11.05.2023

Was will die BoerBurgerBeweging?

zurück

Was will die BoerBurgerBeweging?

von Tobias Müller

Audio: Artikel vorlesen lassen

Populistische Parteien gab es seit der Jahrtausendwende etliche in den Niederlanden. Aber noch nie gelang einer von ihnen ein solcher Knalleffekt wie der BoerBurgerBeweging (BBB). Die erst im Herbst 2019 gegründete Partei ist aus den bäuerlichen Protestbewegungen hervorgegangen, die sich gegen die Regierungspläne zur Reduzierung der Stickstoffemissionen in der Landwirtschaft formiert hatten. Die große Beteiligung an den Demonstrationen zeigte, dass das Misstrauen gegen die etablierten Institutionen auch bei der bäuerlichen Bevölkerung verbreitet war. Die BBB hat dieser Protestbewegung auf politischer Ebene ein Gesicht verliehen.

2021 nahm sie erstmals an Parlamentswahlen teil und eroberte einen Sitz in der Ersten Kammer, den die charismatische Mitbegründerin Caroline van der Plas einnahm. Die 55-Jährige war in ihrer Heimatstadt Deventer bis 2018 Mitglied des Christen-Democratisch Appèl (CDA), der tradi­tio­nell stärksten politischen Kraft auf dem Land. Aus den Reihen des CDA kommen auch viele Mitglieder und Abgeordnete der BBB sowie ein Großteil ihrer Wählerschaft.

Bei den Provinzwahlen vom 15. März 2023 lag die BBB dann in allen 12 Provinzen vorn, teils mit großem Vorsprung. Die niederländischen Provinzen sind in etwa vergleichbar mit den Kantonen in der Schweiz oder den deutschen Bundesländern. Ende Mai werden die Abgeordneten die Erste Kammer wählen, die dem deutschen Bundesrat entspricht; die Zweite Kammer ist das direkt gewählte Parlament. In der neuen Ersten Kammer bekommt die BBB 17 von 75 Sitzen – angesichts des fragmentierten Parteienspektrums eine bemerkenswerte Stärke.

Vor allem eine Tatsache verhalf der BBB zu ihrem Triumph bei den jüngsten Provinzwahlen: Im Sommer 2022 rückte die ungelöste Stickstoffkrise erneut in den Fokus. Um die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU zu erfüllen, kündigte die Regierung in Den Haag an, sie wolle die Emissionen bis 2030 halbieren. Dafür sollen Agrarbetriebe, die besonders viel Stickstoff ausstoßen, von der Regierung zu 120 Prozent des Marktpreises aufgekauft werden. Die EU-Kommission hat dafür am 2. Mai gerade grünes Licht gegeben. Es könnte aber auch zu Enteignungen kommen. Dagegen protestierten empörte Bäuerinnen und Bauern, die mit ihren Traktoren die Autobahnen blockierten, Heuballen in Brand setzten und sogar das Haus der Natur- und Stickstoffministerin Christianne van der Wal belagerten.

Die Proteste stießen bei der Hälfte der Bevölkerung auf große Sympathie. Mit den ländlichen Akteuren identifizierten sich alle, die sich von „Den Haag“ vernachlässigt fühlten: die Bevölkerung der Provinz Groningen, wo die Erdgasförderung seit Jahren Erbeben auslöst; die mehr als 20 000 Opfer der „Kindergeldaffäre“ (zumeist Familien mit Migrationshintergrund), die mit ungerechtfertigten Rückzahlungsforderungen des Finanzamts in den Ruin getrieben wurden; das unterbezahlte Pflegepersonal; die mehr als 200 000 arbeitenden Armen; und alle, die unter den gestiegenen Gesundheits-, Energie- und Lebenshaltungskosten leiden.

Für all diese Gruppen waren die Demonstrierenden nicht nur Opfer, mit denen man sich solidarisierte, sondern vor allem ein Vorbild, das zeigte, dass man sich wehren kann. Diese Bewegung ist nach rechts weit offen und ein Tummelplatz für Leute aus dem identitären Spektrum (siehe nebenstehenden Text). Aber es dominiert doch das konservative Element, also Bürger und Bürgerinnen, die von der Politik enttäuscht und dem „System“ entfremdet sind.

