tragen.
Da die USA inzwischen dabei sind, ein einziges großes Florida zu werden, ist alles andere als ein Exil im Ausland zunehmend sinnlos. In meinen Kursen über Migrationsgeschichte lernen die Studierenden etwas über historische Muster von Migration und über die großen transatlantischen Wanderungsbewegungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Damals erreichte in den USA der Anteil der im Ausland Geborenen einen Höchststand, der erst in dem Jahrzehnt übertroffen wurde, in dem wir jetzt leben.
Manche Studierende betrachten diese Geschichte unter strategischen Gesichtspunkten: Sie reden darüber, wie sie sich perspektivisch den Pass eines Landes verschaffen könnten, dessen Staatsbürgerschaftsrecht auf Abstammung basiert. Die Nachfahren irischer Einwanderer frohlocken, die mit deutschen und neuerdings auch italienischen Wurzeln murren. Viele haben vor, in Europa zu studieren – etwa in Großbritannien und Irland, aber nach Berlin zieht es auch einige. Dagegen wird es unter betuchten US-Amerikaner:innen zum Trend, sich einen zweiten Pass zulegen, um sich gegen politische Instabilität und ökonomische Risiken zu Hause „abzusichern“. Bei Firmen, die sich auf Millionärsmigration spezialisiert haben, zählen sie inzwischen zur Topkundschaft.
Natürlich wollen nicht alle Millionäre die USA verlassen – und wenn Trumps „Gold Card“ Wirklichkeit wird, werden sich bald viele neue Millionäre auf den Weg hierher machen. Auf der Seepromenade in meinem Viertel höre ich viel Portugiesisch und werde daran erinnert, dass in Orlando eine der größten brasilianischen Communitys der USA lebt. In mehreren Edelrestaurants in der Nachbarschaft, auch in einem Sternerestaurant, wird zur Cocktailstunde vor allem Bossanova gespielt.
Am Seeufer ist Samba allerdings seltener zu hören als Sertanejo – das brasilianische Äquivalent zur Country-Musik, das sich wachsender Beliebtheit in rechtslastigen Kreisen erfreut. Neulich erzählte mir ein US-brasilianischer Student, dessen Eltern eingefleischte Lula-Anhänger sind, ihm sei vor ein paar Jahren in einem Publix-Supermarkt, der für sein frittiertes Hühnchen und seine Key Lime Pie (Limettentarte) berühmt ist, Jair Bolsonaro über den Weg gelaufen. In der Tat weilte Bolsonaro 2022 nach einem mutmaßlichen Staatsstreichversuch drei Monate hier in der Stadt. Er erwägt dem Vernehmen nach, Asyl in den USA zu beantragen. Es könnte also sein, dass Mickymaus einen neuen Nachbarn, Donald Trump einen Gesinnungsgenossen und Florida einen weiteren migrantischen Republikaner bekommt.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld
Nicholas B. Miller ist Historiker in Florida.
© LMd, Berlin