11.02.2021

Twitter als ­Zensor

zurück

Twitter als ­Zensor

von Serge Halimi

Audio: Artikel vorlesen lassen

Wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit, als selbst ein Teil seiner republikanischen Getreuen ihn schon verlassen hatte, entschloss sich Twitter, Donald Trumps Konto zu schließen. Und Facebook entschied, ihn auf „unbestimmte Zeit“ zu sperren. Dabei waren seine Übeltaten nicht mörderischer als die der CIA oder anderer Staatschefs, deren Konten nie bedroht waren. Und Trumps falsche Behauptung, er sei um den Wahlsieg betrogen worden, war nicht schlimmer als ein Tweet, in dem er Nordkorea mit nuklearer Vernichtung drohte.

Von der Hate Speech, der die Internetplattformen Trump nun bezichtigen, haben sie lange Zeit gewaltig profitiert. Außerdem sind Trumps Hassreden bei Weitem nicht so tödlich wie die verbrecherische Hetze, die dieselben „sozialen“ Medien in Myanmar oder Indien gegen muslimische Minderheiten verbreitet haben.

Twitter und Facebook glänzen weder durch kohärentes Handeln noch durch Mut. Die Plattformen wurden mit unendlicher Nachsicht behandelt. Daraus haben sie gelernt, dass sie alles dürfen. Dass sie nun dem US-Präsidenten das Maul stopfen konnten, macht deutlich, welch eine schwindelerregende Macht sie erlangt haben. Die Empörung der amerikanischen Rechten ist groß, dabei möchte man ihnen entgegenhalten: Ihr habt doch gefordert, dass der Staat weder die Macht der Unternehmen noch den Reichtum ihrer Eigentümer einschränken dürfe, weil sie durch die freie Wahl der Konsumenten legitimiert seien. Heute seid ihr selbst die Opfer dieses „Marktpopulismus“.

Der erste Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten schützt die Meinungsfreiheit gegen die Zensur durch staatliche Stellen, nicht aber gegen private Unternehmen mit Monopolstellung. Es ist ihre „Meinungsfreiheit“, euch zum Schweigen zu bringen. Wehe den Besiegten, alle Macht GAFAM (Google, Apple, Face­book, Amazon, Microsoft)!

Aber da ist noch eine andere Gefahr. Um uns vor ihr zu schützen, nehmen wir sogar in Kauf, dass unsere grundsätzlichen Freiheiten ausgesetzt werden. Der Krieg gegen Terror, Rassismus, Antisemitismus und „Separatismus“ ist noch lange nicht beendet, geschweige denn gewonnen, wenn die Besiegten öffentlich kapitulieren. An seine Stelle tritt ein nicht enden wollender, immer strengerer Ausnahmezustand.

Nichts ist einfacher, als ein Hassobjekt zu definieren, mit dem niemand etwas zu tun haben will, und dann die Bannmeilen und Verbote ständig zu erweitern. Wer sich gegen die Kriege in Afghanistan und im Irak aussprach, wurde als Al-Qaida-Sympathisant diffamiert. Wer die Politik Israels kritisierte, musste damit rechnen, als Antisemit bezeichnet zu werden. Wer genug von den akademischen Moralpredigten hatte, die aus den USA herüberschwappten, galt als Trump-Anhänger oder Rassist. Man versucht nicht mehr, dem Gegner zu widersprechen, sondern ihn zum Schweigen zu bringen.

Die tägliche Kommunikationsexplosion macht uns nicht freier, sie errichtet Disziplinargesellschaften, die uns verdammen zu einem ewigen Hin und Her zwischen den Orten, an denen wir eingeschlossen sind. ⇥Serge Halimi

Le Monde diplomatique vom 11.02.2021, von Serge Halimi