08.05.2024

BlaBlaCar und seine Sponsoren

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BlaBlaCar und seine Sponsoren

Anmerkungen eines kritischen Mitfahrers

von Fabien Ginisty

Mitfahrgelegenheit anno dazumal PAUL ALMASY/picture alliance/akg-images
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Mein Name ist Fabien (4,8/5 – 30 ­Bewertungen). Mein erstes Mal war mit Jean-Luc (4,8/5 – 65 Bewertungen). Das war 2009. Als ich mich anmeldete, tat ich das natürlich nicht wegen eines Dates oder um meinen CO2-Fußabdruck zu verringern. Ich wollte einfach so günstig wie möglich von Toulouse nach Paris kommen.

Jean-Lucs Anzeige auf covoiturage.fr passte zu meinem Terminwunsch und der Preis war unschlagbar. Mit nur drei Klicks wurde ich Nutzer. Der Dienst war kostenlos und man bezahlte den Fahrer in bar.

Heute buche ich per Smartphone meine Fahrten auf BlaBlaCar, wie der Anbieter mittlerweile heißt. Aber warum haben nur so viele Leute wie auch ich den Eindruck, dass wir uns haben reinlegen lassen?

Anfang der 2000er Jahre musste man kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass sich im Internet bald sehr viel Geld verdienen ließe – also auch mit Mitfahrgelegenheiten.

Frédéric Mazzella stieg 2005 in das Geschäft ein. Wohlgemerkt nicht als Erster – einige waren schon seit 1997 dabei. Er kaufte zunächst für 11,84 Euro die Domain comuto.eu, 2006 dann für 2000 Euro covoiturage.fr. Aber er ist noch nicht sichtbar genug. Der französische Anlagefonds Isai investiert 1 Million Euro.

2012 folgt die nächste Kapitalbeschaffungsmaßnahme: Die US-Risiko­kapital­gesell­schaft Accel Partners, die bereits bei Deliveroo und Facebook beteiligt ist, investiert 10 Millionen Dollar. Index Ventures packt noch 100 Millionen Dollar drauf. Und so geht es weiter, beispielsweise 2015 mit einer Finanzierungsrunde über 200 Millionen Dollar.

2021 zählt die Plattform 100 Mil­lio­nen registrierte Nutzer; der Wert des Unternehmens wird auf 2 Milliarden Dollar geschätzt. Heute ist BlaBlaCar das mächtigste Mitfahr-Unternehmen der Welt. So etwas nennt man eine rasante Entwicklung. Aber worauf spekulieren eigentlich die Geldgeber? Darauf, dass wir, die „Community“, aktiv sind. Wie Uber oder Airbnb ist BlaBlaCar Teil des Plattformkapitalismus, den manche immer noch ohne zu zögern „Sharing Economy“ nennen. Ihre Rentabilität beruht mehr oder weniger darauf, dass sie eine marktbeherrschende Stellung einnehmen.

In Frankreich managt BlaBlaCar mittlerweile nahezu alle Angebote und Nachfragen zu Langstrecken. Mit der Garantie gegen Zahlungsausfall oder Stornierungen rechtfertigt BlaBlaCar, dass mittlerweile sowohl die Vergütung des Fahrers als auch die Provision über die Plattform abgewickelt werden. Letztere lag bei ihrer Einführung zwischen 7 und 10 Prozent des mit dem Fahrer vereinbarten Preises, heute kann sie bis zu 30 Prozent betragen.

Auf der TEDx-PanthéonSorbonne-Konferenz betonte der Unternehmensgründer und CEO Mazzella 2012, dass die Vertrauensbildung, die durch diese Provision erst möglich wird, natürlich Kosten verursacht: „Man verliert im Durchschnitt geschätzt über fünf Stunden im Monat, um neue Vertrauensbeziehungen zu neuen Personen aufzubauen. Europaweit gerechnet machen diese fünf Stunden über 400 Milliarden Euro aus.“

Doch mit dem Zeitverlust und dem Misstrauen ist Schluss. Zum einen gibt es kein Zahlungsausfallrisiko mehr, zum anderen besteht dank der Einführung von Ratings nicht mehr die Gefahr, an einen unangenehmen Mitfahrer zu geraten. Man bewertet einander. Gegebenenfalls stellt man einen Missetäter bloß.

Dank des digitalen Zeitalters leben wir bald in einer wunderbaren Welt, wo sich alle vertrauen können, ohne erst Zeit mit langwierigen „echten“ Gesprächen zu verschwenden. Ich persönlich kam mir wie ein Kühlschrank auf Amazon vor, als ich auf meinem BlaBlaCar-Profil las: „Fabien ist sehr angenehm, nur zu empfehlen!!“

Tankgutscheine  von Total

Aber was soll’s, offenbar bilden wir eine „Vertrauensgemeinschaft“ (O-Ton Mazzella). Und „dieses Vertrauen, das durch jahrelange Erfahrungen aufgebaut und in einer Bewertung der ­‚Reputation‘ sowie in persönlichen Kommentaren zusammengefasst wurde, ist ohne langfristige Investitionen kaum reproduzierbar.“ Bestimmt. Und es erhöht die Klickzahlen auf der Webseite, was wiederum gut für die Aktionäre ist.

