08.04.2021

Gold und Gift in Örencik

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Gold und Gift in Örencik

Unter der AKP-Regierung fallen Dörfer, Wälder und Weiden dem Bergbau zum Opfer

von Ali Çelikkan

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Die Schotterpiste, die zum kleinen Dorf Örencik hinaufführt, schlängelt sich durch dichte Kiefernwälder und lehmfarbenes Ackerland. Der Schnee, der in der Woche zuvor gefallen war, ist schon fast geschmolzen. Kühe versperren den Weg, Hunde bellen. Hinter den Häusern aus Lehm und Ziegeln erhebt sich der schneebedeckte Gipfel des 2000 Meter hohen Eğrigöz. Alles scheint wie vor hundert Jahren, bis kurz vor der Dorfeinfahrt ein Schild am Straßenrand auftaucht: „Zenit Mining, Sperrgebiet“.

In der Erde rund um die westanatolische Stadt Kütahya lagern mehr als 30 unterschiedliche, teils wertvolle Erze. Fast 50 Prozent der weltweiten Bor-Reserven liegen hier im Boden. Gold wird bisher nicht abgebaut. Doch das könnte sich in Örencik bald ändern. In den letzten Jahren hat in der Türkei ein regelrechter Goldrausch eingesetzt. 2019 ist der Abbau um 40 Prozent auf fast 40 Tonnen gestiegen. Derzeit gibt es rund 20 aktive Goldminen, weitere sind im Entstehen.

Im Januar 2020 beantragte Zenit Mining beim Umweltministerium, eine aktuelle Abbaugenehmigung in der Umgebung von Örencik von 93 Hektar auf 668 Hektar auszuweiten. Betroffen wäre das Acker- und Weideland der Dörfer Örencik und Avcılar. Zenit Mining hat bereits versucht, den Dorfbewohnern ihr Land abzukaufen. Ende Dezember 2020 verschickte das Unternehmen 240 Briefe an die Bewohner, in denen es andeutete, man werde beim Ministerium für Energie und natürliche Ressourcen die Enteignung ihres Eigentums beantragen.

In Avcılar haben die meisten ihre Ländereien bereits verkauft, da sie befürchten, bei einer Enteignung durch die Regierung viel weniger Geld für ihr Land zu bekommen. Die Menschen in Örencik hingegen wehren sich gegen den Verkauf und wollen gegen das Unternehmen vorgehen.

Der Ort, an dem sich die Bewohner des 120-Seelen-Dorfs versammeln, ist das Gemeindehaus gegenüber der Moschee. Ein schlichter Raum mit weiß getünchten Wänden, in dessen Mitte ein Heizofen brennt. Vor einem Loch in der Wand hängt ein orangefarbenes Tuch. Draußen krähen Hähne.

Der 25-jährige Uğur Korkunç erzählt, wie der Kampf der Dorfbewohner begann: Bei den ersten Bohrungen vor anderthalb Jahren dachten sie noch, Zenit Mining wolle nur das Wasser testen. Doch dann erklärten ihnen Mitglieder der Umwelt-NGO Tema, dass 250 Meter von ihren Häusern entfernt eine Goldmine entstehen soll und was das für ihr Dorf bedeutet. Daraufhin beschlossen einige, das 80 Kilometer entfernte Dorf Dulkadir zu besuchen, sagt Korkunç: „Das hat uns aufgerüttelt.“

In Dulkadir wurde 1986 eine Silbermine eröffnet. Über hundert Menschen starben im Laufe der Jahre an Krebs, weil Arsen in die Wasserquellen gelangt war. Heute ist Dulkadir ein Geisterdorf, mit weniger als zehn bewohnten Häusern. Auch zum Abbau von Gold werden für den menschlichen Organismus gefährliche Schwermetalle eingesetzt, und das Wasser, das unter Örencik fließt, versorgt noch über 30 weitere Dörfer.

