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Angriff auf Israel
Auch erfahrene Nahostexperten wagen nicht einzuschätzen, ob sich der Krieg, den die Hamas mit ihrer Aggression vom 7. Oktober begonnen hat, zu einem größeren regionalen Konflikt ausweiten wird. Unstrittig ist jedoch, dass der umfassende Angriff auf israelisches Territorium eine neue Dimension in einem Konflikt bedeuten, der bislang als „asymmetrisch“ beschrieben wurde.
Die islamistische Hamas hat schon seit längerer Zeit militärisch aufgerüstet. Dabei hat sie das große Raketenarsenal, das ihren Überfall ermöglicht hat, teilweise mit den Geldern aus Katar finanziert, die für den Wiederaufbau der Infrastruktur nach dem siebenwöchigen Gazakrieg von 2014 gedacht waren – mit Billigung der damaligen Netanjahu-Regierung, wie Alain Gresh in einem LMd-Text vom Juni 2021 anmerkt. In seiner Analyse „Die vorhersehbare Katastrophe“ rekapituliert Gresh die lange Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts als eine sich „stets wiederholende Katastrophe“, die die Menschen im Gazastreifen als humanitäre Dauerkrise erleben.
In dieser sozialen Wüste konnte die radikale Hamas ihre politische Macht systematisch ausbauen – auch dank einer strukturellen Korruption, die dem Nepotismus der Fatah-Elite, die im Westjordanland herrscht, in nichts nachsteht, wie Olivier Pironet in LMd vom September 2019 aufzeigt. In seiner Reportage aus Gaza „Gemeinsam gegen Israel“ schildert er die verzweifelte Lage der jungen Generation, die gut die Hälfte der Bevölkerung ausmacht und von der 70 Prozent keine Beschäftigung haben. Schon im Oktober 2017 hatte Sara Roy geschrieben: „Es scheint, als hätten arbeitslose junge Männer in Gaza nur noch zwei Alternativen: entweder einer militanten Organisation beizutreten – oder aufzugeben.“ Ihr Text erschien unter dem Titel „Nichts ist normal in Gaza“.
Eine „Normalisierung“ im Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern ist mit dem Scheitern des Oslo-Prozesses schon vor Jahren in weite Ferne gerückt. Und mit der jüngsten Gewalteskalation schwindet auf absehbare Zeit jede Hoffnung auf eine dauerhafte Konfliktlösung. In seinem LMd-Text über „Trumps Plan für Palästina“ vom März 2020 hat Alain Gresh an einen selten zitierten Satz aus der „Balfour-Deklaration“ erinnert, die erstmals von einer „nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ sprach. Darin postulierte Balfour zugleich, das „nichts geschehen dürfe, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina infrage stellen könnte“.