11.09.2009

Der Schüler als Kunde

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Der Schüler als Kunde

Die Bildungsindustrie entdeckt ihre Chancen von Oliver Trenkamp

Schon morgens um halb sieben, wenn die ersten Schüler zum Frühstück trotten und die Wolken noch tief über dem See hängen, knipst Mario Lehmann, Jurist, dunkler Anzug, rosa-blaue Krawatte, sein Kleine-Jungs-Grinsen an. Er sieht dann ein bisschen seltsam aus, wie er sich einreiht in die Mensa-Schlange zwischen zwölfjährigen Jungen, die sich noch den Schlaf aus den Augen wischen, und vierzehnjährigen Mädchen, die sich Frühstücksflocken auf ihren Teller schaufeln. Lehmann wechselt ein paar Worte mit der Kantinenfrau: Die Kollegin krank heute? Na, das werden Sie schon schaffen!

Er klingt wie ein Vorstandschef, der bei den Fließbandarbeitern vorbeischaut, und er sieht auch ein bisschen so aus. Was zählt in Lehmanns Welt, das ist der Wille zur Leistung, ein disziplinierter Optimismus. Eine Mischung aus: Es macht Spaß, mehr zu erreichen als andere. Und: Jeder kann es schaffen, wenn er nur will. Lächeln und Leistung, das ist Lehmanns Botschaft. Und darauf gründet sich sein Unternehmen, das Eliteinternat Schloss Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern, 231 Schüler, fünf Millionen Euro Jahresumsatz. Hier lässt sich besichtigen, wie eine Schule funktioniert, die wie ein Unternehmen denken muss, die sich als Wettbewerber positioniert auf einem wachsenden, aber schwierigen Markt.

Zwar lernt noch immer eine große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in Deutschland an staatlichen Schulen, doch der Anteil der privaten wächst: Allein von 1995 bis 2005 steigerten die Privatschulen ihre Schülerzahl um ein Viertel. Im Schuljahr 2007/2008 lag sie laut Statistischem Bundesamt bei über 900 000; damit besuchte jeder 13. Schüler eine der knapp 5 000 Privatschulen. Bei den Gymnasiasten ist es sogar jeder Zehnte. Das ist im internationalen Vergleich noch immer nicht bedeutend. In anderen europäischen Staaten wie den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Großbritannien ist der Anteil der Privatschüler an der Gesamtschülerschaft weitaus höher. Doch bewegt sich Deutschland in dieselbe Richtung.

Was im Gesundheitswesen bereits geschehen ist, vollzieht sich jetzt im Bildungssektor, wenn auch bislang nicht in gleichem Ausmaß: Die Aufgaben zwischen Staat und Markt werden neu verteilt. Wer mehr als die schulische Grundversorgung will, muss zahlen. Es sieht nicht so aus, als würde sich der Trend verlangsamen oder gar umkehren. Die Anmeldungen liegen Jahr für Jahr deutlich über dem, was die Statistik erfasst, sagen die Privatschulträger. Katholische Privatschulen mussten schon 2002 ein Viertel der Bewerber ablehnen – wegen mangelnder Kapazitäten.

Die Deutschen bekommen weniger Kinder, seit Jahren schon, die Schülerzahlen sinken. Doch Privatschüler gibt es immer mehr. Eine „geradezu beispiellose Expansion“ nennen es die Bildungsforscher Heiner Ulrich und Susanne Strunck aus Mainz. Auch Schulbetreiber Lehmann hat gerade einen neuen Trakt für die Fünft- und Siebtklässler anbauen lassen.

Privatschule, das klingt nach Schuluniform, Morgenandacht und Leistungsdrill. Es klingt nach reichen Eltern, die ihren Kindern einen guten Abschluss kaufen. Es klingt danach, dass sich die Gesellschaft spaltet: in jene, die viel Geld in die Zukunft ihrer Töchter und Söhne investieren, in jene, die das auch gern täten, es sich aber nicht leisten können – und in jene, denen das alles egal ist und die ihre Kinder vor den Fernseher setzen.