Die Dorfbewohner haben Angst um ihr gutes Wasser

Uğur Korkunç wohnte bis vor Kurzem in einer nahegelegenen Stadt und arbeitete als Aushilfslehrer. Seine ganze Familie lebt aber in Örencik, und auch er wurde hier geboren. Er zeigt auf seine Brille und erklärt, dass er normalerweise Kontaktlinsen trägt, der Staub der Felder ihm aber die Linsen verklebt. Das ist für ihn offenbar der einzige Nachteil am Landleben. Dann beginnt er von den Sommern seiner Jugend im Hochland zu schwärmen: „Wir tranken Tee und aßen Maiskolben. Wir bestellten das Land und bauten alles Mögliche an. Von Honigmelonen bis Kiwis.“ Er spricht über die frische Luft, das gute Wasser und darüber, dass die Menschen hier sehr alt werden.

Die Männer kommen einer nach dem anderen in den kahlen Gemeinderaum und versammeln sich um den Ofen. Der Mukhtar (Dorfvorsteher) Mustafa Baysarı betritt den Raum. Uğur Korkunç deutet auf ihn: „Sein Vater ist 98.“ Der Mukhtar wurde von den Dorfbewohnern gewählt. Er dominiert das Gespräch. Er lebe schon seit 20 Jahren hier, besitze ein halbes Hektar Land und über 20 Rinder. Die Zucht und der Verkauf der Tiere verschaffe ihm ein festes Einkommen. Alles zu verkaufen, würde einen großen finanziellen Verlust bedeuten.

Auch wenn Zenit Mining ihm mehr als die aktuellen 16 000 Lira (etwa 1800 Euro) pro 1000 Quadratmeter böte, würde er nicht verkaufen. Das Geld könne ein „sinnvolles Erbe“ für seine Kinder nicht ersetzen. Ein anderer Mann stimmt zu: „Gold kann man nicht essen.“ Baysarı fühlt sich von den Nachbardörfern im Stich gelassen: „Die werden wegen des Wassers genauso betroffen sein. Sie sollten uns anflehen, unser Land nicht zu verkaufen.“

Baysarı und die anderen haben versucht, die Bewohner der umliegenden Dörfer zu überzeugen, gemeinsam Stellung zu beziehen. Sie haben sich auch an die Lokalpolitiker gewandt. Der Provinzchef der regierenden AKP hat dem Mukhtar erklärt, in welch schwieriger Lage er sich befindet: Wenn er sich gegen die Mine stellt, verspricht, sie zu stoppen, und sie am Ende doch gebaut wird, stünde er als Lügner da. Wenn er die Mine unterstützt, bekäme er den ganzen Hass der Opposition ab, wegen der schlechten Umweltbilanz der AKP. Also hält er sich lieber raus und überlässt die Dorfbewohner ihrem Schicksal. Baysarı ist enttäuscht: „Zwei Drittel von uns haben für die AKP gestimmt!“ Die Menschen aus Örencik setzen ihre Hoffnungen nun auf den Gouverneur von Kütahya. Der habe versprochen, das Dorf zu besuchen. Bisher ist er jedoch nicht aufgetaucht. „Diesen Freitag wird er kommen“, behauptet jemand. Doch ein paar Tage später sagt der Gouverneur seine Reise ab – wegen des schlechten Wetters.

Die Umweltbilanz der regierenden AKP ist in der Tat schlecht. Daran ändert auch die große Show um die staatlichen Aufforstungsprogramme nichts: 2019 wurde der 11. November zum nationalen Aufforstungstag erklärt. Um 11.11 Uhr wurde öffentlich die Pflanzung von 11 Millionen Setzlingen verkündet. Das Regime prahlt immer wieder damit, wie viele Milliarden Bäume man inzwischen gepflanzt habe. Dabei steht es sogar in der türkischen Verfassung, dass jeder gefällte Baum durch einen neuen ersetzt werden muss. Und das gilt natürlich auch für Unternehmen. Das Problem ist allerdings, dass nur etwa 60 Prozent der Setzlinge überleben und zu Bäumen heranwachsen.

Die Waldgebiete der Türkei sind also eigentlich durch die Verfassung geschützt. Seit die AKP an der Regierung ist, werden sie jedoch verstärkt für den Bergbau freigegeben; das ist insbesondere seit 2004 zu beobachten. Damals wurde ein neues Bergbaugesetz verabschiedet, das die Nutzung von Waldflächen für den Bergbau erleichtert hat. Seitdem wurden jährlich doppelt so viele Waldflächen freigegeben wie zuvor.

