12.05.2022

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Der Fall des in Großbritannien inhaftierten Julian Assange steht an einem kritischen und für den Wikileaks-Gründer verhängnisvollen Punkt. Am 20. April hat der Londoner Westminster Magistrates’ Court eine Anordnung erlassen, die eine Auslieferung von Assange an die USA dem britischen Innenministerium anheimstellt.

Die Verteidigung Assanges hat nur noch bis zum 18. Mai Zeit, ihre Gründe gegen eine Überstellung vorzubringen. Dann wird Innenministerin Priti Patel ihre Entscheidung fällen. Diese scheint beschlossene Sache zu sein, da Patels Vorgänger Sajid Javid im Juni 2019 dem Auslieferungsbegehren der USA bereits zugestimmt hatte.

Danach wurde die Ausführung dieses Beschlusses allerdings durch ein Bezirksgericht gestoppt, das Assanges Gesundheitszustand in Rechnung stellte. Gegen diese Entscheidung hatte wiederum die US-Regierung Einspruch eingelegt, dem der britische High Court am 10. Dezember 2021 stattgegeben hat. Den Antrag auf Revision dieser Entscheidung hat derselbe High Court am 14. März 2022 zurückgewiesen.

Nach einer Auslieferung an die USA droht dem Wikileaks-Gründer ein Prozess mit 18 Anklagepunkten, die sich fast alle auf den Vorwurf der Spionage beziehen. Wenn er für schuldig befunden wird, könnte er zu einer Gefängnisstrafe von bis zu 175 Jahren verurteilt werden. Die Vorwürfe gegen Assange beziehen sich auf die Veröffentlichung hunderttausender geheimer Militärdokumente und diplomatischer Depeschen.

Diese Dokumente, die Wikileaks unter anderem von der Whistleblowerin Chelsea Manning zugespielt wurden, belegen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, die das US-Militär in der Regierungszeit von Präsident ­George W. Bush bei Einsätzen in Afghanistan und im Irak begangen hat. Zu dem Material gehörten auch Fotos von zwei Reuters-Journalisten, die in Kabul von US-Soldaten getötet wurden.

Assange soll an ein Land ausgeliefert werden, dessen heutige Regierung fordert, die mutmaßlichen russischen Kriegs­verbrechen in der Ukraine vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) untersuchen zu lassen. Dabei behindert Washington den Gerichtshof systematisch bei Ermittlungen über US-Kriegsverbrechen. Die USA haben das Statut des IstGH nicht ratifiziert und versuchen die Funktion des Tribunals durch bilaterale Immunitätsabkommen mit anderen Ländern auszuhebeln.

Eine Verurteilung Assanges hätte fatale Folgen für jede Redaktion, die Informationen aus den Wikileaks-Dokumenten verwendet hat; damit würden weltweit Verleger und Journalistinnen wie auch jede Quelle eingeschüchtert. Deshalb versucht Reporter ohne Grenzen mit einer Petition, die Auslieferung abzuwenden. Darin wird an die Regierung in London appelliert, doch noch ein Zeichen zum Schutz der Pressefreiheit zu setzen. Die deutsche Regierung wird aufgefordert, sich gegenüber den USA und Großbritannien für die Freilassung Assanges einzusetzen.

Die Petition kann unterschrieben werden unter: www.reporter-ohne-grenzen.de.

Le Monde diplomatique vom 12.05.2022