10.02.2022

Aldis Landlust

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Aldis Landlust

von Annette Jensen

Auf dem Hof Stolze Kuh in Stolzenhagen PATRICK PLEUL/picture alliance/zb
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Kurt Zech ist nicht nur der größte Bauunternehmer in Deutschland, sondern steht auch beim Ackerbesitz ganz oben. Allein in Brandenburg baut seine Deutsche Agrar Holding (DAH) auf 20 000 Hektar überwiegend Mais für Biogasanlagen an – eine Fläche, zwei Drittel so groß wie München. Auch andere Milliardäre wie der Möbelfabrikant Bruno Steinhoff, der Heizungshersteller Martin Viessmann oder die Aldi-Familien haben ihre Lust auf Land entdeckt.

Aldi fürchteten Bäuerinnen und Bauern lange vor allem deswegen, weil der Discounter die Milchpreise immer wieder unter die Herstellungskosten drückt. Inzwischen hat die reichste Familie Deutschlands vielen Land­wir­t:in­nen im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen weggezogen – und erhält dafür auch noch finanzielle Unterstützung aus Brüssel. 3,1 Millionen Euro Agrarsubventionen kassiert Aldi pro Jahr.

Vor allem seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 findet Landgrabbing in großem Stil auch in Deutschland statt. Boden ist begrenzt und damit eine sichere Sache, unerlässlich für die Produktion von Getreide, Gemüse und nachwachsenden Rohstoffen. Die Hektarpreise sind in den vergangenen Jahren geradezu explodiert: In Ostdeutschland haben sie sich teils verdreifacht, in einigen Landkreisen Oberbayerns oder Niedersachsens erreichen sie astronomische Höhen von über 100 000 Euro.

Fast ein Drittel der Agrarflächen, die heute verkauft werden, fallen in die Hand von Menschen, die ihr Geld nicht in der Landwirtschaft verdient haben. Wie der Boden verteilt ist, ist intransparent. Die Daten in den Grundbuchämtern enthalten keine Informationen wie zum Beispiel die Steuernummern der Eigentümer. Um sich ein Bild zu machen, hat der Agraringenieur An­dreas Tietz vom staatlichen Thünen-Institut 59 Gemeinden aus der gesamten Republik untersucht. Sein Ergebnis: Mancherorts verfügen fünf Eigentümer über mehr als 75 Prozent der Flächen.

Unter solchen Umständen steigen die Pachtpreise. Aber auch hier mangelt es an zuverlässigen Zahlen. Wer seiner Meldepflicht nicht nachkommt, hat nichts zu befürchten. Tietz schätzt, dass 1000 Euro pro Hektar und Jahr in Niedersachsen inzwischen als normal gelten, auch wenn das Statistische Bundesamt noch etwa 650 Euro ausweist.

Zu den Preistreibern gehören auch die Fleischproduzenten. Zwar halten sie ihre Tiere oft das ganze Jahr über im Stall und benötigen deshalb vergleichsweise wenig Fläche: Kühe, Schweine und Hühner werden überwiegend mit Kraftfutter gefüttert, für dessen Anbau dann allerdings in anderen Erdteilen Abholzung und Landgrabbing stattfinden. Aufgrund von Umweltgesetzen, Gülleverordnung und Steuerrecht ist es für Milch- und Fleischproduzenten jedoch günstig, Agrarland in Deutschland nachweisen zu können. Dafür lohnt es dann häufig auch, sehr hohe Preise zu bezahlen.

Bei alledem auf der Strecke bleiben Gemüsegärtner und Getreidebäuerinnen, die von den Erträgen ihrer Landwirtschaft leben müssen. Obwohl sie hart arbeiten, haben sie keine Chance gegen große Investoren. „Die Bodenpreise haben sich vollständig von der Landwirtschaft entkoppelt. Wir brauchen Vergabekriterien, die sich am Gemeinwohl orientieren“, fordert Julia Bar-Tal, selbst Bäuerin und Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Dass eine Preisdeckelung rechtlich nicht möglich sei, hält sie für Ideologie – in anderen Ländern ginge das ja schließlich auch.

Im Prinzip hat der Staat durchaus Möglichkeiten, beim Verkauf von Agrarflächen Einfluss zu nehmen. Wird ein Flurstück verkauft, ist eine behördliche Genehmigung einzuholen – so schreibt es das Grundstücksverkehrsgesetz vor. Es begründet diese Vorgabe sowohl mit dem Schutz von Landwirtschaftsbetrieben und der Umwelt als auch mit der Ernährungssicherheit. Explizit soll eine „ungesunde Verteilung von Grund und Boden“ verhindert werden.