Nach Angaben der Generaldirek­tion für Forstwirtschaft (OGM) wurden in den letzten 15 Jahren Bergbaulizenzen für mehr als 1000 Quadratkilometer Waldfläche vergeben. Für die Freigabe muss die Regierung lediglich ein „öffentliches Interesse“ feststellen – ein dehnbarer Begriff. In manchen Fällen geht es um eine Mine oder einen Staudamm, in anderen um ein Einkaufszentrum oder eine Moschee. Durch eine Klausel, die im Januar 2021 dem Waldgesetz hinzugefügt wurde, kann der Präsident nun den Status von bewaldetem Land per Dekret ändern, wenn „es keinen Nutzen hat, das Gebiet als Wald zu erhalten“.

Diese Zerstörung bleibt nicht unbemerkt. Es gibt Hunderte lokale Protestbewegungen im ganzen Land. 2020 stand eine weitere Goldmine am Berg Murat, etwa 50 Kilometer südlich von Örencik, kurz vor dem Bau. Das Umweltministerium hatte bereits grünes Licht gegeben. Doch dann formierte sich Widerstand, die Menschen versammelten sich zu Kundgebungen. Eine Klage wurde eingereicht, an der sich sogar die lokalen Vertreter der regierenden AKP und der rechtsextremen MHP beteiligten. Diese beiden Parteien kamen bei der Kommunalwahl im März 2019 zusammen auf 70 Prozent der Stimmen.

Zur Überraschung vieler wurde das Projekt abgebrochen. Ein großer Sieg für die grüne Bewegung in der Türkei. „Am Ende haben wir gesehen, was möglich ist, wenn wir trotz unserer Meinungsverschiedenheiten zusammenarbeiten“, sagt Funda Akcura, Sprecherin der Initiative „Rettet den Berg Murat“. Sie ist sich sicher, dass auch der Protest in Örencik erfolgreich sein wird: „Erfolg ist ansteckend. Diese Menschen kämpfen nicht nur gegen den Goldabbau, sie kämpfen für das Leben. Und dem kann sich niemand in den Weg stellen.“

Akcura lebt in der nahe gelegenen Stadt Uşak. Vor 2018 habe ihre Vorstellung von Umweltschutz darin bestanden, „keinen Müll zu hinterlassen“. Sie wusste nicht einmal, wo der Berg Murat liegt. Das änderte sich, als Nachrichten über die geplante Goldmine die Runde machten. Die gelernte Versicherungsvertreterin wurde zu einer Schlüsselfigur im Kampf für den Schutz der re­gio­na­len Wasserquellen. Für Akcura geht dieser Kampf weit über Parteipolitik hinaus: „Er ist politisch, weil es die Regierungspartei und ihre Mini­ste­rien sind, die die Genehmigungen erteilen. Er geht aber darüber hinaus, weil der Tod, der aus dieser Zerstörung resultiert, alle gleichermaßen trifft, egal welche Partei sie wählen.“

Das Dorf Örencik hat bisher nicht die gleiche Unterstützung gefunden. Die Pandemie macht es auch nicht gerade einfacher: Kundgebungen mussten abgesagt werden, wovon sich Akcura aber nicht aufhalten lässt. Der nächste Schritt sei, von Tür zu Tür zu gehen und mit denen zu sprechen, die bereit sind zuzuhören: „Es fängt mit einer Goldmine an, aber es wird nicht die letzte bleiben. Wenn sie erst mal angefangen haben, dann ist die ganze Re­gion gefährdet.“

Da könnte sie recht haben: 2019 hat ein anderes Unternehmen, das eine Lizenz in Kütahya besitzt, einen Brief an die Generaldirektion für Bergbau und Erdöl (Mapeg) geschrieben und darum gebeten, dass die gesamte Region zur Gold- und Silberabbauzone erklärt wird. Nach Angaben des Ministers für Energie und natürliche Ressourcen, Fa­tih Dönmez, wurden im gesamten Land bislang 133 Lizenzen für den Goldabbau vergeben. Im September 2020 hat die Mapeg Ausschreibungen für über 700 neue Erzminen veröffentlicht. Zu den rund 7700 bestehenden Minen dürften also bald noch weitere hinzukommen.