Exakt an dieser Stelle des politischen Spektrums ist die BBB angesiedelt. Zur parlamentarischen Stimme eines großen Teils der heterogenen Protestbewegung wurde sie durch die Verklammerung der beiden ersten Bs in ihren Namen: Bäuerliche und bürgerliche Interessen will die BBB verbinden, die sich auch als „Partei der und für die Peripherie“ bezeichnet. Wobei „Peripherie“ nicht nur geografisch, sondern auch sozialökonomisch gemeint ist.

Nach ihrem Wahlsieg vom März 2023 verkündete van der Plas: „Es geht nicht nur um Stickstoff!“ Der sei vielmehr ein Symbol „für alles, was in diesem Land falsch läuft“. Und wer soll die richtige Richtung weisen? Der „gesunde Menschenverstand“, sagt die BBB. Damit positioniert sie sich bewusst in der Mitte der Gesellschaft.

Auch das Parteiprogramm folgt dem Mainstream einer kulturell konservativen Grundströmung, vermischt mit sozialökonomischem Unbehagen.

Rechts von der Mitte und ein bisschen links

So fordert die BBB mehr Polizeikräfte, aber auch mehr und besser bezahlte Pflegekräfte; eine Rückkehr von der heutigen „kommerziellen“ zur alten Standardkrankenversicherung für alle; eine allgemeine Beihilfe für Studierende und die tägliche „gesunde Gratis-Schulmahlzeit“. Und es ist gegen jede Form von Diskriminierung, auch gegen jede „positive“, wozu die Frauenquote gezählt wird.

Einen „Nexit“ lehnt die BBB ab, doch der Einfluss Brüssels soll begrenzt bleiben. Die Stickstoffkrise will sie durch innovative Methoden beenden, Enteignung von bäuerlichem Besitz kommt nicht infrage. Man ist gegen gesetzlich festgelegte Klimaziele, wenn dies dazu führt, dass die Bevölkerung in Zeiten der Inflation zu stark belastet wird. Beim Thema Migration gibt sich die Partei „streng mit menschlichem Maß“: Verfolgte können bleiben, Arbeitssuchende müssen Beschäftigung und Unterkunft nachweisen, „ökonomische Glückssucher“ sind abzuschieben. Völkerrechtswidrige Pushbacks werden eindeutig abgelehnt, dafür soll der Schutz der EU-Außengrenzen verstärkt werden, „um eine neue, inhumane Asylkrise zu verhindern“.

Was die politische Einordnung der BBB betrifft, zeichnet Caroline van der Plas ein nuanciertes Bild: „Wenn man sich ansieht, wie wir abstimmen, liegen wir ein bisschen rechts von der Mitte. Im sozialen Bereich eher links.“ In Anbetracht des Abstimmungsverhaltens im Parlament bezeichnen Tom Louwerse und Simon Otjes, Politologen an der Universität Leiden, die BBB als „Zentrum-rechts-Partei“. Léonie de Jonge und Gerrit Voerman von der Universität Groningen sehen die Partei eher in der Tradition eines „agrarischen Populismus“.

Jetzt stehen für die BBB die Koalitionsverhandlungen in den Provinzen an. Danach müssen sich zahlreiche neue Abgeordnete innerhalb des etablierten Politikbetriebs bewegen, von dem sie sich bisher distanziert haben. Da die Boer­Burger­Beweging erklärtermaßen eine Regierungsbeteiligung anstrebt, wird dieser Schritt für sie nicht so schwierig sein wie für andere Protestparteien. Dennoch bleibt er eine enorme Herausforderung, denn die BBB hat im Wahlkampf ziemlich hohe Erwartungen geweckt.

Es wäre keine Überraschung, wenn Wählerinnen und Wähler, die der BBB aus dem rechtspopulistischen Lager zugelaufen sind, mittelfristig wieder abwandern. Die „Partei der Peripherie“ geht offenbar davon aus, dass ihr aktuelles „Momentum“ sie weiter ins Zentrum tragen wird. Bei den nächsten EU-Wahlen von 2024 will sie als „Farmer Citizen Movement“ antreten. Ein Jahr später wird das neue Parlament in Den Haag gewählt. ⇥Tobias Müller

Le Monde diplomatique vom 11.05.2023, von Tobias Müller