Jeder gegen jeden

Schulunternehmer wie Mario Lehmann tragen nicht gerade dazu bei, solche Ängste zu zerstreuen. Er vermarktet sein Internat als Schule für Jugendliche, „die Leistungsbereitschaft mitbringen“, wie es im Prospekt heißt. Seine Schüler sind Kunden, Werbefigur und Produkt zugleich. Deshalb lässt Lehmann den Notenschnitt aller Schüler im Flur aushängen, farblich aufgeteilt in drei Gruppen: rot für die sehr Guten, die am Ende des Jahres als Preis ein Buch bekommen, blau für die Guten, die extra gelobt werden, und schwarz für den Rest. Druck und Wettbewerb gehören zum pädagogischen Konzept. „Hier heißt es: Jeder gegen jeden“, sagt eine Zwölftklässlerin, „jeder will überall der Beste sein.“

Lehmann jedoch legt Wert darauf, keine „kleinen Kampfmaschinen“ zu erziehen, wie er sagt. Die Schüler genössen es, Leistung zeigen zu können. Auch Werte seien wichtig, Teamfähigkeit – ein Argument, das Internatsbetreiber immer gern anführen. Schließlich würden die Schüler später im Beruf auf andere treffen, die nicht so begabt seien. „Den Leistungsstarken muss man erklären, dass nicht alle so schnell denken“, sagt Lehmann. Seiner Familie gehört das weiße Schloss am See samt Bootsanleger, ihr gehören die Mensa im Fachwerkhaus daneben, der Tennisplatz, der Fitnessraum, die Aula.

In Frank Plasbergs Talkshow „Hart aber fair“ hat Mario Lehmann sich mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach gestritten, der es ungerecht fand, dass nur die Reichen in Torgelow lernen dürfen. Aber Gerechtigkeit ist nicht seine Aufgabe, dafür ist der Staat da, meint Lehmann: „Nur weil ich ein Produkt verkaufe, das sich andere nicht leisten können, bin ich doch nicht unmoralisch.“ Porsche sei ja auch nicht unmoralisch.

Seine Schüler fühlten sich wohl mit der Belastung, sagt Lehmann, was auch damit zu tun habe, dass niemand mit wirklich schlechten Noten dabei sei. Sie unterwerfen sich einem engen Stundenplan und strengen Regeln, Drogentests und Alkoholkontrollen inklusive. Die Schüler sitzen höchstens zu zwölft in einer Klasse, rund um die Uhr betreut von 32 Lehrern – im Schnitt einer für sieben Schüler – und 14 Sozialpädagogen. Lehmanns Leute spielen Golf mit ihnen, üben Klavier und geben Kurse in Zeitmanagement. Bis zu zehn Stunden Unterricht am Tag plus Hausaufgabenhilfe, Judotraining, Polo-Ausflug, Debattierklub, Töpfern, individuelle Betreuung und ein besseres Abitur als der Landesdurchschnitt – das ist die Produktbeschreibung.

Torgelow produziert immer neue Superlative: 16-jährige Gedächtnisweltmeisterinnen, die jüngste Abiturientin Deutschlands, die besten Golfspieler Mecklenburg-Vorpommerns, vordere Plätze bei Businessplanwettbewerben und Politikplanspielen. Die Spitzenplätze der Schüler lassen sich gut vermarkten. Regelmäßig schaffen es Lehmanns Wunderkinder in die Medien. Für Werbung gibt Lehmann nach eigenen Angaben 100 000 Euro pro Jahr aus, etwa für Anzeigen im Deutschen Ärzteblatt.

Solche Nobelschulen sind keine neue Idee. Internatsmarken wie Salem und Louisenlund formten hunderte von Karrieren – Golo Mann, Elisabeth Noelle-Neumann, Hildegard Hamm-Brücher und August Oetker gingen hier zur Schule. Neu ist, mit welcher Dynamik der Markt für Privatschulen insgesamt wächst. Zwei bis drei Privatschulen werden pro Woche gegründet. Viele Eltern vertrauen der staatlichen Schule in der Nachbarschaft nicht mehr – und auch nicht mehr dem renommierten Gymnasium am anderen Ende der Stadt. In ihren Augen hat der Staat doppelt versagt: Den Schulen gelingt es weder, ihre Schüler in der Breite zu Spitzenleistungen zu treiben, noch sorgen sie für Gerechtigkeit.

