11.09.2009

Brief aus Wien

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Brief aus Wien

von Florian Klenk

Lieber Freund, warst du schon einmal in Grinzing, dieser weinseligen Wiener Vorstadt im Schatten der Weinberge? Die Touristen fahren dort scharenweise mit ihren Bussen hin, wir servieren ihnen billigen Wein, die Schrammeln spielen Walzer. Sie fahren betrunken zurück und glauben, das sei Wien.

Ich fahre ja nicht gern nach Grinzing. Diese Backhendlgemütlichkeit ist mir ein Graus. Aber ich hatte neulich die Gelegenheit, in Grinzing einen Abend mit Napoleon zu verbringen.

Wir saßen natürlich nicht in einer dieser Touristenfallen, sondern ein paar Gassen weiter, dort, wo die wahren Operettenkönige unter Weinreben regieren. Napoleon orderte eine dicke Scheibe Extrawurst, die er auf ein großes Butterbrot legte, und spülte die Bissen mit einem Schluck Grünen Veltliner herunter.

Napoleon genoss es, noch ein letztes Mal die Blicke der Leute auf sich zu ziehen. Sie zeigten auf ihn, aber sie wussten nicht mehr so recht, ob sie ihn untertänig mit „Herr Hofrat“ grüßen oder ob sie sich wegdrehen sollten.

Napoleon, lieber Freund, ist der Spitzname des einst mächtigen Wiener Polizeigenerals Roland Horngacher. Schon seine mächtige Leibesfülle strömte Autorität aus. Er war gefürchtet wie ein Feldherr, und er kleidete sich auch so. Bei seinen Streifzügen durch die Stadt trug er einen langen Uniformmantel, den er sich eigens anfertigen ließ. In seinem mit wuchtigen Möbeln vollgeräumten Haus hatte er nicht nur Schlachtpläne und ein Gemälde von Napoleon ausgestellt, sondern auch einen Ölschinken von sich selbst. In einer Vitrine ruhten seine Orden aus besseren Tagen.

Wie einen Feldherr hatte die hohe Politik diesen Wiener Polizeigeneral bis vor kurzem mit Medaillen überhäuft, ihn hofiert und natürlich um allerlei Gefallen gebeten. Er hatte die Drecksarbeit erledigt, als die Haiderpartei mit den Konservativen das Land regierte. Und er war zugleich ein treuer Genosse der Sozialdemokraten, die Wien seit jeher regieren.

Wenn korrupte Bankdirektoren Informationen über dubiose Geschäftsleute forderten, wenn Stadtkaiser zu schnell durch die Stadt rasten, wenn sich die Leserschaft unserer gefürchteten Kronen Zeitung (stell dir vor, sie hat über drei Millionen Leser, dabei haben wir nur acht Millionen Einwohner!) wieder einmal über afrikanische „Drogenneger“ echauffierte – dann war Napoleon zur Stelle. Er räumte auf, er intervenierte, und er sonnte sich dabei in den Medien. Seine Beamten nannten sich „die Prätorianergarde“.

Und jetzt saß der Mann, dem sie in einer Mischung aus Ehrfurcht und Hass begegnet waren, gebrochen beim Heurigen in Grinzing und biss in sein fettes Wurstbrot. Zu 15 Monaten auf Bewährung hatte ihn ein Gericht verurteilt, weil er korrupt war. Er wurde entlassen und getreten von den Medien, die ihm so begeistert aus der Hand gefressen hatten.

Roland Horngacher trank seinen Gespritzten, er lamentierte, schimpfte und erzählte mir etwas über die Korruption, die er selbst erlebt und von der er selbst profitiert hatte. Er fuhr zum Beispiel mit Luxuslimousinen durch die Stadt. Glücksspielunternehmer hatten ihm die Karossen „geliehen“, wie er es nannte. Wenn er in Urlaub fuhr, dann auf Einladung des „Vereins der Freunde der Polizei“ – eines elitären Clubs, der der Polizei mit kleinen Geschenken Freude bereitete und sich solcherart einen privilegierten Zugang zum Staat erhoffte. Sogar der kasachische Botschafter war Mitglied in diesem Verein!

Nein, mein Freund, keine Sorge, es geht hier nicht so zu wie in Italien. Eine Hand wäscht hier nicht die andere. Eine Hand hält die andere.

Doch die Sitten, mein Freund, beginnen sich auch hier zu ändern. Auch Napoleon musste eingestehen, dass das Land einen wie ihn nicht länger dulden konnte. Er musste sein Chefbüro bei der Wiener Polizei an der noblen Ringstaße gegen ein Büro neben einer Puffsauna im Arbeiterbezirk Simmering tauschen, wo er nun als „Rechtsberater“ eines Pokerkasinos arbeitet.

Warum, fragst du, erzähle ich dir so ausführlich von diesem Operettenpolizisten? Nun, Horngacher, dieser Stadtpolizist, ist für mich ein Symbol für die verluderten Sitten in unserem Land. Er war einst ein vorbildlicher Ermittler, er hatte viele große Kriminalfälle gelöst, aber das politische System hier, das hatte ihn verändert.

Du hast ja sicherlich schon gelesen, was hier so los ist. Die deutschen Zeitungen berichten über unsere „Alpenrepublik“ leider nur dann, wenn es wieder kuriose Schwänke zu berichten gibt oder Mädchen in Kellern verschwinden. Wir Österreicher weisen solche „Kritik aus dem Ausland“ dann empört zurück.