Doch in der Realität stoßen Großinvestoren nur selten auf Hürden. Manchmal gründen sie rasch einen Ackerbaubetrieb, oder es findet sich niemand anderes, der die hohen Preise zahlen will. Boden ist schließlich nicht transportabel und muss für einen lokal wirtschaftenden Bauern in der Nähe liegen. Hinzu kommt, dass das Grundstücksverkehrsgesetz bei sogenannten Share Deals nicht greift. Steigt ein Investor als Mehrheitseigentümer in eine Agrargesellschaft ein, braucht er für die damit verbundene Übernahme von Wiesen und Äckern in der Regel keine Genehmigung – und spart oft sogar die Grunderwerbssteuer.

Baden-Württemberg ist bisher das einzige Bundesland, das ein eigenes Gesetz verabschiedet hat. Tatsächlich sind die Preise dort deutlich weniger stark gestiegen als anderswo. Zugleich aber blockiert die Regelung auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Kulturland Genossenschaft oder das Ackersyndikat. Sie entziehen landwirtschaftliche Flächen dauerhaft dem Markt und stellen es engagierten Land­wir­t:in­nen günstig zur Verfügung. Weil es sich auch hier um „nichtlandwirtschaftliche Investoren“ handelt, verwehren die Behörden in Baden-Württemberg ihnen den Bodenkauf.

Auch in Sachsen-Anhalt und Brandenburg sind Grundstücksverkehrsgesetze in Planung. In Potsdam arbeiten auch zivilgesellschaftliche Organisationen daran mit. Doch die meisten Weichen sind längst gestellt. Von den 900 000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche, die nach dem Ende der DDR zunächst die Treuhand und danach die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) übernahm, sind nur noch 100 000 übrig. Die neue Bundesregierung hat im Dezember ein Moratorium für Kauf und Verpachtung der letzten BVVG-Flächen erlassen und für 2022 neue Regelungen angekündigt.

Bisher gibt es nur in Nischen einen gemeinwohlorientierten Umgang mit Boden. So hat sich die Kulturland Genossenschaft mit einer halben Million Euro am Kauf eines Hofes in Ostbrandenburg beteiligt. Bald wird der Betrieb Stolze Kuh dorthin umziehen. Bäuerin Anja Hradetzky ist sicher, dass für die Verkäufer mehr drin gewesen wäre – schließlich liegt das Gelände unweit von Teslas Megafabrik. Doch die Aussicht, dass dort weiter gute Landwirtschaft betrieben wird, hatte für die Verkäufer wohl auch einen Wert. Hradetzky freut sich, demnächst endlich so wirtschaften zu können, wie sie es für richtig hält: „Auf dem Pachtland durfte ich nicht mal Schattenbäume für die Tiere pflanzen.“

Im Biosphärenreservat Süd-Ost-Rügen gibt es jetzt ebenfalls eine Chance für ein paar Junglandwirt:innen. „Die Finc Foundation hat 100 Hektar als Verantwortungseigentum gesichert“, berichtet deren Gründer Sebastian Schmidt. Ansonsten dominieren auf der größten deutschen Insel immer mehr Monokulturen. „Das sind neo­feudale Strukturen, wo zwei Geschäftsführer für 15 000 Hektar zuständig sind. In einer solch hochtechnologisierten Landwirtschaft stört jeder Baum“, berichtet der Landschaftsökologe. Das meiste Getreide aus Rügen geht heute billig auf den Weltmarkt, die Wertschöpfung vor Ort ist minimal, das Dorfleben stirbt. Wildtiere gibt es so gut wie keine mehr.

Hunderttausende Bauernhöfe sind in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden. Die, die übrig blieben, wurden immer größer. Inzwischen ist der große Ausverkauf vorbei und ein paar Reiche werden immer reicher, ohne etwas dafür zu leisten. Irgendwann vererben sie dann alles ihren Nachkommen. Ist das die Perspektive in einem demokratischen Staat? „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ So steht es im Grundgesetz. Bisher ist Artikel 15 noch nie angewandt worden. Annette Jensen

Annette Jensen ist freie Journalistin und Autorin.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 10.02.2022, von Annette Jensen