In kaum einem Industrieland hängt der Bildungserfolg so sehr von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland. Aber können es die Privaten tatsächlich besser? Genau weiß es niemand, jedenfalls nicht, was die Leistungen angeht. Die ersten Pisa-Zahlen sprachen noch dafür. Demnach lagen in 14 von untersuchten 17 Ländern die Leistungen von Privatschülern deutlich über denen von Schülern öffentlicher Schulen. Besonders groß war die Leistungslücke in Deutschland, und zwar vor allem beim Lesen. Wirtschaftsverbände und Privatschulen jubelten.

Der Frankfurter Bildungsforscher Manfred Weiß hält das für eine Fehleinschätzung. Er hat die Leistungen von 15-Jährigen an 14 privaten Realschulen und 18 privaten Gymnasien mit der staatlichen Konkurrenz verglichen. Ergebnis: Die Privatschulen sind keinesfalls überlegen. Das gute Abschneiden bei der Pisa-Studie lasse sich leicht erklären: mit der Zusammensetzung der Schülerschaft. Die Schüler stammten oft aus Familien gehobener sozialer Schichten; zudem sei der Anteil der Mädchen traditionell höher, was sich in besseren Leistungen niederschlage.

Auch andere Bildungsforscher sehen keine signifikanten Leistungsvorsprünge der Privaten. Allerdings scheinen Privatschüler zufriedener mit dem Schulklima zu sein und bewerten die Beziehungen zu ihren Lehrern besser. In Sachen Gerechtigkeit ist das Urteil eindeutiger: Der Anteil an Kindern aus bildungsfernen Schichten ist an Privatschulen deutlich geringer, ebenso der Ausländeranteil.

Das Angebot an Privatschulen ist nur schwer zu überblicken. Am weitesten verbreitet sind nach wie vor Konfessionsschulen. Es gibt internationale Schulen wie die Berlin Metropolitan School, an der die Kinder schon früh auf Englisch unterrichtet werden. Das Angebot reicht von Freien Alternativschulen, an denen die Schüler entscheiden, was sie wann lernen wollen und sich mit ihren Lehrern verabreden, bis zu all den Waldorf-Schulen, an denen Kinder in Eurythmiekursen tanzen. Die Preisspanne reicht von rund 50 Euro bis zu mehreren tausend Euro für Nobelinternate wie Torgelow, wo ein Monat rund 2 500 Euro kostet.

Ganz unterschiedliche Anbieter drängen auf den Markt, von internationalen Konzernen bis zu kleinen Elterninitiativen. Selbst Franchise-Systeme und Ketten versuchen sich zu etablieren. „Das Marktvolumen für Privatschulen ist groß“, sagt Philipp Haußmann, Vorstand des Schulbuchverlagsriesen Klett, der sein Geschäftsfeld erweitert hat: Zusammen mit einer Schweizer Firma betreibt der Verlag eine internationale Schule bei Stuttgart und will weitere eröffnen. Wie groß das Marktvolumen tatsächlich ist, lässt sich daran ermessen, dass Eltern in Deutschland 1,2 Milliarden Euro pro Jahr für Nachhilfe ausgeben, wie die Forscher vom Institut für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin ausgerechnet haben.

Geschäftsidee Reformschule

Aber Privatschule, das ist nicht nur ein Geschäftsfeld. Manchmal ist es der Ort, wo der Spagat gelingt zwischen Leistung und Gerechtigkeit. Die Wichern-Schule in Hamburg-Horn ist mit 1 500 Schülern die größte evangelische Privatschule in Norddeutschland. Der kirchenartige Bau aus der Kaiserzeit bietet den Kindern in dem Problemkiez vergleichsweise kleine Klassen, engagierte Lehrer, eine umfangreiche Betreuung und das zu moderaten Preisen. Drei Kinder auf die Schule zu schicken, berichtete Die Zeit, koste etwa 80 Euro monatlich. „Die Wichern-Schule liegt in Horn wie eine Insel der Hoffnung oder wie eine elitäre Unverschämtheit – je nach ideologischer Sicht der Dinge“, schreibt die Wochenzeitung.