Aber ganz unbegründet sind die Berichte ja auch wieder nicht. Unsere Politiker, vor allem die Erben der Haiderpartei, verhöhnen hier so schamlos den Rechtsstaat, wie das bei euch undenkbar wäre. Ein Kärntner Landesfürst nannte zum Beispiel den Verfassungsgerichtshofspräsidenten einen „Kasperl“, und ein anderer fragte seinen Vorgänger, weil der einen ausländischen Namen trägt, „ob der überhaupt eine gültige Aufenthaltsberechtigung hat“. Kranke und verdächtige Asylbewerber sollten hier in ein „Sonderlager“ abgeschoben werden, um sie dem „Endziel der Abschiebung zuzuführen“, wie das ein Zögling Jörg Haiders einmal nannte. Und als hier kürzlich ein Afrikaner brutal gefoltert wurde, schickte das Gericht die Beamten zurück in den Dienst und die christlich-soziale Innenministerin sagte, sie werde sich bei dem Gefolterten nicht entschuldigen, denn der habe mit Drogen gedealt. Und kürzlich wurde ein 14-jähriger Bursche von der Polizei von hinten erschossen. Dabei brach er nur nächtens in einen Supermarkt ein. Als Medien die kritische Frage stellten, ob man so einen Strolch wirklich töten muss, sagte ein Landesfürst, es müsse „Schluss mit der Polizistenhatz!“ sein.

Solche Worte kommen gut an. Denn die Haider-Erben feiern einen Wahlsieg nach dem anderen, obwohl sie in ihren Wahlreden höchste jüdische Repräsentanten als „Terroristen“ oder „Exiljuden“ beschimpfen und behaupten, dass Mohammed ein Kinderschänder gewesen sei. Wenn Wahlkampf ist – und in Wien ist es bald wieder so weit –, dann tauchen Plakate auf, auf denen „Daham statt Islam“, „Pummerin statt Muezzin“ oder „Abendland in Christenhand“ steht.

Das, lieber Freund, ist die Kulisse, vor der auch ein Operettenkönig wie Napoleon mächtig werden konnte. Aber dass er nun beim Heurigen sitzt anstatt im Präsidium der Polizei, das beruhigt mich auch wieder. Denn in Österreich regieren nicht nur die Napoleons. Wenn man mein geliebtes Heimatland genauer betrachtet, dann sieht man auch eine junge Garde von Staatsanwälten und Richtern, die sich dieser Verluderung tapfer entgegenstellen.

In den letzten Monaten haben sie versucht, aufzuräumen in diesem Land. Mal wurde ein mächtiger Society-Graf verhaftet, weil er in Waffenschiebereien verwickelt sein soll. Dann saß der mächtige Bankier Julius Meinl im Gefängnis, weil er tausende Anleger mit dubiosen „Finanzprodukten“ geprellt haben soll. Julius Meinl, der Fünfte, wie sie ihn hier nennen. Stell dir das vor! Der Mann entstammt einer angesehenen Dynastie Wiener Kaufleute. Er rollte mit seinem Bentley durch die Stadt. Und nun musste er 100 Millionen Euro Kaution hinterlegen! Neben ihm in der Zelle saß übrigens der mächtige Boss der ehemaligen Gewerkschaftsbank Bawag und wartet auf sein Urteil. Ein Freund Napoleons übrigens.

Und noch etwas stimmt mich zuversichtlich: Kürzlich erschien ein Informant in meinem Redaktionsbüro. Er überreichte mir zwei Papiersäcke mit Akten aus dem Justizministerium. Darin steckten interne Dokumente aus der sogenannten Weisungsabteilung, die hier politische Strafverfahren besonders genau beobachtet.

Ein Aufschrei ging durch das Land, als ich die Dokumente Stück für Stück veröffentlichte. Ein Politiker, der das Recht brach, sei nicht zu bestrafen, hieß es in den Akten, weil er die „strafrechtliche Tragweite seiner Handlungen nicht ermessen“ konnte. 700 Polizisten, die sich seit Jahren von Lkw-Fahrern bestechen ließen, seien unschuldig, weil die Schmiergelder ja nur kleine Beiträge in die „Kaffeekassa Gendarmerie“ waren. Ein Richter, der sich von einem kriminellen Baulöwen Reisen, Geld und Waffen schenken ließ, sei nicht zu belangen, weil das ja nur Weihnachtsgeschenke unter Freunden seien, so die Begründung.

Nun wird das alles öffentlich, und den Napoleons in diesem Land bläst ein Lüfterl Widerstand entgegen. Das stimmt mich zuversichtlich, weil es zeigt, dass wir hier in Wien, so nahe am schönen Balkan, doch kein balkanisches Staatsverständnis pflegen.

Lieber Freund, wenn du wieder in Wien bist und in einem Reisebus zu den Heurigen gekarrt wirst, dann eise dich los. Spaziere die Weingärten und Gässchen entlang und setze dich in einen dieser unscheinbaren Heurigen. Du wirst dort mit ein wenig Glück unter den Obstbäumen und Weinreben auf immer mehr Napoleons treffen. Zumindest hoffe ich das.

Ein herzliches Servus aus Wien, dein Florian

Florian Klenk ist stellvertretender Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter. Für seine investigativen Recherchen wurde er mehrmals ausgezeichnet. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.09.2009, von Florian Klenk