10.10.2024

Politik des Schwertes

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Politik des Schwertes

von Jakob Farah

Jordaniens Außenminister Ayman Safadi ist ein Freund klarer Worte. Wenige Minuten nach Israels massivem Luftschlag in Beirut, bei dem Hisbollah-Führer Nasrallah getötet wurde, trat Safadi am Rande der UN-Generalversammlung in New York vor die Presse und verkündete: „Der israelische Premierminister kam heute hierher und sagte, dass Israel von Feinden umgeben sei, die es zerstören wollen. Wir sind hier – Mitglieder des muslimisch-arabischen Komitees, das von 57 arabischen und muslimischen Ländern mandatiert wurde –, und ich kann Ihnen unmissverständlich sagen, dass wir alle bereit sind, die Sicherheit Israels zu garantieren, wenn Israel die Besatzung beendet und die Entstehung eines palästinensischen Staates zulässt.“ Neben Safadi standen seine Kollegen aus Ägypten, Badr Abde­latty, und Saudi-Arabien, Faisal bin Farhan Al-Saud.

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Dass Safadis Worte bei der israelischen Regierung offene Ohren finden, wird niemand ernsthaft erwarten. Netanjahu und seine faschistischen Koalitionspartner haben sich schon lange für einen anderen Weg entschieden. Bereits 2015 sagte der Premierminister in der Knesset: „Sie fragen mich, ob wir für immer mit dem Schwert leben werden – ja!“ Die Politik des Schwertes – man sieht sie seit einem Jahr in Gaza, wo sie weit über 40 000 Menschen das Leben gekostet hat. Und man sieht sie jetzt im Libanon, wo israelische Bomben mehr als 1900 Menschen getötet haben und eine Million, knapp ein Fünftel der Bevölkerung, auf der Flucht sind.

Israels Handeln folgt einer fatalen Logik: Jeder militärische Erfolg eröffnet weitere „Gelegenheiten“, die man nicht verstreichen lassen darf, um den Feind weiter zu schwächen. Das war so im Mai, als die IDF ihre Offensive auf Rafah, den letzten Zufluchtsort in Gaza, startete; das war so nach der Pager-Attacke im Libanon, auf die massive Luftangriffe und dann die Bodenoffensive folgten. Diese Logik der schrittweisen Eskalation ist zum Selbstzweck geworden, zum bloßen Ausschöpfen von Möglichkeiten auf der Grundlage militärischer Übermacht. Langfristige strategische Überlegungen treten komplett in den Hintergrund. Die Netanjahu-Regierung hat keinen Plan, wie es langfristig weitergehen soll, weder in Gaza noch im Libanon und schon gar nicht im Westjordanland. „Fragen sie irgendeinen israelischen Offiziellen, was ihr Plan für Frieden ist. Sie werden keine Antwort bekommen“, sagte Ayman Safadi in New York.

Nach dem iranischen Vergeltungsangriff vom 1. Oktober besteht die Gefahr, dass Israel die Gelegenheit zur weiteren Eskalation mit Iran ergreifen wird, um auch diesen Feind weitestmöglich zu schwächen. Auch in Washington melden sich schon die Hardliner zu Wort, die nun den Moment für eine „Neuordnung des Nahen Ostens“ gekommen sehen. Eine solche „Neuordnung“ würde allein auf dem Recht des Stärkeren beruhen. Und sie würde auch nichts an einer unverrückbaren Realität ändern: Israel wird nur dann friedlich existieren können, wenn es von seinen Nachbarn akzeptiert wird. Und diese Akzeptanz wird es ohne eine gerechte Lösung des Palästina­kon­flikts nicht geben.

Jakob Farah

Le Monde diplomatique vom 10.10.2024, von Jakob Farah