Man mag erstaunt sein, dass Frankreichs Eisenbahngesellschaft SNCF auch dazugehört: Das zu 100 Prozent in Staatsbesitz befindliche Unternehmen legte 2019 rund 90 Millionen Euro in Comuto-Wandelanleihen an. Sein Anteil an BlaBlaCar liegt bei unter 10 Prozent, hat also nicht viel Gewicht. Aber diese Beteiligung erfolgte just in dem Moment, als die SNCF ihre Tochtergesellschaft für Fernbusse (Ouibus) an BlaBlaCar abtrat. Wenn man dem SNCF-Finanzbericht für 2019 glauben darf, hat der Staatsbetrieb dabei keine Veräußerungsgewinne erzielt. BlaBlaCar hingegen kann jetzt dank seiner Datenbank aus dem Mitfahrgeschäft ermitteln, auf welchen Strecken es sich lohnt, Busse einzusetzen.

BlaBlaCar steht für eine maximale Flexibilisierung, die „Uberisierung“ des öffentlichen Personenverkehrs. BlaBlaCar hat keinen einzigen angestellten Fahrer, kein einziges eigenes Fahrzeug. 2015 schloss BlaBlaCar eine Vereinbarung mit Vinci Autoroutes über reduzierte Mautgebühren für seine Nut­ze­r ab. Vinci ist der größte private Autobahnbetreiber Frankreichs.

Noch interessanter ist aber die Partnerschaft mit TotalEnergies. Lange Zeit bot die Plattform neuen Nut­ze­rn einen Tankgutschein von Total an (wie das Unternehmen bis 2021 hieß). Vor einem Jahr wurde er von einer „Mitfahrprämie“ abgelöst. TotalEnergies zahlt, BlaBlaCar kassiert, und der Staat unterstützt das Ganze mit Hilfe von Energiespar-Zertifikaten (CEE). Das Fördervolumen für dieses Instrument zum Umweltschutz beläuft sich auf rund 5 Milliarden Euro jährlich.

Das System funktioniert ganz einfach: Die Energieversorger müssen Projekte oder Maßnahmen finanzieren, die zur Energieeinsparung beitragen, um ein von der Regierung festgelegtes jährliches Sparziel zu erreichen. Zu diesen Maßnahmen wird auch die ­Förderung von Fahrgemeinschaften gezählt.

Total hat bewusst die Entwicklung von BlaBlaCar gefördert – zum Nachteil von dessen Konkurrenz und mit der wohlwollenden Unterstützung der öffentlichen Hand, welche die Energieeinsparung durch Fahrgemeinschaften weit überschätzt haben soll.

Die Anschubfinanzierung erwies sich als besonders einträglich für die Plattformen: Seit dem 1. Januar 2023 erhält in Frankreich jede Autohalterin, die sich auf einer Mitfahrplattform als Fahrerin registriert, bis zu 100 Euro, die Plattform bekommt nach der ersten Fahrt etwas mehr, und wenn die ­Nutzerin eine bestimmte Anzahl von Fahrten absolviert hat, sogar den doppelten Betrag. Auf diese Weise konnte BlaBlaCar 2023 fast 100 Millionen Euro einstreichen – bei einem weltweiten Umsatz von 253 Millionen in jenem Jahr.

Diese Anreize kommen vor allem Fahrern aus weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten zugute. Denn es sind vor allem Menschen aus den mittleren oder unteren Einkommensklassen – die aber trotzdem die Mittel für Mobilität haben –, die Mitfahrgelegenheiten nutzen und anbieten; zum Beispiel Studierende. Der durchschnittliche Mitfahrer stammt aus einem Haushalt mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 2000 Euro. Jeder vierte Nutzer verdient weniger als 900 Euro im Monat.

Aber warum finanziert der Staat im Namen des Umweltschutzes die Partnerschaft zwischen Total und BlaBlaCar? Was gut ist für BlaBlaCar, ist gut für Frankreich? Bei jedem Bahnstreik steigt die Nachfrage auf der Plattform explosionsartig an. Auf Werbetafeln an den Autobahnen ist zu lesen: „Streik: Bildet Fahrgemeinschaften“. Eine Botschaft, die angeblich im Auftrag der Behörden verbreitet wird.

Aus dem Französischen von Birgit Bayerlein

Fabien Ginisty ist Journalist und Autor von „BlaBlaCar et son monde. Enquête sur la face cachée du covoiturage“, Paris (Le Passager clandestin – L’Âge de faire) 2024, aus dem der vorliegende Artikel entlehnt ist.

Le Monde diplomatique vom 08.05.2024, von Fabien Ginisty