Seyfi Akçakaya wacht jeden Morgen mit der Sonne auf. Gegen 9 Uhr treibt er sein Vieh auf die Weide. Er lässt die Tiere eine Weile mit einem Hirtenhund allein, um seine Felder zu bewässern. Aber nicht zu lange, sagt er, weil es in der Gegend Schakale gebe. Er steht auf der Bergkuppe, 1000 Meter über dem Meeresspiegel, und überblickt die Hügel, die sein Dorf umgeben. Er trägt einen schwarzen Hut, seine Stiefel sind mit Schlamm bedeckt. Auf seinem Handy studiert er die Pläne für die Gold­mine. Er zeigt auf die gegenüberliegenden Hügel, die mit Kiefern bewachsen sind, und das Ackerland drumherum: „Da drüben werden sie die Anlage bauen.“

Auf 6000 Quadratmetern baut Akçakaya Weizen und Hafer an, auch als Futter für seine Tiere. Er deutet auf einen anderen Hügel, auf dem Tiere grasen. „Dort werden sie das überschüssige Material aus den Minen abladen.“ Fast 1000 Rinder gibt es in diesem Dorf, sagt er. Im Frühjahr seien es sogar 5000, denn dann brächten viele Yörüks, wie die Halbnomaden in Anatolien heißen, ihr Vieh aus anderen Dörfern zum Grasen auf diese saftigen Weiden. Er selbst ist auch Yörük. Seine Vorfahren bewirtschafteten das Land schon vor 500 Jahren.

„Das ganze Dorf wird von der Mine eingekreist werden. Wie sollen wir hier weiterleben?“, fragt er. Sobald das Umweltministerium den Plänen zugestimmt hat, wird sich die ganze Landschaft verändern. Nicht nur die Bäume und das Ackerland werden verschwinden, auch die Fließrichtung der unterirdischen Wasserläufe wird sich ändern. Akçakaya erinnert sich, wie seine Felder überflutet wurden und drei Tage lang unter Schlamm begraben lagen, als die Firma 2019 Beobachtungsbrunnen grub.

Zenit Mining muss in Zukunft das Wasser beobachten, um zu prüfen, ob das Cyanid, das zur Auswaschung des Goldes notwendig ist, in den Boden sickert. In der Türkei werden jedes Jahr 4500 Tonnen Cyanid in Goldminen eingesetzt. Akçakaya hat allerdings wenig Vertrauen in die Firma: „Vielleicht würden sie uns nicht einmal sagen, wenn das Wasser mit Schwermetallen oder Cyanid verseucht ist.“

Das Tavşanlı Hotel liegt eine halbe Stunde außerhalb von Kütahya. Ein Mann sitzt in der Lobby, die durch vier zusammengeschobene Tische zum Konferenzraum umfunktioniert wurde. Der Raum ist in gelbes, schummriges Licht getaucht. Ersin Camkıran ist für das Kommunikationsmarketing des Kütahya-Projekts von Zenit Mining zuständig. Heute sollen die Leute, die in den Dörfern Land besitzen, vorbeikommen, um es dem Bergbauunternehmen zu verkaufen. Jeder, der bereit dazu ist, kann hier die Dokumente unterschreiben und sein Geld sofort in bar mitnehmen. Wer sich weigert, dem droht die Enteignung durch die Regierung.

Camkıran sitzt schon den ganzen Tag in der Lobby und wartet auf die Landbesitzer. Nur zwei Leute seien gekommen, nicht um zu verkaufen, sondern nur um sich zu informieren. Der Rest boykottiert das Treffen. Die Leute aus Örencik hatten überlegt, eine Kundgebung vor dem Hotel zu organisieren. Um nicht gegen die Corona-Maßnahmen zu verstoßen, haben sie sich dagegen entschieden.

Ersin Camkıran will erst die Zustimmung seines Chefs einholen, bevor er ein Interview gibt. Dann beginnt er zu erklären, dass es für Zenit Mining eigentlich keinen Unterschied macht, ob die Dorfbewohner verkaufen oder nicht, aber man wolle einen anderen Weg gehen als die anderen Unternehmen.