Wer Wert legt auf pädagogische Konzepte, Persönlichkeitsentfaltung und freies Lernen, schaut sich oft bei den Privatschulen um, in der Hoffnung, dass es dem Kind dort besser geht. Dafür sind viele bereit, Geld und Engagement zu investieren. Privatschule kann auch ein Labor sein für neue Lernformen. Nicht zuletzt deswegen sind Privatschulen gesetzlich nicht einfach nur geduldet, sondern ausdrücklich vorgesehen. Das Grundgesetz garantiert das „Recht zur Errichtung privater Schulen“. Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: „Eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen ihrer Eltern“ dürfe nicht gefördert werden. Und für Grundschulen gelten weitere Auflagen: Entweder sie sind konfessionell gebunden oder es besteht ein „besonderes pädagogisches Interesse“.

Karl-Heinz Schubert hat den gleichen Beruf wie Mario Lehmann: Geschäftsführer. Er kämpft mit den gleichen Problemen, komplizierten Verwaltungsvorschriften, aufwändigen Finanzierungsplänen, besorgten Eltern. Wie Lehmann schimpft er auf staatliches Missmanagement und preist die Wahlfreiheit. Doch Lehmann und Schubert haben ungefähr so viel gemein wie der Vorstandsvorsitzende von Porsche und der Chef einer Kreuzberger Fahrradwerkstatt. Beide sind Schulchefs und Schulvermarkter, wobei sich Schubert gegen die Bezeichnungen vermutlich wehren würde.

Als der Erste von drei Söhnen zu alt wurde für den Waldkindergarten, suchte Karl-Heinz Schubert nach einer geeigneten Schule. Er glaubte nicht, dass der Staat weiß, was gut ist für seinen Jungen. Ein System, das zentral gesteuert wird, und sei es auf Landesebene, das kann nicht funktionieren, findet er. „Wenn oben ein Fehler passiert, müssen das alle ausbaden.“ Über Alternativ- und Reformpädagogik hatte er einiges gelesen, mit seiner Frau gesprochen, mit Freunden und Bekannten. Er hörte von einer kleinen, freien Grundschule in Biburg, Niederbayern, die sich an den Ideen von Maria Montessori orientiert. Die Kinder lernen in altersgemischten Gruppen, entscheiden in weiten Teilen selbst. „Hilf mir, es selbst zu tun“, ist das Motto, das Schubert gern zitiert. Das Konzept überzeugte ihn, die Familie zog um, der Schule wegen. Sechs Jahre ist das jetzt her.

Schubert engagierte sich im Trägerverein für „Ganzheitliches Leben und Lernen“, sorgte mit dafür, dass die Schule auch eine Genehmigung als Hauptschule bekam, damit nicht nach der vierten Klasse schon Schluss ist mit dem freien Lernen. Die Schule wuchs, brauchte größere Räume, zog ein paar Orte weiter. Schnell stieg Schubert zum Geschäftsführer auf. Jetzt besuchen auch seine beiden jüngeren Söhne die Schule. Man könnte sagen: Die Schule ist sein Leben geworden. Er wühlt sich jetzt hauptberuflich durch Verwaltungsvorschriften, „die kein normaler Mensch durchschaut“, wie er sagt, Baunormen, Lehrpläne, Ausführungsbestimmungen. Allein die Finanzierung!

Denn Privatschulen werden in Deutschland keineswegs nur privat finanziert. Im Gegenteil, einen Großteil des Geldes gibt der Staat. In einigen Landesgesetzen heißen sie deswegen „Schulen in freier Trägerschaft“. Wie hoch der staatliche Zuschuss ist und wie lange eine Schule darauf warten muss, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland, ebenso die Berechnungsformel. Meist ist sie kompliziert und orientiert sich an den Personal- und Materialkosten einer vergleichbaren staatlichen Schule. Wissenschaftler vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln haben ausgerechnet, dass der Staat im Schnitt 3 800 Euro pro Schüler und Jahr beisteuert. An öffentlichen Schulen sind es 4 900 Euro.

Gemeinsinn einerseits, Ausgrenzung andrerseits

Etwa zwei Drittel der tatsächlichen Kosten lassen sich zum Beispiel in Berlin mit staatlichen Mitteln decken, schätzt Tilmann Kern vom Bundesverband der Freien Alternativschulen. In dem Verband sind nach eigenen Angaben 86 Schulen organisiert, dazu kommen zehn „Gründungsinitiativen“, also Eltern, die eine Schule erst noch aufbauen wollen.

