Sozi Joe
von Serge Halimi
Drei Tage vor Donald Trumps Amtsantritt im Januar 2017 warnte Chinas Präsident Xi Jinping in Davos die USA vor einer Politik des Protektionismus. Heute ist es die von US-Präsident Joe Biden vorangetriebene aktive Konjunkturpolitik, die die chinesische Führung alarmiert. Sie sieht darin ein „systemisches Risiko“ für die globale Wirtschaftsordnung.
In der Tat haben die USA gerade eines der sozialsten Gesetze ihrer Geschichte verabschiedet. Sie weichen damit von dem Wirtschaftskurs der letzten Jahrzehnte ab, der die Interessen des Kapitals – der Start-up-Unternehmer und Rentiers – begünstigt und die Verarmung der Arbeiterklasse beschleunigt hat. Biden bricht mit einer Politik, die von der Angst vor einer neuen Inflation und steigenden Schulden getrieben war. Sie versucht nicht mehr, das neoliberale Lager mit Steuersenkungen zu bedienen, die am Ende nur die Börsen beleben und die Spekulation anheizen.
Neben dem 1,9 Billionen Dollar schweren Coronahilfspaket (fast 10 Prozent des BIPs) will Biden im nächsten Jahrzehnt 3 Billionen Dollar in Infrastruktur, saubere Energie und Bildung investieren.
Obamas ehemaliger Vizepräsident scheint seine Lektion gelernt zu haben. Im Gegensatz zu seinem früheren Chef, der im Gefolge der Finanzkrise 2007/2008 die Chance verpasst hat, einen neuen New Deal voranzutreiben. In seiner 2020 erschienen Autobiografie rechtfertigt sich Obama wie folgt: „Angesichts einer Weltwirtschaft im freien Fall war meine Aufgabe Nummer 1 nicht, die Wirtschaftsordnung umzubauen, sondern weitere Katastrophen zu verhindern.“ Damals verordneten sich die europäischen Staaten – in panischer Angst vor neuen Schulden – ein Jahrzehnt der Austeritätspolitik, die auch vor der Einsparung von Krankenhausbetten nicht zurückschreckte.
Der progressivste Aspekt des Biden-Plans ist seine Universalität. Über 10 Millionen US-Bürger mit einem Jahreseinkommen unter 75 000 Dollar haben bereits einen neuen Scheck über 1400 Dollar erhalten. Das ist neu gegenüber der Sozialpolitik der meisten westlichen Staaten, die seit 25 Jahren dabei sind, die Bedürftigkeit immer enger zu definieren und die Empfänger staatlicher Leistungen permanent zu überwachen und demütigenden Auflagen zu unterwerfen. Und wer keine Unterstützung erhält, obwohl er oder sie bedürftig ist, beginnt die öffentlichen, aus Steuern finanzierten Maßnahmen zu hassen, von denen andere profitieren. Am Ende werden alle, die noch weniger haben, als Betrüger und Schmarotzer verdächtigt.
Die Coronakrise hat dieser üblen Nachrede – auch seitens einiger Medien – ein Ende bereitet. Den vielen Angestellten und Selbstständigen, die ihren Job verloren oder ihr Geschäft aufgegeben haben, ist auch mit viel bösem Willen kein Vorwurf zu machen. Nach einer Studie von Boston Consulting haben in einigen reichen Ländern 60 Prozent der Empfänger von Coronanothilfe noch nie öffentliche Gelder erhalten. Der Staat unterstützt sie, „egal was es kostet“ und ohne sie auseinanderzusortieren. Bidens Kurs stößt fürs Erste auf wenig Kritik – wenn man von der Wirtschaftspresse und der Volksrepublik China absieht.
⇥Serge Halimi