Wer nicht verkauft, wird enteignet

„Wir wollten die Enteignung nicht einfach erzwingen. Wir sind zu den Dorfbewohnern gegangen und haben sie gefragt, ob wir etwas für sie tun können – finanziell. Wir wollen, dass sie von all dem profitieren.“ Er argumentiert, dass die Mine viele Arbeitsplätze schaffe. Drei Personen aus Avcılar seien bereits bei ihnen beschäftigt, sagt Camkıran, und verwahrt sich dagegen, dass die Briefe, die die Dorfbewohner zum Verkauf ihres Landes drängen, eine Drohung gewesen sein sollen.

Er ist ein guter Redner. Man hört, dass er seit elf Jahren im Bergbaugeschäft ist. In einem Bericht über den Umwelteinfluss, den das Unternehmen erstellt hat, heißt es, dass in dem Gebiet nur 2000 Bäume stünden. Die Zahl der Einwohner von Örencik wird mit 69 angegeben, in Wirklichkeit leben dort in den Sommermonaten, wenn die Yörüks kommen, mehr als 500 Menschen.

Doch Camkıran weist Kritik an den gefälschten Zahlen zurück: „Wir gehen nicht hin und zählen jeden Baum, wir klopfen auch nicht an jede Tür, um zu sehen, wie viele Menschen dort wohnen. Es gibt staatliche Datenbanken, denen wir die Zahlen entnehmen.“

Sein Telefon klingelt inzwischen zum dritten Mal, Coşkun Kuzum, sein Chef, will sich über Lautsprecher in das Gespräch einschalten: Er findet diese ganze David-gegen-Goliath-Rhetorik ein wenig übertrieben. Die Dorfbewohner würden gar nicht allein gelassen, es gebe Umwelt-NGOs und Gerichtssäle. „Wir haben das am Berg Murat gesehen. Dieser Fall hat gezeigt, dass es in diesem Land Gesetze gibt, die funktionieren.“ Bei Fragen nach den Auswirkungen einer möglichen Cyanidvergiftung wiegelt er ab: „Nichts für ungut, aber ich gehe davon aus, dass Sie keinen Abschluss in Ingenieurswissenschaften haben“, antwortet er. Den Austritt von Cyanid zu verhindern, sei sehr einfach.

Cyanid ist nur eine der Bedrohungen, denen das Dorf ausgesetzt ist. Ören­cik gilt als Erdbebengebiet der Stufe 1. In der Gegend verlaufen gleich zwei tektonische Bruchstellen. 1970 starben bei einem Erdbeben in der nahe gelegenen Stadt Gediz mehr als 1000 Menschen, 80 000 wurden obdachlos. Und die Sprengungen, die nötig sind, um an das Gold zu kommen, werden den Bereich um die Mine quasi in ein permanentes Erdbebengebiet verwandeln – die einstöckigen Lehmziegelhäuser sind schon jetzt in einem schlechten Zustand.

Zeliha Aksaz, die Kreisvorsitzende der sozialdemokratischen CHP in Kütahya, ist überzeugt, dass diese Gefahr allein Grund genug wäre, das Projekt abzusagen: „Es gibt zu viele Argumente dagegen, ich glaube, dass Örencik gerettet werden kann.“ Die Gynäkologin sitzt in ihrer Praxis im Zentrum von Kütahya. Sie erzählt von den Leuten, die sie in Avcılar getroffen hat, dem Dorf, das sein Land an die Minengesellschaft verkauft hat: „Sie haben das Geld genommen und es aus­gegeben. Jetzt bereuen sie, was sie getan haben. Sie werden alle wegziehen müssen, sobald die Mine in Betrieb ist.“

Dass sie von den Arbeitsplätzen profitieren werden, die Zenit Mining in Aussicht gestellt hat, glauben die Leute von Örencik nicht. Cihan Sungur hat kurzzeitig in einer Goldmine in der Nachbarstadt Balıkesir für Zenit gearbeitet. Der junge Mann erzählt, dass die meisten Leute, die dort arbeiten, entweder Ingenieure sind oder wissen, wie man Maschinen bedient. Solche Qualifikationen haben die Menschen in Örencik nicht. Im Dorf leben hauptsächlich alte Menschen, die meisten jungen sind in die Stadt gezogen, um Arbeit zu finden.