Den Rest der Gelder aufzutreiben ist nicht leicht, erklärt Kern: „Man kann ja nicht alles auf die Eltern umlegen.“ Das meiste kommt über Spenden, Kredite, „Leih- und Schenkgemeinschaften“. Sein Verband ist Lobbyorganisation und Beratungsstelle in einem. Für 20 Euro können Eltern auf der Webseite ein „Medienpaket“ bestellen, das helfen soll beim Schreiben des Schulkonzepts, bei Anträgen und Finanzplänen.

Ganz ohne Schulgeld kommen allerdings nur wenige Privatschulen aus. Auch Karl-Heinz Schubert muss Monat für Monat etwa 10 000 Euro zusammenbekommen, was knapp 170 Euro für jeden der 59 Schüler bedeutet. Wie groß die Finanzierungslücke genau ist, erfahren die Eltern auf dem Elternabend. Dann schreibt jeder auf einen Zettel, was er bereit ist zu zahlen. „Die meisten zahlen 180 Euro“, sagt Schubert, manche mehr, manche weniger. Es ist das Modell Solidargemeinschaft. Es funktioniert mal besser, mal schlechter.

Wenn es gut läuft, guckt sich der Staat bei der privaten Konkurrenz ab, wie es besser gemacht wird. Wenn es schlecht läuft, guckt der Staat zu, wie eine Elite sich vom Rest der Gesellschaft abgrenzt. Und wenn es ganz schlecht läuft, guckt sich der Staat ab, wie man ausgrenzt. An einer inzwischen geschlossenen Berliner Grundschule freuten sich auch Eltern, die mit Reformpädagogik nichts anfangen konnten, über die Montessori-Klasse: Dort mussten ihre Kinder nicht neben türkisch- und arabischstämmigen Mitschülern sitzen.

Was aber lohnt sich abzugucken? Gibt es überhaupt Gemeinsamkeiten von Lehmanns Schloss Torgelow und Schuberts Schule für Nachhaltiges Leben und Lernen?

Viele Privatschulen in Deutschland haben sich genau überlegt, wie ihr Profil aussieht – vom Eliteinternat bis zur Montessori-Schule. Wer eine Schule gründen will, muss ein umfangreiches Konzept bei den Behörden einreichen. Das ist mehr als eine bürokratische Hürde: Es zwingt Eltern und Lehrer, mindestens aber den Betreiber, sich auf ein Programm zu einigen, an das sie glauben, für das sie sich engagieren – und das sie für realistisch halten. Kein Unternehmen kann auf dem Markt bestehen, wenn es nicht weiß, was es eigentlich verkaufen will, und ob es tatsächlich in der Lage ist, dieses Produkt herzustellen und zu einem Preis anzubieten, den die Zielgruppe bereit ist zu zahlen.

Zwar hat fast jede staatliche Schule inzwischen ein Schulprogramm, doch oft sind es Pflichtübungen, die das Schulgesetz vorschreibt: „Ansammlungen banalster Dinge“, wie der Bildungsjournalist Christian Füller schreibt. Er hat ein Buch darüber geschrieben, wie Schule funktionieren kann, und Rezepte herausgefiltert. Dazu gehört der simple Rat: „Schreiben Sie ein Schulprogramm.“ Kein abstraktes Grundgesetz, sondern „ein konkretes Papier, das sich auf die Schule vor Ort mit ihren Menschen und Möglichkeiten bezieht“. Gute Schulen erkenne man Füller zufolge daran, dass sie etwas Unverwechselbares haben, dass sie die Regeln der Bürokratie durchbrechen. Fünf Schulen hält er für die besten Deutschlands – es sind alles staatliche. Wenn es mehr öffentlichen Schulen gelingt, sich solche Dinge abzugucken, wenn sie sich bewegen, und Rektoren, Eltern, Lehrer, Schüler mit ihnen, werden sie konkurrenzfähig bleiben. Nicht zuletzt, weil ihr Produkt allen nützt und sie es zu einem Preis auf den Markt bringen, der sich nicht unterbieten lässt.

Oliver Trenkamp ist freier Journalist in Berlin. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.09.2009, von Oliver Trenkamp