Zenit Mining schafft keine sicheren Jobs

Uğur Korkunç, Seyfi Akçakaya, sein Neffe Mustafa und Cihan sind dageblieben, denn sie lieben ihr Dorf und die Umgebung. Sie sind sich einig, dass Zenit sie höchstens zeitlich begrenzt als Bauarbeiter, Wachmann oder Reinigungskraft beschäftigen würde. „Und wie viele davon können sie brauchen?“, fragt Korkunç. Nach einer kurzen Autofahrt und einem Marsch die steile Böschung hinauf, stehen wir vor dem Eingang einer Höhle. Drinnen im Dunkeln liegen große Knochen, Wasser rieselt an den Wänden herab. Stalaktiten hängen über Stalagmiten. Seyfi Akçakaya nimmt einen Knochen in die Hand: „Der gehört zu einem menschlichen Schädel.“ Dann hebt er einen Stein auf: „Schau, das ist auch ein Erz, das ist Quarz.“

Korkunç wünscht sich, dass „diese Höhle von Touristen besucht wird, stattdessen werden die Explosionen sie zum Einsturz bringen“. Er erzählt die Geschichte, die ihm sein Vater erzählt hat: Sein Urgroßvater habe sich hier während der Revolutionskriege in den 1920er Jahren versteckt, als die Griechen in den Westen der heutigen Türkei einfielen: „Sie haben sich in diese Höhle gerettet.“ In der Gegend gebe es Hunderte Höhlen, die nur darauf warten, entdeckt zu werden, sagt Akçakaya. Und auch vor dem Höhleneingang scheint alles, was das Auge sieht, schützenswert: die Wacholderbäume, die wilden Beeren, die Korkunç von einem Busch pflückt und zum Naschen anbietet, der kleine Bach, der unten im Tal fließt.

Das Wasser von Örencik ist von bester Qualität, ein knappes Gut war es schon immer. Ein alter Mann im Dorfzentrum erinnert sich, wie er als Kind manchmal zu den Schreinen auf den Hügeln hochkletterte, um zu beten, dass es endlich regnet. In den letzten Jahren hat sich die Situation noch verschlimmert: Aufgrund der Klimakrise leidet nicht nur Örencik, sondern die gesamte Türkei unter einer massiven Dürre. Die Wasserpegel in den Stau­seen sind auf den niedrigsten Stand seit 15 Jahren gesunken.

Uğur Korkunç steht vor dem Haus seiner Familie, neben ihm seine Mutter Ayşe. Er erzählt, dass es kaum noch schneit oder regnet: „In einem Dorf in der Nähe ist schon jetzt der Wassertank leer. Das ist im Januar noch nie passiert.“ Ayşe Korkunç lebt schon ihr ganzes Leben in Örencik, auch sie weiß nicht, wie es weitergehen soll: „Auf der einen Seite die Dürre, auf der anderen diese Bergbaufirma. Was sollen wir tun?“

Für sie und alle anderen im Dorf gebe es keine Alternative. Sie sagt, sie pflanzten gerade genug an, um sich zu ernähren. Die Tiere, die sie besitzen und von denen sie abhängig sind, könne sie im Moment nicht hüten, weil sie sich um ihre frischoperierte Mutter kümmern muss.

Dann erzählt sie von ihrer Verwandten, die in Düsseldorf lebt und jeden Sommer hier Urlaub macht. Letztes Jahr konnte sie nicht kommen und wer weiß, wie das Dorf im nächsten Sommer aussehen wird? Was ist, wenn sie das Wasser vergiften und die Häuser durch die Explosionen einstürzen? Was, wenn auch Örencik zu einem Geisterdorf wird? Korkunç wiederholt immer wieder denselben Satz: „Wohin sollen wir dann gehen, Bruder, wohin sollen wir dann gehen?“

Ali Çelikkan ist Journalist.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 08.04.2021, von Ali Çelikkan